"Miam, miam, miam" Polen entmachtet Verfassungsgericht
23.12.2015, 06:39 Uhr
Der Präsident und der Mann im Hintergrund: Präsident Andrzej Duda vor einem Plakat mit Jaroslaw Kaczynski.
(Foto: dpa)
Erst seit Kurzem sind die Nationalkonservativen in Polen an der Macht und der Umbau des Staates schreitet rapide voran. Ein neues Gesetz unterbindet faktisch die Arbeit des Verfassungsgerichts. Die Opposition sieht einen "schleichenden Staatsstreich".
Die heftigen Proteste und Kritik aus dem In- und Ausland waren vergeblich. In einer stürmischen Marathonsitzung hat das polnische Parlament eine Neuordnung des Verfassungsgerichts gebilligt. 235 Abgeordnete stimmten für den Gesetzentwurf der neuen rechtskonservativen Regierung, 181 stimmten dagegen und vier enthielten sich.
Laut der Neuregelung soll für alle Entscheidungen des Verfassungsgerichts künftig eine Zweidrittelmehrheit notwendig sein statt wie bisher eine einfache Mehrheit. Zudem müssen künftig mindestens 13 der 15 Verfassungsrichter anwesend sein, um ein Urteil fällen zu können - bisher reichten neun Richter. Auch entfällt der bisherige Paragraf über die Unabhängigkeit des Gerichts.
Die Opposition hält das Gesetz für verfassungswidrig und für einen Versuch, das Gericht in seiner Arbeitsfähigkeit zu beschneiden und zu "zerstören". Ex-Minister Andrzej Halicki von der liberalen Bürgerplattform (PO) sagte: "Heute ist mit bloßem Auge zu erkennen, dass wir es mit einem schleichenden Staatsstreich zu tun haben." Die Partei kündigte noch am Abend an, Verfassungsklage zu erheben. Die zweite Parlamentskammer, der Senat, hat nun 30 Tage Zeit, sich mit der Vorlage zu befassen.
"Ihr zerstört den polnischen Staat"
Nach der dritten und abschließenden Lesung im Sejm klatschten die Abgeordneten des Regierungslagers Beifall und riefen im Siegestaumel "Demokratie!" Zuvor hatten ihnen Abgeordnete der Opposition zugerufen: "Ihr zerstört den polnischen Staat und das Verfassungsgericht!" Krzysztof Mieszkowski von der neuen liberalen Oppositionspartei Nowoczesnej sagte in der Aussprache: "Wir stehen im Kampf um die Werte."
Während der fast elfstündigen Sitzung kam es zu teils heftigem Streit. Der PiS-Vorsitzende und Ex-Regierungschef Jaroslaw Kaczynski habe sich "vom Dr. Jekyll zum Mr. Hyde verwandelt", kritisierte ein Politiker. Für Empörung und Erheiterung sorgte die PiS-Vertreterin Krystyna Pawlowicz, die einem Kollegen der liberalen Bürgerplattform vor laufenden Kameras sagte: "So schmeckt das Leben in der Opposition - miam, miam, miam."
Neben dem Umbau des Verfassungsgerichts übt die neue Regierung auch massiven Druck auf die Medien des Landes aus und fordert eine "Repolonisierung polnischer Medien". Bei privaten Medien sollen die ausländischen Verlage zurückgedrängt werden, die staatlichen Medien sollen "wirklich staatlich" werden, "mit einer Mission". Außerdem soll noch in diesem Jahr ein neues Gesetz über den Staatsdienst beschlossen werden, wonach der offene Wettbewerb bei der Besetzung von Führungsposten durch politische Ernennungen ersetzt werden soll.
Die nationalkonservative PiS hatte bei der Parlamentswahl im Oktober 37,6 Prozent der Stimmen erhalten und hat seither eine Mehrheit in beiden Kammern. Die Wahlbeteiligung hatte allerdings nur bei knapp 50 Prozent gelegen. An den vergangenen zwei Wochenenden waren Zehntausende Polen auf die Straße gegangen, um gegen den Rechtsruck unter Ministerpräsidentin Beata Szydlo zu demonstrieren. In Umfragen verliert die PiS inzwischen deutlich an Zustimmung.
Quelle: ntv.de, ghö/AFP/dpa