Rückzug oder Schachzug in Kiew? Polizei überlässt Demonstranten das Feld
11.12.2013, 12:48 Uhr
Nachdem sie ausgerückt waren, ziehen sich die Polizisten überraschend schnell vom Ort des Geschehen zurück.
(Foto: AP)
Noch ist unklar, ob die Demokratie in der Ukraine siegt. Fest steht, dass sich die Sicherheitskräfte zurückziehen und den Demonstranten den Zugang zum Unabhängigkeitsplatz und den Regierungsgebäuden gewährt. Zeitgleich verlangt Kiew von Brüssel Geld: Mit 20 Milliarden Euro ließe sich die Angelegenheit klären.

Die Demonstranten feiern bereits ihren Sieg über die europakritische Politik der Regierung Janukowitsch.
(Foto: dpa)
Die ukrainische Polizei hat sich überraschend vom zentralen Unabhängigkeitsplatz zurückgezogen. Mehrere Einheiten räumten Positionen auf dem Platz, auf dem die Demonstranten seit Tagen kampieren. Mit der Platzbesetzung protestieren sie gegen die von Präsident Viktor Janukowitsch betriebene Hinwendung zu Russland zu Lasten einer stärkeren Anbindung an die Europäische Union. Die Polizisten zogen sich auch vor Regierungsgebäuden zurück, die von Oppositionellen besetzt sind.
Innenminister Witali Sachartschenko sagte einer Mitteilung zufolge, dass es keine Erstürmung des Platzes der Unabhängigkeit geben werde. "Ich möchte alle beruhigen - der Maidan wird nicht erstürmt", sagte er. Damit änderten die Sicherheitskräfte ihre Taktik, nachdem sie in der Nacht zum Mittwoch auf den Unabhängigkeitsplatz vorgedrungen waren und das besetzte Kiewer Rathaus gestürmt hatten. Der Opposition zufolge wurden mehrere Demonstranten verletzt. Die Polizei sprach von zehn Verletzten in den eigenen Reihen sowie von mehreren Festnahmen. "Ich möchte, dass jeder Ruhe bewahrt", erklärte Sachartschenko an die Adresse der Demonstranten. "Niemand wird Ihr Recht auf friedliche Proteste verletzen."
Westen empört über Gewalt gegen demokratische Rechte
Zuvor hatte der Westen erbost auf den Einsatz von Gewalt in Kiew reagiert. Die US-Regierung sei "angewidert" von der Entscheidung der ukrainischen Behörden, mit Spezialeinheiten und Schlagstöcken gegen friedliche Demonstranten vorzugehen, erklärte US-Außenminister John Kerry. Dies sei "weder akzeptabel noch ziemt es sich für eine Demokratie". Seine Stellvertreterin Victoria Nuland besuchte am Mittwoch den Maidan und verteilte dort Brot an die Demonstranten - und auch an die Sicherheitskräfte.
Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton, die das Zentrum der Protestbewegung in Kiew nur Stunden vor dem Polizeieinsatz besucht hatte, reagierte "mit Trauer" auf den Polizeieinsatz. Sie hatte sich am Dienstag auch mit Präsident Viktor Janukowitsch getroffen, gegen den sich der Zorn der Opposition hauptsächlich richtet.
Auch Außenminister Guido Westerwelle bezeichnete die Proteste als "lebendigen Ausdruck des Wunsches der Menschen nach einer europäischen Ukraine". Diese ließen sich in einer Demokratie nicht einfach verbieten, erklärte er. Im Europaparlament forderten die vier größten Fraktionen eine "offizielle Vermittlungsmission" der EU zur Beilegung der politischen Krise.
Polen hatte als erste westliche Macht auf das Vorgehen gegen die Demonstranten in der Nacht reagiert und den ukrainischen Botschafter in Warschau einbestellt. Dem Gesandten seien die Sorgen über den Einsatz der Polizei gegen friedliche Demonstranten mitgeteilt worden, teilte das polnische Außenministerium mit.
Angelegenheit kann mit EU-Milliarden geklärt werden
Vor dem Hintergrund des auf Druck Russlands gestoppten Assoziierungsabkommens mit der EU, woran sich die Proteste entzündet hatten, stellte Kiew nun Forderungen: Diese "Angelegenheit" könne "durch das Angebot von finanzieller Unterstützung an die Ukraine gelöst werden", sagte Ministerpräsident Mykola Asarow bei einer Kabinettssitzung. Die "ungefähre Größenordnung" liege bei 20 Milliarden Euro.
Auch Kiew sei an einer "raschen Unterzeichnung" des Abkommens interessiert, sagte Asarow weiter. Dafür seien aber gewisse Bedingungen nötig, die die "Verluste für unsere Wirtschaft minimieren". Zugleich wies er "Spekulationen" zurück, die Ukraine wolle in Moskaus Zollunion eintreten. "Die Regierung bereitet dazu kein Dokument vor."
Die ukrainische Regierung wollte umgehend eine Delegation nach Brüssel schicken; eine weitere Abordnung soll zeitgleich zu Gesprächen nach Moskau reisen. Die Opposition fürchtet, dass Janukowitsch das Land nicht wie gefordert zum Westen öffnet, sondern stärker an Russland bindet. Sie verlangt daher seinen Rücktritt.
n-tv sendet zusätzlich zu den Nachrichten am heutigen Mittwoch mehrere "News Spezial" zur Situation in der Ukraine - um 13:30 Uhr und 14:30 Uhr.
Quelle: ntv.de, ppo/AFP/rts/dpa