Politik

OSZE kritisiert "Manipulierungen" Putin-Partei erzwingt absolute Mehrheit

(Foto: dpa)

Nach einer Zitterpartei für Russlands Ministerpräsidenten Putin stellt die Wahlkommission fest: Einiges Russland kann auch künftig alleine regieren. Dennoch ist das Wahlergebnis eine Schlappe für Putin - besonders angesichts massiver Repressionen. OSZE-Wahlbeobachter beklagen häufige Unregelmäßigkeiten. Die liberale Oppositionspartei Jabloko will das Ergebnis nicht anerkennen.

Bei der Parlamentswahl in Russland hat es nach Einschätzung internationaler Wahlbeobachter deutliche Verstöße gegeben. Bei dem Urnengang seien "häufige" Unregelmäßigkeiten festgestellt worden, teilte die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) mit. "Die Wahl war gut organisiert, aber die Qualität des Prozesses hat sich während der Auszählung deutlich verschlechtert."

Bemüht um Zuversicht: Medwedew und Putin.

Bemüht um Zuversicht: Medwedew und Putin.

(Foto: dpa)

Moniert wurden von den Beobachtern "häufige Verfahrensverletzungen und Fälle offensichtlicher Manipulierung". So gebe es "ernsthafte Hinweise" auf zusätzliche Stimmzettel in den Wahlurnen, die von den Abstimmungsberechtigten gar nicht abgegeben wurden. Die OSZE-Beobachter beriefen sich auf die Überprüfung von 115 Wahlbüros.

Putin-Partei erringt absolute Mehrheit

Die zentrale russische Wahlkommission hatte zuvor die Partei von Regierungschef Wladimir Putin offiziell zum Sieger der Parlamentswahl erklärt. Einiges Russland erhalte 238 von 450 Sitzen, sagte Wahlleiter Wladimir Tschurow, ein Freund von Putin, nach Auszählung von rund 96 Prozent der Wahlzettel. Die Partei kann damit auch künftig allein in der Duma regieren. Nach Auszählung von 93 Prozent der Wahlzettel lag die Partei noch bei 49,70 Prozent.

Die Wahlkommission verkündet die absolute Mehrheit.

Die Wahlkommission verkündet die absolute Mehrheit.

(Foto: dpa)

Das Wahlergebnis ist ein deutlicher Einbruch im Vergleich zur Wahl von 2007, als die Partei noch 64,3 Prozent geholt hatte. Die Wahl galt als Stimmungstest für den Regierungschef, der nach vierjähriger Karenzzeit kommendes Jahr als zurückkehren will. Amtsinhaber Dmitri Medwedew soll dann Regierungschef werden. Doch seine Rolle könnte nun infrage gestellt werden, zumal er den Wahlkampf geleitet hatte.          

Bereits vor der Wahl hatte sich angedeutet, dass Putins Unterstützung in der Bevölkerung bröckelt. Zwar gilt er nach wie vor als beliebtester Politiker des Landes, doch die Begeisterung für den 59-Jährigen und sein öffentlich gepflegtes Image des starken Mannes schien zuletzt nicht mehr so gut anzukommen.

Im Parlament sind nach Angaben von Tschurow alle vier bisherigen Parteien vertreten. Die Kommunisten kamen gegen Ende der Auszählung auf 19,16 Prozent der Stimmen, Gerechtes Russland auf 13,22 Prozent und die ultranationalistische Liberaldemokratische Partei von Wladimir Schirinowski auf 11,66 Prozent. Alle drei werden dem kremltreuen Lager zugerechnet. Die regierungskritische Mitte-links-Partei Jabloko scheiterte erneut an der Sieben-Prozent-Hürde. Erstmals wurde die Duma für fünf statt bisher für vier Jahre gewählt. Zur Wahl der 450 Abgeordneten für die Staatsduma zugelassen waren sieben Parteien, 110 Millionen Bürger durften wählen.

Duma-Präsident gratuliert zum "Sieg"

Wahlbeobachter beklagen, dass manche Urnen schon zu Wahlbeginn mit Stimmzetteln gefüllt waren.

Wahlbeobachter beklagen, dass manche Urnen schon zu Wahlbeginn mit Stimmzetteln gefüllt waren.

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Eigentlich sollte mit der Wahl der angekündigte triumphal eingeläutet worden. Einiges Russland hatte bisher in der Duma eine bequeme Zwei-Drittel-Mehrheit. Sie war bei der Wahl als Favorit ins Rennen gegangen. Zwar sagten die Umfragen deutliche Verluste voraus, doch das Ausmaß der Verluste kommt überraschend. In der Pazifikregion Primorje um die Hafenstadt Wladiwostok erhielt die Partei sogar nur 34,5 Prozent. Lediglich in Tschetschenien vermeldete Präsident Ramsan Kadyrow "einen wahren Feiertag" und verkündete großartige Ergebnisse: angeblich 99,47 Prozent der Wähler dort stimmten für Einiges Russland.

Der Einiges Russland angehörende Duma-Präsident Boris Grislow gratulierte seiner Partei trotzdem zu ihrem "Sieg". Medwedew wies Manipulationsvorwürfe zurück und sprach von "Demokratie in Aktion". Das deutlich schwächer als erwartete Ergebnis seiner Partei spiegele die Stimmung im Land wider, sagte Medwedew im Staatsfernsehen. Putin sagte, der Ausgang der Wahl ermögliche eine "stabile Entwicklung" Russlands.

Regierungskritische Seiten lahmgelegt

Überschattet wurde die Abstimmung von Vorwürfen der Opposition, regierungskritischer Medien und Wahlbeobachtern, es habe gegeben. So sollen Internetseiten gezielt lahmgelegt worden sein. Das vom Westen finanzierte Wahlbeobachtungsinstitut Golos erklärte, zusammen mit zwei liberalen Medien Opfer von Hackerangriffen geworden zu sein. Die Internetseiten von Golos, dem Radiosender Echo Moskwi und dem Online-Nachrichtenportal Slon.ru waren nicht erreichbar. "Wir haben das Gefühl, dass die Wahlkommission, die Staatsanwaltschaft und die Hacker zusammenarbeiten", sagte Slon.ru-Geschäftsführer Maxim Kaschulinski. 

Sicherheitskräfte in Aktion in St. Petersburg.

Sicherheitskräfte in Aktion in St. Petersburg.

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Golos berichtete zudem, in Sibirien zu einigen Wahllokalen keinen Zugang erhalten zu haben. Am Samstag war die am Moskauer Flughafen für zwölf Stunden festgehalten und ihr Computer beschlagnahmt worden. Bürgerrechtsbewegungen hatten der russischen Führung außerdem vorgeworfen, vor der Wahl Druck auf staatliche Bedienstete, Soldaten und Studenten ausgeübt zu haben, Einiges Russland zu wählen. Bereits die Tage vor der Wahl waren von Beschwerden über Schikanen gegen Kremlkritiker und Wahlbeobachter geprägt gewesen. 

"Wir werden auf die Straße gehen" 

Auch die Kommunisten klagten über "massenhaften Wahlbetrug". Den ganzen Tag lang seien Anrufe aus Regionalbüros eingegangen, die die Betrugsvorwürfe bestätigt hätten, erklärte Partei-Vize Iwan Melnikow. Die linkskonservative Partei Gerechtes Russland sprach von massiver Fälschung der Wahlprotokolle zugunsten der Putin-Partei. "Wir werden auf die Straße gehen", kündigte der Fraktionschef von Gerechtes Russland, Sergej Mironow, an. Die liberale Oppositionspartei Jabloko will angesichts massiver Fälschungsvorwürfe das Ergebnis der Abstimmung nicht anerkennen.

Regierungsgegner wie der nicht zur Wahl zugelassene Politiker Wladimir Ryschkow sprachen schon vorab von der "schmutzigsten Wahl" seit dem Ende der Sowjetunion. Die russische Polizei nahm mindestens 170 Teilnehmer nicht genehmigter Demonstrationen in Moskau und St. Petersburg fest, meldete die Nachrichtenagentur Interfax unter Berufung auf die Polizei in den beiden Städten.

In Moskau setzte die Polizei unter anderem einen der führenden Köpfe von Anderes Russland, Skandalautor Eduard Limonow, und andere Oppositionsführer wie Sergej Udalzow von der Linken Front und Roman Dobrochotow fest. Ein massives Sicherheitsaufgebot verhinderte, dass Oppositionelle auf den Roten Platz am Kreml vordringen konnten. Teilnehmer der nicht zugelassenen Kundgebung warfen Flugblätter. Allein in Moskau waren mehr als 50.000 Sicherheitskräfte im Einsatz.

Bundesregierung kritisiert Wahlen

Medwedew nach Abgabe seiner Stimme am frühen Sonntagmorgen.

Medwedew nach Abgabe seiner Stimme am frühen Sonntagmorgen.

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Die Bundesregierung äußerte sich angesichts von Berichten über Unregelmäßigkeiten und Behinderungen bei der Parlamentswahl in Russland "sehr besorgt" Der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter sagte, alle Vorwürfe müssten "befriedigend aufgeklärt" werden. Streiter zitierte Wahlbeobachter, die von einem "wenig souveränen Umgang mit Demokratie" gesprochen hätten.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Rupert Polenz beklagte "massive Behinderungen der Opposition" bei der Parlamentswahl. "Dass die Partei des russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin trotzdem offenbar starke Stimmenverluste erlitten hat, zeigt, wie sehr die Unzufriedenheit in der Bevölkerung über Putin gewachsen ist", sagte Polenz der "Neuen Osnabrücker Zeitung".

"Da Oppositionsparteien im Vorfeld beim Zugang zu den Staatsmedien stark benachteiligt wurden und bürokratischen Schikanen ausgesetzt waren, kann das Wahlergebnis nicht als Ausgang einer fairen und freien Wahl bezeichnet werden", sagte der CDU-Politiker. Angesichts der wachsenden Unzufriedenheit könne Putin nun entweder "echte Reformen" einleiten oder weiterhin auf eine "gelenkte Demokratie" setzen.

Quelle: ntv.de, ghö/dpa/rts/AFP

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