"Das Regime wird zusammenbrechen" Rebellen rücken in Tripolis ein
21.08.2011, 22:47 Uhr
Gaddafi herrscht seit 1979 als Diktator über Libyen - seine Zeit scheint nun vorbei zu sein.
(Foto: REUTERS)
"Die Tage Gaddafis sind gezählt", verkündet ein Sprecher von US-Präsident Obama, und er könnte Recht behalten: Die Truppen der Rebellen erreichen Tripolis und wollen die Hauptstadt innerhalb der nächsten 24 Stunden einnehmen. Gaddafi ruft seine Anhänger in einer Botschaft zum Kampf auf. Doch auch ehemalige Weggefährten sehen das Regime am Ende.
Die Entscheidungsschlacht um Tripolis hat begonnen. Nach nächtlichen Kämpfen zwischen Aufständischen und Regierungstruppen gab es in mehreren Stadtvierteln heftige Gefechte. Mittlerweile sind Truppen der Rebellen vom Westen her in die Stadt eingezogen. Ungeachtet des Vormarsches meldete sich Machthaber Muammar al-Gaddafi am Abend im Staatsfernsehen zu Wort und rief die Libyer dazu auf, die Hauptstadt bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen.
Gaddafi wandte sich in einer vom Fernsehen ausgestrahlten Audio-Botschaft an die Menschen; selbst war er nicht zu sehen. Wie der arabische Nachrichtensender Al-Dschasira berichtete, versicherte Gaddafi, er sei noch in Tripolis, und seine Truppen würden niemals aufgeben. "Wir werden den Sieg erringen", rief er und beschwor seine Anhänger, von überall her in die Hauptstadt zu kommen.
Zuvor hatte es . Aus gut informierten Kreisen in Tripolis verlautete, er halte sich mit seiner Familie in einer Region unweit der Grenze auf und werde vom Al-Orban-Stamm beschützt. Eine Bestätigung für die Nachricht von der Flucht Gaddafis aus Tripolis gab es zunächst aber nicht - weder von den Rebellen noch von algerischer Seite.
Zeitpunkt für Flucht verpasst?
Der ehemals enge Vertraute Gaddafis, Abdulsalam Dschallud, sieht den libyschen Machthaber am Ende. "Das Regime von Gaddafi wird zusammenbrechen, spätestens in zehn Tagen, vielleicht auch früher", erklärte Dschallud im italienischen RAI-Fernsehen.
Seinen Angaben zufolge befindet sich Gaddafi in Tripolis und hat auch keine Chance, aus der libyschen Hauptstadt zu fliehen: "Alle Straßen sind blockiert. Der einzige Ausweg wäre über ein internationales Abkommen, und dafür ist es zu spät." Auch einen Selbstmord halte er für ausgeschlossen. Den Mut zum Freitod habe Gaddafi nicht, meinte Dschallud.
Der Libyer, früher Regierungschef in Tripolis und lange die Nummer zwei des Regimes, befindet sich inzwischen in Italien. Er war von Libyen nach Tunesien geflohen und hatte dann von Dscherba aus einen Flug Richtung Rom genommen. Vor ihm hatten bereits andere Weggefährten Gaddafis dem Diktator die Treue gekündigt.
Rebellen sind siegessicher
Die Rebellen rechnen mit einer baldigen Einnahme der Hauptstadt. Tripolis werde "bis morgen eingenommen sein", sagte einer der Militärchefs der Rebellen in Bengasi. "Wir werden in einigen Stunden in Tripolis einmarschieren. Wir hoffen, dass (die Stadt) bis morgen unter unserer Kontrolle sein wird." Die Aufständischen wollen Gaddafi mit einer groß angelegten Aktion einkreisen. Wie Journalist schilderte, begrüßten die Menschen die vom Westen her einrückenden Kämpfer der Aufständischen an der Strecke mit Freudenschüssen.
Den östlichen Vorort Tadschura haben die Rebellen bereits unter ihrer Kontrolle, berichtete ein Augenzeuge. Zwar werde das Viertel pausenlos von Gaddafis Truppen bombardiert, aber die Rebellen hätten weiterhin die Kontrolle. Auch das große Viertel Souk al-Dschumaa werde inzwischen von den Rebellen beherrscht. Anwohner hörten in der Nacht auch Schüsse und Luftangriffe der NATO. Aus gut unterrichteten Kreisen hieß es, die Rebellen hätten das Haus von General Al-Chwaildi Al--Hmeidi, einem engen Vertrauten Gaddafis, im Stadtteil Al-Andalus umzingelt. Rebellen berichteten, sie hätten ein Gefängnis gestürmt und Tausende politische Häftlinge befreit.
Im Laufe des Sonntags bekamen die Aufständischen Verstärkung aus ihren Hochburgen Misrata und Slitan in Tripolis. Nach Augenzeugenberichten trafen Rebellen auf dem Seeweg in der libyschen Hauptstadt ein, um dort in die Kämpfe einzugreifen. Von Osten her seien Aufständische auch auf dem Landweg weiter auf Tripolis vorgerückt und ständen nur noch etwa 27 Kilometer vor den Toren der Stadt, hieß es.
Der Vorsitzende des Übergangsrates, Mustafa Abdul Dschalil, sagte dem Fernsehsender Al-Dschasira, dass alle Aktionen vorbereitet und koordiniert seien. Die NATO hatte ihre Kampfeinsätze am Samstag stark auf Libyens Hauptstadt konzentriert. Die Kampfjets der internationalen Truppen hätten allein in Tripolis 22 Ziele angegriffen, berichtete die NATO. Ein kanadischer NATO-Sprecher erklärte, die Angriffe seien nicht mit den Rebellen abgestimmt. "Wir reduzieren die militärische Stärke der Pro-Gaddafi-Truppen", meinte Oberst Roland Lavoie. "Die Opposition hat das zu ihrem Vorteil genutzt." Die NATO schwäche die Fähigkeit der Gaddafi-Truppen, Zivilisten anzugreifen.
Merkel fordert Machtverzicht
Die USA rechnen damit, dass Gaddafis Tage nunmehr gezählt sind. "Das libysche Volk verdient eine gerechte, demokratische und friedliche Zukunft", erklärte der stellvertretende Regierungssprecher Josh Earnest. Präsident Barack Obama hält sich nach seinen Angaben auch im Urlaub ständig über die Entwicklung in Libyen auf dem Laufenden. Zudem sei man mit dem Nationalen Übergangsrat in Libyen in engem Kontakt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel rief Gaddafi auf, die Macht schnell abzugeben. "Es wäre gut, wenn er möglichst schnell aufgibt, um Blutvergießen zu vermeiden", meinte die CDU-Politikerin im ZDF-Sommerinterview. Außenminister Guido Westerwelle erklärte: "Jeder Tag, den Oberst Gaddafi früher das Land verlässt, ist ein guter Tag für Libyen und für das libysche Volk."
Quelle: ntv.de, dpa/AFP