Politik

Piraten "Sturm im Wasserglas"? Rot-Grün sucht Antworten

Und plötzlich bei 10 Prozent: Die Piratenpartei stößt auf große Zustimmung, trotz oder gerade wegen ihres ungewöhnlichen Auftretens.

Und plötzlich bei 10 Prozent: Die Piratenpartei stößt auf große Zustimmung, trotz oder gerade wegen ihres ungewöhnlichen Auftretens.

(Foto: picture alliance / dpa)

Für SPD und Grüne lief es schon besser: Die geplatzten Koalitionsverhandlungen in Berlin offenbaren tiefe Gräben und gefährden Rot-Grün 2013. Und nun auch noch die Piraten. SPD und Grüne hoffen auf ihre Entzauberung und einen Lagerwahlkampf. Für die SPD könnten die Piraten ein Fingerzeig sein: Links sind kaum noch Wähler zu gewinnen.

Die Wahl in Berlin hat alles verändert. Wo sich SPD und Grüne eben noch auf dem besten Weg zur Neuauflage ihrer gemeinsamen Wunschkoalition 2013 im Bund wähnten, herrscht plötzlich Katerstimmung und die Frage, wer Schuld trägt an dem Desaster. Vor allem die Grünen fühlen sich vom Berliner Ergebnis empfindlich getroffen. Noch vor Kurzem waren sie der politische Aufsteiger des Jahres, mit jeder Menge Potenzial nach oben - von einer neuen Volkspartei war gar die Rede. Doch nun hat die Piratenpartei diesen Titel gekapert und ist der neue Umfragen-Star. Und der Erfolg der Politikneulinge bedroht ganz nebenbei die rot-grüne Mehrheit im Bund.

Politische Konkurrenz oder Freunde? Piratenpartei-Politiker Andreas Baum, Marina Weisband, Sebastian Nerz (von links).

Politische Konkurrenz oder Freunde? Piratenpartei-Politiker Andreas Baum, Marina Weisband, Sebastian Nerz (von links).

(Foto: dpa)

SPD und Grüne reagierten erst geschockt, dann mit gegenseitigen Schuldvorwürfen. Der Haussegen hing schief, die Grünen fühlten sich von den Berliner Sozialdemokraten und insbesondere dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit vorgeführt. "Kein Grüner wird das der SPD vergessen", drohte Grünen-Spitzenkandidatin Renate Künast nach den geplatzten Koalitionsverhandlungen. Die Sozialdemokraten dagegen sahen die Ökopartei auf ihr Normalmaß zurechtgestutzt. "Es gibt kein rot-grünes Lager", stellte SPD-Bundesvize Olaf Scholz klar. Tagelang wurden giftige Spitzen zwischen den selbst ernannten Wunschpartner ausgetauscht. Vorbei die Zeit rot-grüner Auftritte vor der Bundespressekonferenz, wie vor der NRW-Wahl. "Bei der SPD scheint sich die Sehnsucht nach einer Koalition mit der Union zu vergrößern, nach dem münteferingschen Motto: Hauptsache, wir regieren, und Opposition ist Mist", sagt Grünen-Chefin Claudia Roth.

Piratenpartei der neue Umfrage-Star

Je tiefer SPD und Grüne in den Streit um die Sündenbock-Suche versanken, fielen auch ihre Umfragewerte. Von 29 Prozent auf 26 Prozent ging es für die SPD, die Grünen rutschten ebenfalls um drei Punkte auf nur noch 16 Prozent ab. Umfragensieger war nun die Piratenpartei, die von Null auf 7, auf 8 und schließlich auf 10 Prozent kletterte. Wie Rot-Grün von den Schwächen der schwarz-gelben Bundesregierung profitiert hatte, gewannen die Piraten jetzt auf ihre Kosten. SPD und Grüne suchen nun nach der richtigen Antwort auf die neue Parteienkonstellation.

"Vertrauen birgt auch Verantwortung": Die Piraten sind im politischen Establishment angekommen.

"Vertrauen birgt auch Verantwortung": Die Piraten sind im politischen Establishment angekommen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die fällt zunächst einmal wohlwollend aus. Die Piratenpartei mitsamt ihren Wählern rechnen SPD und Grüne eher dem linksliberalen Lager zu. Zwar nicht "Fleisch vom Fleische", dafür konnten die Piraten auch zu viele Nichtwähler mobilisieren. Doch hegen die rot-grünen Politiker gewisse Sympathien für die neue Kraft und ihre Ziele. "Willkommen an Bord", begrüßte sie etwa Grünen-Chefin Roth nach der Berlin-Wahl. "Die Menschen verbinden damit eine Hoffnung der politischen Veränderung, gerade gegenüber der fatalen schwarz-gelben Regierungspolitik", kommentiert Grünen-Vorstandsmitglied und Netzexperte Malte Spitz gegenüber n-tv.de das gute Abschneiden.

Umarmung und Ermahnung

Spitz gibt die Linie vor, die seine Partei im Umgang mit den Piraten offenbar erst einmal fahren will: die Neulinge herzlich begrüßen, sie aber zugleich an ihre Schwächen erinnern. Die Umfragewerte seien ein Vertrauensvorschuss, sagt Spitz. Vertrauen berge aber auch Verantwortung. "Diese Verantwortung müssen die Piraten jetzt auch übernehmen und zeigen dass sie mit dieser umgehen können, zum Beispiel wenn es um ihre weitere inhaltliche Aufstellung geht." Mit Offenheit und dem Angebot zur Zusammenarbeit wolle man reagieren, heißt es auch aus der Grünen-Spitze. "Konkurrenz belebt das Geschäft", sagt man dort, um der Piratenpartei zugleich ihre Fehler vorzuhalten. Etwa im Umgang mit ehemaligen NPD-Mitgliedern.

Die SPD gibt sich zumindest nach außen noch gelassen angesichts des "Hype" für die Piratenpartei. In der SPD-Zentrale wird ihr derzeitiges Hoch als "Sturm im Wasserglas" bewertet. Die Strategie scheint aber nicht weit weg von der der Grünen zu sein. Die Sozialdemokraten wollen sich die Neulinge "erstmal angucken" und abwarten, wie die Piraten mit den Wünschen und hohen Erwartungen ihrer Wähler umgehen. In der Debatte um die Staatstrojaner etwa seien die Piraten in der breiten Öffentlichkeit etwa kaum aufgetaucht. Beide, SPD und Grüne, betonen aber immer wieder, wie ernst sie den Erfolg der Piratenpartei nehmen würden.

"Wahlkampf war zu bieder"

In der SPD will man von der neuen Partei auch lernen. "Was sagt ihr Erfolg in Berlin über die Bedürfnisse der Wähler aus?", fragt man sich im Willy-Brandt-Haus. Es seien ja weniger die Inhalte, die überzeugten, sondern eher der Politikstil der neuen Partei. Da wähnt sich die SPD mit ihrer angestoßenen Parteireform, wie der Öffnung für Nichtmitglieder und der Stärkung der Basis, bereits auf dem richtigen Weg.

Rot-Grün ist wieder dicht beisammen.

Rot-Grün ist wieder dicht beisammen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Bei den Grünen werden derweil die Fehler des Berliner Wahlkampfs analysiert. Er gilt aus mehreren Gründen als missraten, die Ökopartei habe im Gegensatz zu den Piraten die Jungwähler nicht erreicht. "Der Wahlkampf in Berlin war zu bieder", lautet eine erste Erklärung.

Der Erfolg der Piratenpartei schweißt das rot-grüne Lager zumindest wieder stärker zusammen. Der Streit wird von beiden Seiten heruntergespielt. Es seien zwei verschiedene Parteien, aber mit "großen Überschneidungen", heißt es aus der SPD. "Die Grünen kommen einfach wieder auf ihr Normalmaß", das zu verdauen sei für die Partei nicht einfach. Zudem würden sehr wohl die Konflikte in der Infrastruktur- oder Verkehrspolitik wahrgenommen. Insgesamt sei der Streit aber "nicht dramatisch" gewesen, das rot-grüne Verhältnis "unaufgeregt". Ähnliches verlautet auch von den Grünen, die von einem "guten Verhältnis" zur Bundes-SPD sprechen. "Wir kämpfen für Rot-Grün, halten uns die anderen Optionen aber offen", lautet das Motto wie vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen.

Rot-grüner Thinktank

Passend zur demonstrativen Harmonie haben am Wochenende SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles und Grünen-Geschäftsführerin Steffi Lemke die Arbeitsgruppe "Denkwerk Demokratie" ins Leben gerufen. Ein rot-grüner Thinktank, in den Gewerkschaften, Umweltverbände und andere Organisationen eingebunden sind, um "Alternativen zur Politik von Schwarz-Gelb zu entwickeln". Man wolle damit aber nicht eine neue rot-grüne Koalition vorbereiten, betonen beide Seiten. Es sei ein "Projekt von Personen, nicht von Organisationen". Das Denkwerk solle aber mögliche Streitpunkte schon vor der Wahl 2013 ausräumen, um Verwerfungen wie zu Beginn des ersten rot-grünen Bündnisses oder der jetzigen schwarz-gelben Bundesregierung zu vermeiden.

Ob der Thinktank auch Rezepte gegen die Piratenpartei erörtern muss, wird sich noch zeigen. Derzeit geben weder SPD noch Grüne vor, an einer Strategie gegen die neue Konkurrenz zu arbeiten. Dabei könnten die Piraten 2013 mit ihrem Einzug in den Bundestag eine mögliche rot-grüne Mehrheit zunichtemachen. In den jüngsten Umfragen ist die Mehrheit für SPD und Grüne bereits eingestellt. "Noch zu früh", heißt es nur. Die Gefahr werde aber gesehen. Bei Rot-Grün hofft man 2013 auf einen echten Lagerwahlkampf mit Schwarz-Gelb, dessen stärkere Polarisierung die Piratenpartei draußen halten könnte. Ein führender Sozialdemokrat sieht das größte Wählerpotenzial angesichts von nun vier Parteien im linken Lager allerdings sowieso woanders. Wolle die SPD im Bund stärkste Kraft werden, müsse sie Wähler von Union und FDP gewinnen. Dafür brauche es natürlich den richtigen Kandidaten. Das aber ist eine ganz andere Debatte, die der SPD noch ins Haus stehen wird.

Quelle: ntv.de

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