Pressestimmen

Rot-Grün scheitert in Berlin Da "bleibt die Spucke weg"

Die Stadtautobahn A100 galt von Anfang an als der entscheidende Stolperstein für eine rot-grüne Koalition in Berlin - am Streit um eine Verlängerung der Autobahn um gut drei  Kilometer scheiterten nun auch die Koalitionsverhandlungen von SPD und Grünen. Die SPD unter dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit brach die erste reguläre Verhandlungsrunde bereits nach nur einer Stunde ab. Nun läuft in der Bundeshauptstadt vermutlich alles auf eine Koalition aus SPD und CDU hinaus. Die Presse spekuliert: Ging es nur darum, das Gesicht zu wahren oder war es gar ein abgekartertes Spiel?

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit.

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit.

(Foto: dapd)

Zum Platzen der rot-grünen Koalitionsverhandlungen in Berlin schreibt die Tageszeitung (taz): "Das ist bitter für alle, die darauf gebaut haben, dass der WählerInnenauftrag ernst genommen wird, und im Berliner Roten Rathaus endlich wieder eine Politik gemacht wird, die eine zukunftsfähige Mischung hinbekommt zwischen sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Wirtschaftspolitik und dabei das, was Berlin so liebenswert macht, bewahrt und weiter entwickelt: Das Konzept einer offenen Stadt". Für das Blatt aus Berlin steht fest: "Mit dieser Offenheit ist ab jetzt Schluss".

Die Süddeutsche Zeitung sieht für das Scheitern der rot-grünen Koalitionsverhandlungen in Berlin insbesondere den Regierenden Bürgermeister in der Verantwortung: "Der jüngste Eindruck: Klaus Wowereit wollte gar keine rot-grüne Koalition in Berlin, er war und ist auf ein rotschwarzes Bündnis aus, weil dieses für ihn viel bequemer ist. Er hatte keine Lust, mit den Grünen als einem halbwegs gleichberechtigten Partner zu verhandeln und zu regieren". Nach Ansicht der in München herausgegebenen Zeitung kopierte Wowereit mit den kurzen Gesprächen den Basta-Stil des früheren rotgrünen Kanzlers Gerhard Schröder. "Aus dem eigentlich erwarteten bundesweit wirksamen Berliner Signal für Rot-Grün ist so nichts geworden. Der Bär will sich beim Honiglecken von den Bienen nicht stören lassen."

Der Mannheimer Morgen nimmt die Grünen ins Visier: "Berlin steuert auf eine Große Koalition zu, und die Grünen stehen wie Polit-Amateure da". Auch wenn sie mit ihrem Verhalten ihr Wahlkampf-Versprechen eingehalten hätten, so hätten sie doch ihre Chance nicht "derart leichtfertig" verspielen dürfen. Das Blatt aus Baden-Württemberg zweifelt ganz offensichtlich an der Zuverlässigkeit der Grünen: "Erst scheitert Renate Künast kläglich an ihrem ehrgeizigen Ziel, Wowereit im Roten Rathaus abzulösen. Nun haben die Grünen hoch gepokert und alles verloren. Wie konsequent werden sie sich wohl in Baden-Württemberg verhalten, wenn der Volksentscheid gegen Stuttgart 21 scheitern sollte?".

Die Berliner Zeitung bleibt gelassen: "Berlin wird eine Regierung, die man früher mal Große Koalition nannte, verkraften. Und Sigmar Gabriel, dem sicherlich ein deutliches Signal in Richtung Rot-Grün für die Bundestagswahl 2013 lieber gewesen wäre, auch". Nichtsdestotrotz sei die Parteienlandschaft der Stadt in einer "wirklich beklagenswerter Lage": "Die CDU ist schwach, die SPD hinter Klaus Wowereit kaum erkennbar, die FDP nicht mehr existent. Die Grünen werden zerrieben in Schuldzuweisungen, und sind der Chance beraubt, in Regierungsverantwortung zu wachsen. Die Linke kommt demoralisiert aus zehn Jahren Regierungspolitik". Dies, so die Kommentatoren, sei auch die Antwort auf die Frage, warum Leute die Piratenpartei wählen.

Für die Südwest-Presse aus Ulm haben Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann und SPD-Platzhirsch Klaus Wowereit "das Straßenstück zum Gesichtswahrer-Test stilisiert": "Da konnte der eine nicht vom Nein, der andere nicht vom Ja lassen. Über so viel Sturheit staunt der Berliner, und den Mitgliedern beider Parteien bleibt die Spucke weg. Eröffnet eine rot-schwarze Koalition in Berlin nun neue bundespolitische Farbenspiele? Wohl kaum. Die SPD dürfte - was Koalitionen angeht - ihre Lehre aus der Wahl 2009 gezogen haben. In einer Allianz mit Angela Merkels Union wird sie wenige Stimmen hinzugewinnen. Einem grünen Juniorpartner ginge es - die Piraten im Nacken - kaum anders".

Die Ludwigsburger Kreiszeitung sieht in dem Abbruch der Koalitionsverhandlungen in Berlin ein bundespolitisches Signal: "All jene, die bereits das Totenglöckchen für die schwarz-gelbe Koalition im Bund geläutet haben, werden nun zur Kenntnis nehmen müssen, dass eine rot-grüne Regierung nicht unbedingt ein Garant für neue Stabilität und Verlässlichkeit wäre. Die Ereignisse in Berlin lehren genau das Gegenteil".

Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Susanne Niedorf-Schipke

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