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Attrappen aus Holz und Metall Russen fallen auf uraltes Täuschungsmanöver rein

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Eine Attrappe des Flugabwehrraketen-System IRIS-T SML hat die Russen in die Irre geführt.

Eine Attrappe des Flugabwehrraketen-System IRIS-T SML hat die Russen in die Irre geführt.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Idee ist nicht neu und die Ukrainer sind nicht die Einzigen, die sie nutzen: Trotzdem gehen russische Streitkräfte immer wieder ukrainischen Ködern auf den Leim. Flugzeuge und Luftabwehrsysteme aus Sperrholz und Alufolie locken russische Drohnen an - eine uralte Kriegsmethode.

Mit Stolz verkünden russische Soldaten vor wenigen Tagen auf Telegram, dass sie soeben ein aus Deutschland geliefertes IRIS-T-System der Ukrainer mit zwei Lancet-Kamikaze-Drohnen zerstört hätten. Das Flugabwehrraketen-System, das von der deutschen Firma Diehl Defence entwickelt wurde, ist ein lukratives Ziel für die Russen: Es schützt die Ukrainer vor russischen Luftangriffen mit Drohnen, Flugzeuge oder Marschflugkörper und wurde bisher nur in kleiner Stückzahl von insgesamt vier Systemen geliefert. Eines davon zu beschädigen, wäre für die russische Seite also ein großer Erfolg.

Doch das angeblich beschädigte IRIS-T-System, das auf Drohnenaufnahmen zu sehen ist, ist nicht echt. Das legen zumindest Aufnahmen nahe, die von den Russen auf Telegram veröffentlicht wurden, schreibt das Verteidigungs- und Sicherheits-Onlinemagazin Army Recognition. Demnach handelt es sich bei dem getroffenen Gerät vermutlich um eine Attrappe. Darauf weisen laut Experten gleich mehrere Ungereimtheiten hin.

Auffällig sei beispielsweise das Fehlen eines Gefechtsstandes oder Soldaten, die sich in der Nähe der Ausrüstung aufhalten, was für die Luftverteidigung unerlässlich sei. Darüber hinaus werde kritische Ausrüstung dieser Art normalerweise nicht auf offenem Feld oder ohne angemessene Unterbringung ausgesetzt, heißt es. Doch nicht nur der Standort wirft Fragen auf. Auch stellen Experten Unstimmigkeiten bezüglich der Form und Ausstattung fest, wie beispielsweise die abweichende Form des Fahrerhauses im Vergleich zu den im Original verwendeten IRIS-T-Lastwagen. Auch Rückspiegel - ein bekanntlich übliches Merkmal von Lastwagen - scheinen gänzlich zu fehlen.

Zwar sei es der russischen Aufklärung in der Vergangenheit bereits gelungen, an der Front im Süden ein IRIS-T System zu identifizieren, anzugreifen und zumindest zu beschädigen, sagt der österreichische Oberst Markus Reisner ntv.de. Entsprechende Videos dazu lägen vor. Die Auswertung der aktuellen Videos vom 5. Januar lassen hingegen vermuten, dass IRIS-T-Attrappen getroffen wurden. "Bis heute liegt kein einziges Video vor, das eindeutig ein zerstörtes IRIS-T System zeigt."

Dem Original zum Verwechseln ähnlich

Zu sehen sind die Ungereimtheiten auf den Videos aber nicht auf den ersten Blick. Die Videos, die der russische Blogger Ne Donskoy geteilt hat, zeigen, wie die Drohne einen angeblichen IRIS-T-SML-Werfer anvisiert und zunächst nicht trifft. Auf dem zweiten Video schlägt die zweite Drohne frontal direkt in die angebliche Abschussvorrichtung ein, explodiert und lässt eine große Rauchwolke aufsteigen. Die Drohnen waren laut Army Recognition entweder mit hochexplosiven Sprengköpfen oder Splitterköpfen bewaffnet.

Attrappen wie diese sind keine Seltenheit: Erst vor wenigen Wochen sind russische Streitkräfte auf eine Flugzeugattrappe der Ukrainer hereingefallen, die sie für einen SU-25 Kampfjet hielten. Neben Flugzeugen und IRIS-T gibt es auch Attrappen von HIMARS oder der US-Haubitze M-777, sagt Militärexperte Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations in Berlin zu ntv.de. Die Köder werden in vorgesehenen Tischler-Fabriken meist aus Holz oder Holz-Metall-Konstruktionen hergestellt. "Alles, was hochwertig ist und russisches Feuer anzieht, wird auf diese Art imitiert." Manchmal werde statt Sperrholz auch Metall verwendet, um die Wärmesignatur darzustellen oder Alufolie um das Holz gewickelt, damit sie auch von Wärmebildkameras entdeckt werden.

Die Lockvögel sehen den Originalen dabei so ähnlich, dass man auf Drohnenaufnahmen zunächst keinen Unterschied erkennen kann. "Nicht nur die groben Umrisse, auch die Details müssen stimmen, da die Drohnenkameras teils recht gute Auflösungen haben", so Gressel. Um die Attrappen so echt wie möglich aussehen zu lassen, legten ukrainische Soldaten teilweise Essensmüll und Trinkflaschen daneben, um es so wirken zu lassen, als sei eine Stellung in der Nähe. Auch wird teilweise Bewegung imitiert, wie der Radar beim IRIS-T SML, der sich wie beim Original um 360 Grad dreht. Das sei manchmal nur ein Staubsaugermotor, der das übernimmt, "aber es funktioniert".

Lockvögel sollen vom echten Gerät ablenken

Obwohl sie den Gegner immer wieder erfolgreich täuschen, sind Attrappen als Kriegsmethode nicht neu. Schon im Ersten und Zweiten Weltkrieg wurden Panzerattrappen eingesetzt, um den Gegner zu Fehleinschätzungen bezüglich der Aufstellung, der Fahrzeugtypen und der Aktivitäten der eigenen Panzertruppen zu verleiten. Attrappen aus preiswerten Materialien wurden in der Vergangenheit zudem oft zu Trainingszwecken verwendet. Im Kern sei es damals wie heute dieselbe Idee, sagt Oberst Reisner. Auch Russland nutze im Angriffskrieg gegen die Ukraine solche Lockvögel.

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Meist werden die ukrainischen Attrappen in der Nähe von echten Einsatzorten aufgestellt. "Bekommen die Russen mit, dass Artilleriefeuer abgeschossen wird oder es eine Fliegerabwehr-Stellung gibt, gehen sie auf die Suche", erklärt Gressel. Die Ukrainer hoffen in dem Fall, dass sie zuerst die Attrappen finden, zerstören und einen erfolgreichen Einsatz zurückmelden. Wichtig sei deshalb nicht nur, dass die Russen die Attrappen finden, sondern sie auch in dem Glauben zu lassen, dass sie das Original zerstört hätten. Auch dann, wenn die Russen den vermeintlichen Erfolg im Informationsraum für sich verbuchen.

Ein weiterer Vorteil ist, dass sich die Attrappen oft mehrmals verwenden lassen. Der Sprengstoff der Drohnen, mit denen die Lockvögel angegriffen werden, sei relativ klein. "Der Trichter wird durch die Explosion zu einem Strahl verformt, der durch die Panzerung schießt", so Gressel. Bei einem echten Flugradarsystem wäre das ein Problem, denn dann wäre die Elektronik im Inneren schnell zerstört. Bei einem Köder hingegen entsteht nur vorne und hinten ein Loch. "Wenn man die zuspachtelt und Farbe darüber lackiert, kann man sie am nächsten Morgen im Grunde wieder verwenden."

Quelle: ntv.de

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