Politik

"Diese Wahlen sind eine Farce" Russen gehen auf die Straße

Tausende Moskauer demonstrieren gegen einen "offensichtlichen Wahlbetrug", wie sie sagen.

Tausende Moskauer demonstrieren gegen einen "offensichtlichen Wahlbetrug", wie sie sagen.

(Foto: dpa)

Gegen die von Betrugsvorwürfen überschattete Parlamentswahl in Russland gehen tausende Menschen auf die Straßen. Trotz strömenden Regens demonstrieren sie in Moskau sowie in St. Peterburg. Hunderte Menschen werden festgenommen. Kremlchef Medwedew will von "Wahlmanipulation" nichts wissen. Der Westen verlangt Aufklärung.

"Gebt den Menschen ihre Stimme zurück", heißt es auf diesem Plakat.

"Gebt den Menschen ihre Stimme zurück", heißt es auf diesem Plakat.

(Foto: dpa)

Tausende Demonstranten in Moskau, 100 Festnahmen in St. Petersburg: In Russland haben zahlreiche Menschen gegen den Ausgang der von Fälschungsvorwürfen überschatteten Wahl protestiert. Das kremlkritische Internetportal kasparov.ru berichtete von mehr als 6000 Demonstranten bei einer genehmigten Großkundgebung unter dem Motto "Diese Wahlen sind eine Farce" der Bewegung Solidarnost in der Hauptstadt. Die Polizei sprach von bis zu 3000 Teilnehmern. Ein starkes Polizeiaufgebot sicherte den Bereich im Zentrum der Hauptstadt.

Mit Härte griffen aber Sicherheitskräfte in der zweitgrößten Stadt St. Petersburg durch: Hier nahm die Polizei mindestens 100 Regierungsgegner bei Protesten in Gewahrsam. Insgesamt hätten etwa 800 Menschen in der ehemaligen Zarenmetropole protestiert, hieß es.

Die Demonstranten in Moskau skandierten "Schande", "Russland ohne Putin" und Partei der Diebe und Betrüger", wie kasparov.ru berichtete. An einer Aktion der Kommunisten gegen Verstöße bei der Parlamentswahl beteiligten sich ebenfalls in der Hauptstadt 400 Menschen, wie die Polizei mitteilte.

Mewedew: "Demokratie in Aktion"

Medwedew bei der Pressekonferenz in Gorki bei Moskau.

Medwedew bei der Pressekonferenz in Gorki bei Moskau.

(Foto: AP)

Kremlchef Dmitri Medwedew hat Vorwürfe einer massiven Manipulation der russischen Parlamentswahl zurückgewiesen. Die Abstimmung sei "ehrlich, gerecht und demokratisch" verlaufen, sagte Medwedew in seiner Residenz bei Moskau. "Alle reden davon, dass die Staatsmacht angeblich ungehemmt in die Wahl eingegriffen habe. Aber wo sind die Beweise dafür?"

Er halte auch die vielen Filme im Internet, mit denen angebliche schwere Verstöße bei der Wahl am Vortag dokumentiert werden, für unglaubwürdig, sagte Medwedew in Gorki. "Alle reden von hässlichen Szenen, aber zu sehen ist rein gar nichts." Die Behörden sollten die Aufnahmen aber prüfen. Wahlbeobachter hatten beklagt, an Aufnahmen in den Wahlbüros gehindert worden zu sein. Das deutlich schwächere Wahlergebnis für die Regierungspartei bezeichnete er als "Demokratie in Aktion".

Beck: Keine korrekte Wahl

Aus Sicht der Grünen-Bundestagsabgeordneten Marieluise Beck wurde eine korrekte Wahl verhindert. "Zum einen haben Medwedew und Regierungschef Wladimir Putin mit ihrem Ämtertausch den Bogen deutlich überspannt. Viele Wähler hatten das Gefühl, ihnen wird zu viel zugemutet", sagte Beck in Moskau. Zum anderen habe zwar bei ihren Besuchen als Wahlbeobachterin in etwa 15 Wahlbüros nur einen Ausschnitt sehen können. "Nach meinen Informationen hat es aber viel Chaos gegeben sowie immer wieder Wahlurnen, in die ein Wähler gleich mehrere Stimmzettel eingeworfen hat." Sie sprach von einem Wähler, der gleich mit 15 Wahlzetteln ankam.

Beck war als Wahlbeobachterin unterwegs in Moskau.

Beck war als Wahlbeobachterin unterwegs in Moskau.

(Foto: dpa)

Beck kritisierte auch ein "undemokratisches Umfeld" der Abstimmung. "Unabhängige Internetseiten wurden blockiert, zudem ging man der einzigen unabhängigen russischen Wahlbeobachterorganisation Golos an die Gurgel." Im Vorfeld seien Parteien nicht zur Wahl zugelassen worden, und Geeintes Russland habe einen "massiven und dominierenden Zugang" zu den Staatsmedien gehabt.

Medwedew wies die Vorwürfe zurück. Keinesfalls habe die Regierungspartei Geeintes Russland, für die er als Spitzenkandidat angetreten war, im Wahlkampf einen bevorzugten Zugang zu den Staatsmedien gehabt. "Ich habe mit den Chefs der anderen Duma-Parteien telefoniert. Keiner hat sich beschwert."

Westen erwartet Aufklärung

Auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sprach von "häufigen Verfahrensverletzungen und Fällen offensichtlicher Manipulation". Die Bundesregierung zeigte sich "sehr besorgt" über die Angaben der OSZE-Beobachter. Vizeregierungssprecher Georg Streiter sagte, die Bundesregierung rechne damit, dass die aufgeworfenen Fragen "befriedigend aufgeklärt" würden. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Rupert Polenz (CDU), beklagte "massive Behinderungen der Opposition" bei der Parlamentswahl. Dass Einiges Russland dennoch starke Stimmenverluste erlitten habe, zeige, "wie sehr die Unzufriedenheit in der Bevölkerung über Putin gewachsen ist". Der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff (CDU), erklärte: "Der Verlauf der Wahlen gibt Anlass zu ernster Sorge über die innere Entwicklung in Russland."

Auch US-Außenministerin Hillary Clinton sagte am Rande der Afghanistankonferenz in Bonn, sie sei sehr besorgt. Die Russen hätten das Recht, dass alle mutmaßlichen Unregelmäßigkeiten vollständig aufgeklärt würden.

Die Kreml-Partei Einiges Russland hatte bei der Parlamentswahl am Sonntag nach amtlichen Angaben trotz deutlicher Verluste die absolute Mehrheit der Sitze errungen. Wie die Wahlkommission mitteilte, entfallen auf die Partei des Regierungschefs und Präsidenten im Wartestand, Putin, 238 der insgesamt 450 Mandate im Unterhaus.

Auf die kremltreue Jugend "Nashi" kann sich Medwedew verlassen.

Auf die kremltreue Jugend "Nashi" kann sich Medwedew verlassen.

(Foto: REUTERS)

Das Wahlergebnis bedeutet für die Regierungspartei eine deutliche Schlappe. Einiges Russland verfügte bisher in der Staatsduma über die für Verfassungsänderungen erforderliche Zweidrittelmehrheit. Doch die jetzige absolute Mehrheit reicht der Putin-Partei aus, um alleine die Regierung zu bilden. Dabei können die übrigen Duma-Fraktionen – mit Ausnahme der Kommunistischen Partei – ebenfalls dem Putin-Lager zugerechnet werden.

Kommunisten wollen klagen

Die KP belegt mit 92 Sitzen den zweiten Rang, gefolgt von der Mitte-links-Partei Gerechtes Russland mit 64 Sitzen. Die ultranationalistische Liberal-demokratische Partei kommt auf 56 Abgeordnete. Die liberale Jabloko-Partei und andere nicht kreml-nahe Parteien scheiterten an der Sieben-Prozent-Hürde für den Einzug in die Duma.

Die Kommunistische Partei Russlands zieht wegen "massiven Wahlbetrugs" vor Gericht. Nach Veröffentlichung des amtlichen Ergebnisses durch die zentrale Wahlkommission werde die Klage beim Obersten Gerichtshof eingereicht, sagte der Erste Vizepräsident der Partei, Iwan Melnikow. Die Partei werde außerdem vor örtlichen Gerichten wegen Wahlverstößen in mindestens 1600 Wahllokalen klagen.

Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP

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