Satelliten enthüllen Kreml-Pläne Russen graben sich bei Bachmut ein
09.01.2023, 20:26 Uhr
Südlicher Ortsteil von Pokrovske, rund acht Kilometer hinter der Front: Die russische Höckerlinie verläuft quer durch das Dorf.
(Foto: Satellite image ©2023 Maxar Technologies.)
Bilder aus dem All zeigen auffällige Aktivitäten bei Bachmut: Mehrere Kilometer hinter der Front trifft das russische Militär aufwendige Vorkehrungen. Hochauflösenden Satellitenfotos enthüllen Panzersperren, Gräben und Geschützstände - weit abseits der Kampfzone. Anlage und Dimensionen lassen nur einen Schluss zu.
Die Schlacht um Bachmut dauert nun schon fast ein halbes Jahr: Seit August versucht die russische Kriegsmaschinerie hier mit aller Gewalt, die ukrainischen Linien zu durchbrechen. Die Russen - reguläres Militär und Söldner der Wagner-Miliz - beschießen die Stadt und die Umgebung aus allen Rohren. Die ukrainischen Verteidiger feuern aus gedeckten Stellungen zurück. Bisher können sie die Stadt gegen den Ansturm der russischen Übermacht halten.
Der Kampf um Bachmut geht längst über die rein militärische Bedeutung der Stadt hinaus: Bachmut ist zum Symbol geworden für den Widerstandswillen der Ukrainer. Die russische Armee scheint auf die Eroberung Bachmuts fixiert und greift unablässig an: Zeitweise ist die einst 70.000 Einwohner zählende Stadt der einzige Ort entlang der rund 1000 Kilometer langen Frontlinie, an dem sich russischen Truppen noch in der Offensive befinden.
Belastbare Informationen zur Lage an der Front sind rar: Der Generalstab in Kiew hält sich aus Gründen der militärischen Geheimhaltung generell bedeckt. Beobachter vor Ort müssen sorgsam darauf achten, keinerlei lokalisierbaren Informationen zu ukrainischen Positionen zu veröffentlichen. Auf russischer Seite finden sich im Nebel von Spekulationen, Behauptungen und staatlicher Propaganda nur selten greifbare Belege.
Satellitenbilder können in dieser Situation einen unabhängigen Blick von oben beisteuern. Allerdings sind brauchbare Aufnahmen zur Lage in den Kriegsgebieten nicht jederzeit zu haben. Wochenlang lag die Region unter einer dichten Wolkendecke. Kurz nach dem Jahreswechsel jedoch klarte das Wetter zeitweise auf: Die optischen Sensoren kommerzieller Erdbeobachtungssatelliten konnten die Wolkenlücke nutzen und hochauflösende Bilder liefern.
Die aktuellen Aufnahmen aus dem All ermöglichen seltene Einblicke in die Entwicklungen am Boden. Die Aufnahmen des US-Anbieters Maxar stammen vom 4. Januar 2023. Die Fotos, die ntv.de vorliegen, belegen das Ausmaß der Zerstörungen in und um Bachmut. Anhand von Straßenzügen, dem Flusslauf und einzelnen markanten Gebäuden lassen sich die gezeigten Orte Punkten auf der Karte zuordnen und mit älteren Aufnahmen aus derselben Quelle abgleichen.
Nebenbei decken die Satellitenbilder so Hinweise auf bisher geheime Überlegungen auf russischer Seite auf. Die Maxar-Fotos zeigen auffällige Erdarbeiten an mindestens drei Stellen östlich und südöstlich von Bachmut. An den Landstraßen Richtung Popasna und Luhansk haben russische Kräfte aufwendige Sperranlagen errichtet. Sie sind offenbar Teil eines größeren Netzwerks an neuen russischen Verteidigungslinien.

Sinnlose Betonklötze? "Drachenzähne" an der Straße nach Popasna.
(Foto: Satellite image ©2023 Maxar Technologies.)
Die auf den Satellitenbildern erkennbaren Anlagen bestehen größtenteils aus zwei Doppelreihen an höckerartigen Betonhindernissen, sogenannten "Drachenzähnen". Sie sind auf den Fotos aus dem All als parallel laufende gepunktete Linien zu erkennen. Ähnliche Linien haben Wagner-Söldner bereits Anfang Herbst in der Region Luhansk errichtet.
"Drachenzähne" dienen in der Regel als Panzersperren, dafür wurden die rund einen Meter hohen Betonklötze jedenfalls in den 1930er Jahren erfunden: Die Hindernisse sollen angreifende Verbände aufhalten und insbesondere Panzer in vorbereitete Minenfelder oder in die Feuerbereiche getarnter Geschütze lenken. Angelegt werden solche Sperrwerke meist in Verbindung mit Schützengräben, Bunkern und Befehlsständen. Auf den Maxar-Fotos sind tatsächlich auch Gräben und Geschützstellungen zu sehen.
Welchen Zweck verfolgen die russischen Militärplaner mit diesen Arbeiten? Die Verteidigungslinien ziehen sich kilometerweit querfeldein um Ortschaften, Senken und Industrieanlagen herum. Der Bau bindet enorme Mengen an Zeit, Material und Arbeitskräften. Die neuen russischen Abwehrriegel bei Bachmut müssen zwischen Anfang Dezember und Anfang Januar entstanden sein.
Vorbereitungen für einen langen Krieg
Warum bringt das russische Militär knappe Ressource dafür auf, das Gelände hinter den eigenen Angriffsspitzen zu befestigen? Die mysteriösen russischen Anlagen entstehen weit abseits der Hauptkampflinie. Für den russischen Großangriff auf Bachmut haben die Gräben und Stellungen tief im russisch kontrollierten Hinterland keinen erkennbaren Nutzen. Die Höhenzüge im Osten der Stadt sind seit Herbst fest in russischer Hand. In den verlustreichen Kämpfen mussten die Ukrainer zuletzt eher zurückweichen. Anzeichen für eine ukrainische Offensive bei Bachmut gibt es bisher nicht.
Wissen die Befehlshaber im russischen Armeehauptquartier mehr über die Lage an der Front und rechnen deshalb mit einem baldigen erfolgreichen ukrainischen Gegenstoß? Die identifizierten Stellungen sind vom Ortsrand Bachmut bis zu 16 Kilometern entfernt.
Der Bau von Abwehrlinien im Rücken der eigenen Offensive zeugt zumindest nicht von operativer Zuversicht. Geht Putins Invasionsarmee nach monatelang vergeblichen Attacken bei Bachmut etwa die Kraft aus? Sicher zumindest ist: Die russische Seite richtet sich bei Bachmut auf länger anhaltende Kampfhandlungen ein.
Quelle: ntv.de