Politik

Die SPD erlebt ein böses Déjà-vu Schießt Gabriel den Ball zurück?

Große Koalition oder Opposition: Noch mag man sich in der SPD noch nicht eindeutig festlegen.

Große Koalition oder Opposition: Noch mag man sich in der SPD noch nicht eindeutig festlegen.

(Foto: dpa)

Am Tag danach gibt es bei der SPD rote Nelken. Trotz der Niederlage versucht Parteichef Sigmar Gabriel, Optimismus zu verbreiten. Aber die Genossen stehen vor einer Zerreißprobe. Die Sprachformeln des Wahlabends sind längst nicht mehr gültig. Plötzlich hängt doch wieder alles an Gabriel & Co.

Der Tag nach der Niederlage beginnt unaufgeregt. Im Atrium der SPD-Zentrale wendet sich Sigmar Gabriel an Peer Steinbrück: "Danke, dass du an Bord bleibst und mit uns gemeinsam die SPD weiter stärken und führen willst." Steinbrück zitiert kurz später Ex-SPD-Chef Hans-Jochen Vogel, der schon nach der Wahlniederlage 1983 empfohlen hatte: "Weitermachen." Was immer das heißen mag: Die beiden Männer, die in diesem Wahlkampf nicht immer einer Meinung waren, reichen sich die Hand und tauschen gütige Blicke aus. Für Steinbrück gibt es einen Strauß roter Nelken.

Mund abputzen und weiter geht's - so ist die Botschaft am Tag danach. Aber besonders angetan verfolgen die anwesenden SPD-Spitzen das Schauspiel neben der Statue Willy Brandts nicht. Die Partei hat bei der Bundestagswahl nur 25,7 Prozent eingefahren, die politische Landkarte der Republik ist schwarz. Noch gibt man sich betont gelassen. Es gilt die Sprachformel: "Der Ball liegt im Feld von Merkel." Es liege an der Kanzlerin, sich nun eine Mehrheit zu besorgen. Doch die Gelassenheit täuscht, denn es droht Ärger. Der SPD stehen unruhige Tage bevor.

Nachdem am Wahlabend sogar eine absolute Mehrheit für die Union möglich schien, ist für die kommenden vier Jahre ein Szenario wahrscheinlich, das bei vielen Genossen wohl noch unbeliebter ist: die Große Koalition. Der Ball liegt plötzlich auch im eigenen Spielfeld. Im Wahlkampf hatten Gabriel, Steinbrück & Co. Schwarz-Rot noch ausgeschlossen. Aber gilt das noch? Eine Große Koalition sei "sehr, sehr schwierig", sagt die stellvertretende Parteichefin Manuela Schwesig. Gabriel bestätigt allerdings bereits ein Gesprächsangebot der Kanzlerin und erklärt: "Es gibt eine ergebnisoffene Suche nach einer möglichen Regierungsbildung." Noch ziert man sich, aber ausgeschlossen ist offenbar nichts.

"Wir hoffen, dass es die Grünen machen"

Die SPD erlebt ein böses Déjà-vu. Die Erinnerungen sitzen tief. Als Juniorpartner, aber auf Augenhöhe und sogar mit einem Ministerium mehr als die Union - so hatte das letzte Bündnis mit der CDU/CSU 2005 begonnen. Doch vier Jahre später stürzte die SPD auf 23 Prozent ab. Umso größer ist die Unruhe nach dem jüngsten Wahlabend. Für viele Sozialdemokraten steht eigentlich fest: lieber Opposition als noch einmal Große Koalition. "Wir hoffen, dass es die Grünen machen, sonst gibt es eben Neuwahlen", sagt ein SPD-Bundestagsabgeordneter n-tv.de.

Besonders groß sind die Vorbehalte beim linken Parteiflügel. Hier überwiegt die Sorge, dass sich die Linkspartei während einer Großen Koalition zugunsten der SPD profilieren könnte. Wenn, dann müsse ein "echter Politikwechsel" stattfinden, sagt die Sprecherin der Parteilinken, Hilde Mattheis. Das sei nicht als Juniorpartner möglich. Bei den SPD-Linken liebäugelt man lieber mit der vermeintlich zweiten Variante: Rot-Rot-Grün. "Ich bin nicht dafür, die Türen zuzuschlagen", so Mattheis. Auf viel Zustimmung stößt ein mögliches Linksbündnis in der Partei jedoch insgesamt nicht. Ein solches Experiment ist angesichts der knappen Mehrheit wohl genauso undenkbar wie die Möglichkeit, es auf Neuwahlen ankommen zu lassen.

Tatsächlich dürfte die Parteispitze bereits in dieser Woche die Weichen für eine Große Koalition stellen. An diesem Dienstag wählt die neue Fraktion ihren Vorsitzenden. Wahrscheinlich entscheiden sich die 192 Abgeordneten erneut für Frank-Walter Steinmeier. Sogar Gabriel, der nicht gerade als großer Steinmeier-Freund gilt, will dessen Wiederwahl unterstützen. Am Freitag könnte der Parteikonvent dann bestimmen, wohin die Reise geht. Bedingungen für Koalitionsverhandlungen will man bis dahin nicht nennen. "Wir haben keine Eile", heißt es bei den Genossen. 2005 einigten sich SPD und Union erst knapp zwei Monate nach der Wahl auf einen Koalitionsvertrag. Auch diesmal bliebe genug Zeit, um neue Sprachformeln zu finden, die den Schwenk auf das ungeliebte Bündnis rechtfertigen.

"Gabriel hat kein Problem"

"Der Weg zurück zu großer Stärke ist länger als gedacht", sagte Gabriel noch am Wahlabend. Aber so ausgeprägt die Abneigung auch ist: Sowohl der Parteichef als auch Steinmeier sind erfahrene Großkoalitionäre, beide waren im ersten Kabinett Merkels Minister. Eine Erkenntnis dürfte den umstrittenen Schritt zu Schwarz-Rot rechtfertigen. Auch die vier Jahre in der Opposition verhalfen der SPD zuletzt nicht zum erhofften Aufschwung. Regieren oder opponieren: Keine der beiden Varianten erwies sich in der Rückschau als besser.

Wo auch immer der Weg der SPD hinführt: In der Führungsriege deuten sich noch keine größeren Wechsel an. Mit Schuldzuweisungen hält man sich auffällig zurück. Rufe nach NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, die immer wieder ins Spiel gebracht wurde, gibt es bisher nicht. Das Wahlergebnis ist zwar nicht gut, aber eben doch nicht schlecht genug für eine Palastrevolution. Auch weil sich zuletzt niemand profilieren konnte, der sich für einen Spitzenposten aufdrängt. "Worin soll der Sinn liegen, jetzt über einzelne Leute herzufallen?", sagt Ralf Stegner, der schleswig-holsteinische Landeschef und Parteilinke. Gabriel muss wohl nicht um seinen Posten bangen. "Gabriel hat kein Problem", sagt ein Genosse n-tv.de.

In der Zerreißprobe, die der SPD bevorsteht, ist das nicht die schlechteste Voraussetzung. Für Gabriel, auf den es in den kommenden Tagen stärker denn je ankommt, geht es auch persönlich um viel. In einer Großen Koalition könnte er Vizekanzler werden. Seine Partei muss sich entscheiden. Nun geht es darum, den Ball zurück zur Union zu schießen. Oder eben nicht.

Quelle: ntv.de

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