Politik

Sigmar Gabriel kämpft um den Parteivorsitz Was wird aus "Siggi Pop"?

Seit 2009 ist Sigmar Gabriel SPD-Chef, aber bleibt er es auch nach der Bundestagswahl?

Seit 2009 ist Sigmar Gabriel SPD-Chef, aber bleibt er es auch nach der Bundestagswahl?

(Foto: picture alliance / dpa)

Ein paar Prozentpunkte rauf, das fühlt sich gut an: Die Umfragen bescheren der SPD Aufwind. Während Peer Steinbrück tapfer um jede Stimme kämpft, muss ein anderer Genosse immer mehr um seine Zukunft zittern: Parteichef Gabriel. Ein potenzieller Nachfolger bringt sich bereits in Stellung.

Die glückliche SPD-Familie? Gabriel, Steinbrück, Steinmeier, Kraft und Scholz beim Deutschlandfest der Partei.

Die glückliche SPD-Familie? Gabriel, Steinbrück, Steinmeier, Kraft und Scholz beim Deutschlandfest der Partei.

(Foto: imago stock&people)

Es sind Halbsätze, die in der Politik manchmal viel verraten. "Ich finde, die SPD sollte das sozialliberale Erbe antreten. Es kommt darauf an, wirtschaftliche und soziale Fragen nicht als Gegensatz, sondern als Einheit zu begreifen", forderte Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz kürzlich gegenüber der "Welt". Während der sonst so besonnene Hanseat in die Offensive ging, gab sich ein anderer ungewohnt kleinlaut. "Vielleicht bin ich dann weg", sagte Sigmar Gabriel der "Zeit" über die persönlichen Konsequenzen einer möglichen Wahlniederlage.

Eineinhalb Wochen vor der Wahl steigt die Anspannung: In den Umfragen gab es zuletzt zwar einen leichten Aufschwung für die SPD, aber das Wunschbündnis mit den Grünen liegt in weiter Ferne. Im Schlussspurt setzt man auf die Mobilisierung der unentschlossenen Wähler durch Hausbesuche. Aber immer mehr Sozialdemokraten denken schon an die Zeit nach dem 22. September. Klar ist: Kanzlerkandidat Peer Steinbrück tritt in den Ruhestand, wenn es für Rot-Grün nicht reichen sollte. Ungewiss ist hingegen das Schicksal Gabriels.

An der Basis beliebt, im Vorstand umstritten

Vielen gilt der selbstbewusste Niedersachse als der Hauptverantwortliche für den lange Zeit durchwachsenen Wahlkampf. "Für Steinbrück gab es keine Kampagne, keine Bühne, keine Mitarbeiter, da gab es nichts", klagte Ex-Parteichef Franz Müntefering zuletzt. Der Kanzlerkandidat sei "alleine gelassen" worden. Die Kritik stieß auf viel Gehör bei den Genossen und galt wohl vor allem dem Mann, der Steinbrücks Blitz-Kür im September 2012 zu verantworten hat: Gabriel. Nicht frei von Reibereien ist auch das Verhältnis zwischen dem Parteichef und Steinbrück. Wohl nie zuvor hat ein Kanzlerkandidat seinen eigenen Vorsitzenden so heftig gemaßregelt wie Steinbrück. "Ich erwarte, dass sich alle - auch der Parteivorsitzende - in den nächsten 100 Tagen konstruktiv und loyal hinter den Spitzenkandidaten und die Kampagne stellen", sagte Steinbrück im Juni dem "Spiegel". Deutlicher geht's nicht.

Geholfen hat der Tadel nicht. Denn auch nach Gabriels Vorstoß zur Einführung eines Tempolimits schien es mehrfach so, als versuche der 54-Jährige, den Wahlkämpfern in die Parade zu fahren. Immer wieder wunderten sich die Genossen über die Alleingänge Gabriels. Zunächst relativierte dieser die Steuererhöhungspläne, mit denen die Partei seit Monaten wirbt. Vor ein paar Tagen forderte er die Abschaffung der Hausaufgaben. Im Wahlprogramm steht davon nichts.

Dabei genießt Gabriel vor allem an der Basis große Sympathien. Im Vergleich zu den Technokraten Steinbrück und Steinmeier gilt er, der seit seiner Zeit als "Beauftragter für Popkultur und Popdiskurs" den Spitznamen "Siggi Pop" trägt, als authentisch. Für Besuche in kleinen Ortsvereinen ist er sich nicht zu schade. Viele Mitglieder schätzen außerdem, dass er die Partei nach der heftigen Wahlschlappe 2009 innerlich ausgesöhnt und die Mitbestimmung gestärkt hat. Erstmals konnten die Wähler das Programm in diesem Jahr mitschreiben. Doch nach Gabriels Alleingängen ist vor allem in Fraktion und Vorstand die Anzahl seiner Gegner gewachsen. Viele halten ihn für unzuverlässig und aktionistisch.

Keiner will schuld sein

Was passiert also am Wahlabend nach 18 Uhr im Falle einer Niederlage? Friedlich dürften die Kämpfe um die neue Hierarchie an der Spitze jedenfalls nicht verlaufen. Steinmeier, der drittwichtigste Mann im Gefüge, ist nicht gerade der größte Freund des Parteichefs. Gabriel schreibt dem Fraktionschef die Schuld am vermeintlichen Konsenskurs der SPD in Sachen Eurorettung ebenso zu wie die Sturzgeburt von Steinbrücks Kür. Als Steinmeier vor einem Jahr gegenüber Journalisten seinen Verzicht auf eine Kandidatur deutlich gemacht hatte, war Gabriel plötzlich zum Handeln gezwungen. "Er behauptet ja, das sei nicht seine Absicht gewesen", sagt der Parteichef dazu heute spitz. Der Konflikt zwischen den beiden ist nur allzu offensichtlich: Keiner will am Ende schuld sein an einer Wahlniederlage.

Parteichef Gabriel und Olaf Scholz, Erster Bürgermeister Hamburgs.

Parteichef Gabriel und Olaf Scholz, Erster Bürgermeister Hamburgs.

(Foto: picture alliance / dpa)

Wie es nach dem 22. September weitergehen könnte, schwebt Gabriel offenbar schon vor. Im Alleingang kündigte er Mitte August einen Parteikonvent für den Dienstag nach der Wahl an. Bei einem unklaren Ausgang sollen die Parteimitglieder hier über das weitere Vorgehen und mögliche Koalitionen entscheiden. Für Spekulationen bietet die Veranstaltung viel Raum. Für den Parteichef ist der Konvent die optimale Gelegenheit, seine Macht zu festigen.

Theoretisch könnte er sich hier sogar den Rückhalt holen, um sich zum Kanzler oder Vize einer rot-rot-grünen oder Großen Koalition wählen zu lassen. Bei den Mitgliedern kann Gabriel punkten, wenn er sie nach ihrer Meinung fragt. Die Basis schätzt keine einsamen Entscheidungen wie 2005 oder 2009, als Spitzengenossen in Hinterzimmern den neuen Kurs bestimmt hatten. Steinmeier und Gabriel würden ihre Posten gerne behalten. Liegt das Wahlergebnis in der Nähe der mageren 23 Prozent, die die Partei bei der letzten Bundestagswahl einfuhr, scheint das völlig unrealistisch. Mit den alten Köpfen in den Schlüsselpositionen in eine bessere Zeit? Ein glaubhaftes Signal für einen Umbruch wäre das nicht gerade.

Der Gegenentwurf zu Gabriel

Die aussichtsreichsten Vertreter für einen Neuanfang sind längst ausgemacht. Hannelore Kraft gibt sich hinsichtlich ihrer bundespolitischen Ambitionen zurückhaltend. Von einer möglichen Rebellion gegen Gabriel nach einer Wahlniederlage will sie nichts wissen. Auch eine Jobgarantie will sie ihm nicht aussprechen. Noch beharrt Kraft auf der Haltung: "Ich konzentriere mich auf NRW." Ob sie das auch aufrechterhalten kann, wenn die Partei sie bittet?

Während Kraft derzeit jedes Wort mit Bedacht wählt, hat ein anderer, dem viele künftig eine gewichtigere Position zutrauen, die Tarnkappe weniger tief ins Gesicht gezogen: Olaf Scholz. Zwischen 2002 und 2004, während der Einführung der umstrittenen Agenda 2010, bewährte er sich als Generalsekretär bereits in der ersten Reihe der Partei. Neben Steinmeier, Kraft und Nahles gehört er intern zu den prominentesten Gabriel-Kritikern.

Doch so deutlich wie jetzt zeigte er das noch nie. Dass ausgerechnet Scholz die Genossen eineinhalb Wochen vor der Wahl an ihr sozialliberales Erbe erinnerte, wurde nicht nur in der Berliner Parteizentrale mit großer Aufmerksamkeit registriert. Auch in Richtung Gabriel mochte sich Scholz einen Seitenhieb nicht verkneifen: Der Parteichef könne "sicher in der einen oder anderen Frage auch mal sagen, welche Meinung er nur persönlich vertritt". Bringt sich da etwa jemand in Stellung? Für Scholz, vom Typ her eigentlich ein Gegenentwurf zum oft lauten Parteichef, war das jedenfalls eine Kampfansage.

Quelle: ntv.de

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