Frontverlauf im Satellitenbild So greift Russland bei Awdijiwka an


Blick aus der Distanz auf die Lage an der Front: Die Ukrainer kämpfen um ihre Freiheit.
(Foto: REUTERS)
Schwere Kämpfe im Osten der Ukraine: Seit fast vier Wochen schon versucht Russlands Invasionsarmee mit aller Macht, die ukrainische Awdijiwka einzukesseln - bisher ohne größere Erfolge. Ein Blick auf die Karte zeigt, an welchen Stellen die russischen Attacken ansetzen.
Die Schlacht um Awdijiwka begann Anfang Oktober: Während die Welt noch auf die Folgen des Hamas-Überfalls auf Israel blickte, ging die russische Invasionsarmee in der Ukraine zum Großangriff über. Mehrere Tage lang feuerte russische Artillerie ab dem 6. Oktober aus allen Rohren Richtung Stadtgebiet. Am 10. Oktober setzten sich dann die ersten russischen Angriffskolonnen in Bewegung.
In gestreckter Formation rollten Kampf- und Schützenpanzer hinter speziell ausgerüsteten Minenräumfahrzeugen Richtung Front. Seitdem wird bei Awdijiwka gekämpft. Pausenlos greifen russische Stoßtrupps an.

Satellitenbild mit eingezeichnetem Frontverlauf: die Lage bei Awdijiwka Anfang November.
(Foto: ntv.de Daten, Satellitenbild © ESA / Sentinel Hub)
Für die erhofften Offensiverfolge muss Awdijiwka den russischen Militärplanern nahezu ideal gelegen erscheinen: Seit den Kämpfen im vergangenen Frühjahr ragten hier zwei größere Frontvorsprünge tief hinein ins ukrainische Hinterland. Die Innenstadt von Awdijiwka liegt mitsamt ihren Industrieanlagen rund um das Kokerei-Werk und der alten Bahnstrecke in einer tiefen Ausbuchtung der Front.
Schon vor dem Großangriff war die Stadt von drei Seiten aus von russischen Kräften umgeben und gelegentlichen Artilleriebeschuss ausgesetzt. Nach dem mehrtägigen Dauerbeschuss von Anfang Oktober versprach die Situation vor Ort schnelle militärische Erfolge: Awdijiwka liegt in vergleichsweise flachem Gelände. Mit einer einfachen Zangenbewegung, so das Kalkül der Angriffsoperationen, könnte die russische Armee Awdijiwka rasch einkesseln. Tatsächlich scheinen sich die russischen Vorstöße auf diese beiden Frontvorsprünge nordöstlich und südwestlich der Stadt zu konzentrieren.
Voraussetzung für eine russische Einkesselung von Awdijiwka wären allerdings größere Durchbrüche in den ukrainischen Linien. Danach sieht es bisher - trotz heftigster russischer Sturmangriffe - nicht aus. Die Verteidiger wehren bisher alle größeren Attacken ab. Die russischen Angriffskolonnen bleiben inmitten ausgedehnter Minenfelder im ukrainischen Abwehrfeuer liegen. Drohnenaufnahmen deuten nach Einschätzung britischer Militärexperten auf außergewöhnlich hohe russische Verluste hin. Rücksichtslos greifen die russischen Truppen trotzdem unablässig weiter an.
Stadt zu Festung umgebaut
Einige geografische Gegebenheiten scheinen die Verteidigung von Awdijiwka zu begünstigen. Im Norden und Nordosten zum Beispiel schirmen der Bahndamm und die weithin sichtbaren Industrieanlagen der Kokerei die Stadt wie ein Bollwerk ab. Bisher ist es den Russen nicht gelungen, bis nach Stepowe und Berdytschi über den Bahndamm vorzudringen. Nach Osten hin dagegen fällt das Gelände deutlich ab: Hier windet sich ein schmaler Bachlauf von Donezk kommend nach Norden. Awdijiwka liegt auf einer leichten Anhöhe.
Im Süden folgt der Frontverlauf streckenweise der alten Nordumfahrung von Donezk. Die autobahnähnlich ausgebaute Trasse bietet gute Deckung und war - wie etwa bei Pisky - schon vor Monaten Schauplatz intensiver Gefechte. Im Südwesten von Awdijiwka verläuft mit den Zuflüssen der Wodiana eine Kette an aufgestauten Tümpeln und Teichen. Für Panzer und Truppentransporter ist dieses natürliche Geländehindernis bei Opytne und Wodjane nur an wenigen Stellen passierbar.
Dazu kommt: Die ukrainischen Verteidiger sind auf die russischen Angriffe offenbar gut vorbereitet. Drohnen halten jede Bewegung hinter den russischen Linien im Blick. Ukrainische Geschützbatterien nehmen angreifende russische Verbände mit Präzisions- und Cluster-Munition unter Beschuss. Die brachliegenden Felder in der Umgebung sind vermint. Um jede Baumreihe wird erbittert gekämpft. Die ganze Stadt, so mutmaßen Beobachter, ist längst zu einer Festung ausgebaut.
Die Schlacht um Awdijiwka könnte durchaus den weiteren Verlauf des Krieges beeinflussen: Die Russen versuchen allem Anschein nach, noch vor dem Beginn des Winters einen größeren militärischen Erfolg zu erzwingen. Die Ukrainer sehen dagegen eine weitere Chance, der Militärmaschinerie des Kreml empfindliche Verluste beizubringen. Die Stadt selbst ist von seinen Bewohnern unterdessen weitgehend verlassen. Große Teile der einst gut 30.000 Einwohner zählenden Donbass-Vorstadt liegen bereits in Trümmern.
Der einstige Industrie-Standort Awdijiwka befand sich seit Kriegsbeginn nahe der Front. Das Stadtzentrum von Donezk liegt nur gut 15 Kilometer Luftlinie entfernt. Am südlichen Stadtrand von Awdijiwka standen sich seit 2014 russisch-treue "Separatisten" und die freie Ukraine gegenüber. Die alte "Kontaktlinie" aus den gescheiterten Minsker Abkommen verlief zwischen den beiden Städten. Der zerstörte Großflughafen von Donezk befindet sich nur rund sieben Kilometer südwestlich von Awdijiwka.
Quelle: ntv.de