Steinbrück trifft zum letzten Mal auf Merkel Schlauer als nötig
03.09.2013, 13:43 Uhr
Peer Steinbrück würde der Kanzlerin gerne ins Wort fallen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Peer Steinbrück gibt sich alle Mühe, klüger zu wirken als Angela Merkel. Das gelingt ihm an diesem Vormittag sogar manchmal. Die Deutschen wollen allerdings etwas ganz anderes von ihrem Kanzler.
Wer sich intensiv mit Politik beschäftigt, kann einer Steinbrück-Rede stundenlang zuhören. Nicht zufällig war er ein gefragter Redner mit hohen Honoraren. Wer genau hinhört, kann an diesem Vormittag verfolgen, wie er im Bundestag genüsslich den Euro-Kurs Deutschlands seziert und darlegt, wie die Euro-Zone schleichend zu einer "Haftungsgemeinschaft" wird. Obwohl die Stimmung im Plenarsaal aufgeheizt ist und Steinbrück provozierend Richtung CDU guckt, kommen keine Zwischenrufe, kein "stimmt doch gar nicht", wie man das gewohnt ist. Steinbrück hat einen wunden Punkt getroffen.
Dass Steinbrück ein einzelnes Haar in der Suppe findet, lässt die Kanzlerin eher kalt. Aber in den letzten Tagen, besonders beim TV-Duell, konnte sich der SPD-Kandidat als kluger Sachpolitiker präsentieren. Der Politiker, der oft eher wie ein dröger Beamter daherkommt, schaffte es zum ersten Mal, Merkel inhaltlich gefährlich zu werden. Auch diese letzte Debatte im Bundestag war geeignet, aufmerksame Zuhörer von der SPD-Politik zu überzeugen.
Kleine Schritte gegen Risiko
Die Frage ist, ob es reicht, um die grundsätzlich zufriedenen Bürger in die Wahlkabinen zu bringen. Während es in Europa knarzt und kracht, liegt Deutschland ruhig da und freut sich seiner sinkenden Neuverschuldung. Im Ausland würde es wohl kaum jemand verstehen, wenn die Deutschen in dieser Situation eine Kanzlerin abwählen, in deren Regierungszeit das Land zur unangefochtenen Nummer Eins in Europa wurde.
Die Deutschen können wählen zwischen einer vertrauten Person, die sich mit zaghaften Schritten durch die Krise tastet und einem scharfzüngigen Analytiker, der trotz aller Unsicherheiten die Wirtschaft mit einem Mindestlohn umkrempeln möchte.
Merkel, die Kindergärtnerin

In der Zuhörer-Position fühlt sich Merkel sichtlich unwohler als am Rednerpult.
(Foto: picture alliance / dpa)
Um das Gefühl einer handwerklich soliden Politik aufrecht zu erhalten, doziert Merkel an diesem Vormittag wieder einmal die ganze Palette ihrer Themen: Leiharbeit, Rente, Steuern, Staatsausgaben, Demografie, Pflege, Gesundheit, Familie, Bildung, Kommunen, Energie, Euro, Finanzmärkte. Alles oberflächlich, alles verständlich, alles zitierfähig knapp. Sie lobt "die Menschen in diesem Land", etwa pflegende Familienangehörige: Sie seien die "stillen Helden". Die Koalitionsfraktionen applaudieren brav. "Wir haben die Leiharbeit sozial gemacht", sagt sie und nimmt das demonstrative Gelächter der Opposition ruhig hin.
Als ihr die Zwischenrufe zu laut werden, spielt sie wieder die behütende Mutter der Nation: "Ich trag hier nur Fakten vor, und da ist schon so ein Geschrei." Und später, als es um die Eurorettung geht: "Wenn man dem zugestimmt hat, ist es doch gar nicht sinnvoll, hier so ein Geschrei zu entfachen." Das klingt wie die Nachsicht einer Kindergärtnerin, die ja weiß, wie aufgeregt die Kleinen gerade sind. Über ihren Spitznamen "Mutti" kann sich Merkel wirklich nicht beschweren. So richtig angreifen will und muss sie die Opposition nicht. Ihr schlimmster Vorwurf ist, "dass Sie sich gar nicht freuen können über die Situation in Deutschland".
"Über allen Gipfeln ist Ruh"
"Sie sind ja sehr genügsam", antwortet Steinbrück und versucht dann, seine argumentative Stärke auszuspielen. Beim Thema Pkw-Maut erfreut er sich an dem Keil, den er zwischen CDU und CSU getrieben hat. Er zitiert die Senkung der Hotelier-Steuer und das Betreuungsgeld – zwei Themen, die die Kanzlerin ausgelassen hatte. 50 Gipfel habe die Regierung veranstaltet, ohne dass dabei konkrete Ergebnisse herausgekommen wären. "Über allen Gipfeln ist Ruh", deklamiert er.
Einen weiteren Trumpf glaubt Steinbrück gefunden zu haben. Die Kanzlerin beschwerte sich offensichtlich in einem Interview über die SPD: Diese sei "europapolitisch unverantwortlich". Noch ist das Gespräch nicht veröffentlicht. Wenn es erscheint, will Steinbrück eine Debatte über den vermeintlich unfairen Wahlkampf der CDU, darum erwähnt er das Interview schon jetzt an prominenter Stelle.
"Deutschlands Zukunft in guten Händen"
Die Zeit spielt für Steinbrück. Je näher die Wahl rückt, desto mehr interessieren sich die Wähler für konkrete Politik, desto eher sind sie bereit, sich auf seine komplizierten Erklärungen einzulassen. Allerdings sollte auch Steinbrück eigentlich langsam verstanden haben, dass ein Begriff wie "staatliche Transferleistungen", den Zuhörern schwer im Magen liegt. Am 22. September wählen die Deutschen ein Parlament mit rund 600 Abgeordneten. De facto entscheiden sie sich aber vor allem für einen Kanzler und machen ihre Wahl von persönlicher Zuneigung abhängig. Wie sollen sie sich einem Kandidaten zugeneigt fühlen, den sie nicht verstehen?
Die Botschaft der Kanzlerin ist dagegen so klar, wie sie nur sein kann: Vertraut mir einfach, auch bisher ist alles gut gegangen. "Sie kennen mich", sagte sie im TV-Duell und seit Montag hängt ein Bild der Merkel-Raute übergroß vor dem Berliner Hauptbahnhof. Der Slogan: "Deutschlands Zukunft in guten Händen." Die Deutschen sehnen sich nach Sicherheit, die CDU hat das erkannt. Steinbrück wird es da kaum helfen, wenn er einmal eine Unschlüssigkeit in der Regierungspolitik entdeckt.
Quelle: ntv.de