Galgenfrist für Maaßen Senkt Seehofer jetzt den Daumen?
10.09.2018, 16:56 Uhr
Der Bericht liegt vor - die Frage ist nur, ob die Argumente von Hans-Georg Maaßen (l.) den Innenminister überzeugen.
(Foto: imago/photothek)
Noch zwei Termine und eine Bierzeltrede - dann will sich Bundesinnnenminister Horst Seehofer den Bericht von Verfassungsschützer Hans-Georg Maaßen vornehmen. Ob der Behördenchef seinen Job behalten darf, hängt maßgeblich vom Urteil Seehofers ab. Doch der steht mittlerweile selbst unter Beschuss. Schon wieder. n-tv.de klärt die wichtigsten Fragen zum aktuellen Stand der Dinge:
Wie wahrscheinlich ist der Abgang von Maaßen als Verfassungsschutzchef?
Der politische Druck, der auf Hans-Georg Maaßen lastet, ist immens. Sowohl aus den Reihen der SPD als auch vonseiten der Grünen und Linken gab es in den vergangenen Tagen heftige Kritik - und auch Rücktrittsforderungen. Die SPD-Spitze stellte dem Verfassungsschutzchef gar ein Ultimatum: Entweder er liefere für seine Thesen zu Chemnitz Belege, oder er sei in seinem Amt nicht mehr zu halten. Selbst die CDU steht nicht mehr vorbehaltlos hinter Maaßen. "Ich glaube, wer eine solche These vertritt, der ist auch verpflichtet, die Beweise dafür zu liefern. Das muss jetzt schnell in der Öffentlichkeit erfolgen", sagte CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer bei n-tv. Das letzte Wort hat als verantwortlicher Minister aber Horst Seehofer.
Bis wann muss sich Seehofer im Fall Maaßen entscheiden?
Seehofer hatte Maaßen eine Frist gesetzt, um Belege für seine Behauptungen über die Vorkommnisse in Chemnitz zu liefern. Gegen Mittag ging sein Bericht beim Ministerium ein. Was drin steht, wisse er noch nicht, sagte Seehofer in München. Er wolle die Bewertung in Ruhe vornehmen. "Ich habe noch zwei Termine, dann ein Bierzelt", sagte er. "Ich komme erst deutlich nach Mitternacht nach Berlin." Und erst dann will der Minister seine Schlussfolgerungen ziehen. Nach eigener Aussage geht es ihm insbesondere darum zu klären, ob es in Chemnitz Hetzjagden gegeben hat und ob ein Video von einem Übergriff Rechtsextremer auf Migranten, das zuerst in den sozialen Netzwerken kursierte, authentisch ist. Letztere sei die wichtigere Frage. Maaßen hatte die Echtheit des Materials in einem Interview angezweifelt.
Warum gibt es überhaupt solch einen Wirbel um die Äußerungen von Maaßen?
Der "Bild"-Zeitung hatte Maaßen gesagt, es lägen seinem Amt keine belastbaren Informationen darüber vor, dass es in Chemnitz Hetzjagden auf Ausländer gegeben habe. Damit widersprach er der Einschätzung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, deren Sprecher, Steffen Seibert, zuvor von "Hetzjagden" und "Zusammenrottungen" gesprochen hatte. Maaßen sagte, es gebe außerdem "gute Gründe" für die Annahme, dass es sich bei dem Video von einem Übergriff auf Migranten in Chemnitz "um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord abzulenken". Unter anderem SPD-Vize Ralf Stegner warf ihm daraufhin vor, die Ereignisse zu verharmlosen.
Warum sprach Maaßen in dem Interview vom Mord an Daniel H.?
Auch das ist eine der vielen Fragen, die Maaßen mit seinen Andeutungen in dem Interview aufgeworfen hat. Denn aus dem Haftbefehl, der vom Amtsgericht in Chemnitz gegen einen der beiden mutmaßlichen Täter im Fall des getöteten 35-jährigen Daniel H. ausgestellt wurde, ist vom Vorwurf des Totschlags die Rede - nicht von Mord. Liegen dem Verfassungsschutz in diesem Zusammenhang andere Erkenntnisse vor als den Ermittlungsbehörden? Auch dies müsste Maaßen belegen. Wenn nicht, würde er sich durch den unbelegten Mordvorwurf zusätzlich angreifbar machen.
Gibt es Beweise dafür, dass mit Falschinformationen von der Tat abgelenkt werden sollte?
Nein, jedenfalls nicht offiziell. Die Quelle des umstrittenen Videos aus Chemnitz ist zwar unbekannt, aber einige Indizien sprechen für die Echtheit des Materials. Der Account "Antifa Zeckenbiss", der das Video im Netz verbreitete, hat es nach eigenen Angaben "in einer patriotischen Gruppe gefunden". Zeugenaussagen, weitere Videos von Augenzeugen sowie das Wetter und die Kleidung der Gefilmten stützen die Vermutung, dass es sich um authentisches Material handelt. Auch die Generalstaatsanwaltschaft in Dresden sieht keine Hinweise für eine Fälschung.
Warum ging Maaßen mit seinen Zweifeln überhaupt an die Öffentlichkeit?
Dazu gibt es verschiedene Theorien. Seehofer selbst erklärte auf ARD-Nachfrage, er sei von Maaßen über dessen Zweifel und seinen Wunsch, damit an die Öffentlichkeit zu gehen, informiert worden. "Wenn solche Zweifel vorhanden sind, darf man diese Meinung als Minister nicht unterdrücken", so Seehofer. Eine Absprache über die Inhalte soll es - trotz anderslautender Berichte - aber nicht gegeben haben. "Die Verantwortung für Formulierungen und seine Thesen hat er", sagte der Minister. Glaubt man dieser Lesart, ging es Maaßen in der Debatte also nur um Aufklärung. Allerdings blieb er - gemessen an diesem Anspruch - in den Details vage und trug eher zu Verunsicherung statt Aufklärung bei. Eine zweite Lesart ist deshalb, dass es Maaßen vor allem um eine Attacke gegen die Kanzlerin ging.
Warum hat niemand die Kanzlerin über die Zweifel in Bezug auf Hetzjagden informiert?
Nach Informationen der "Süddeutsche Zeitung" soll Verfassungsschutzchef Maaßen in dem umstrittenen Interview einem "Gefühl der Verwunderung und Verärgerung darüber" Ausdruck verliehen haben, dass sich Kanzlerin Merkel schon so früh auf eine Einschätzung der Ereignisse in Chemnitz festlegte - und das, ohne zuvor die Sicherheitsbehörden anzuhören. Dazu passt auch die Antwort von Innenminister Seehofer auf die Frage, warum er Merkel nicht über die Zweifel Maaßens informiert habe: "Mich hat aus dem Kanzleramt niemand danach gefragt."
Was bedeutet der Fall Maaßen für Innenminister Seehofer?
Der Ärger um Maaßens Äußerungen setzt auch Seehofer zu. Zwar hat er dem Verfassungsschutzchef sein "uneingeschränktes Vertrauen" ausgesprochen - allerdings ohne dessen Informationslage zu Chemnitz genau zu kennen. "Er wird schon seine Gründe haben, warum er zu diesen Zweifeln kam", erklärte Seehofer. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter hält diese Loyalität für vorschnell. Er fordert neben der Ablösung von Maaßen nun auch den Rücktritt Seehofers. Ähnlich äußert sich auch Grünen-Chef Robert Habeck bei n-tv. Seehofer habe "sich als Innenminister diskreditiert und im Fall Maaßen zu lange geschwiegen. Er muss jetzt entweder die Konsequenz ziehen und Maaßen entlassen oder er ist tatsächlich der falsche Innenminister. Er wirkt überfordert." Seehofer selbst sieht sich eher als Opfer einer Kampagne. "Das läuft doch seit Tagen, diese Welle, da sage ich gar nichts dazu", so Seehofer angesichts der Kritik.
Welches Licht wirft die Causa Maaßen auf die Regierungsarbeit von Merkel?
Es hakt im Getriebe. So viel ist sicher. FDP-Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann zeichnet ein verheerendes Bild, das die Regierung derzeit nach außen abgibt. "Der Fall Maaßen zeigt erneut das schlechteste Regierungsmanagement in der Geschichte der Bundesrepublik", sagte Buschmann der Deutschen Presse-Agentur. "Ein Behördenchef widerspricht der Regierungschefin, der zuständige Fachminister Seehofer applaudiert, der Koalitionspartner SPD lamentiert und nirgendwo ist ein Verfahren erkennbar, um die Situation zu klären." Merkel müsse nun "von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch machen", so der Liberale. Parteichef Christian Lindner fordete zumindest eine Erklärung Merkels.
Wie sieht die Zukunft des Verfassungsschutzes aus?
Schon jetzt fordern die Linken, aber auch die Grünen die Auflösung des Bundesamts für Verfassungsschutz - vor allem, weil "das Wissen, dass dieser Geheimdienst staatstreu agiert" schwer angekratzt sei, wie es Grünen-Chef Habeck bei n-tv formuliert hat. Das hat zwar nicht nur etwas mit der Personalie Maaßen zu tun, allerdings hat der oberste Verfassungsschützer durch seine Treffen mit mehreren AfD-Parteigrößen und seinen angeblichen Versuchen, einen V-Mann im Umfeld von Weihnachtsmarktattentäter Anis Amri zu verheimlichen, maßgeblich zum Glaubwürdigkeitsverlust der Behörde beigetragen. Ob allein seine Ablösung die Wogen glätten könnte, ist fraglich. Denn Pannen gab es in der jüngeren Geschichte des Verfassungschutzes genug: Man denke etwa an das erste NPD-Verbotsverfahren 2001, das eingestellt werden musste, weil zu viele V-Leute in der Führungsebene der Partei aktiv waren. Oder an die geschredderten Akten über V-Männer im Umfeld des NSU.
Quelle: ntv.de, jug