Politik

Unbeirrbare, Schläfer, IS 2.0 So geht es mit dem IS weiter

Ein irakischer Soldat untersucht in Mossul einen Zugtunnel mit einer Wandmalerei der IS-Flagge. Er soll von IS-Kämpfern als Trainingscamp genutzt worden sein.

Ein irakischer Soldat untersucht in Mossul einen Zugtunnel mit einer Wandmalerei der IS-Flagge. Er soll von IS-Kämpfern als Trainingscamp genutzt worden sein.

(Foto: dpa)

Der Islamische Staat ist dabei, seine Hochburg Mossul zu verlieren. Das Kalifat ist fast pleite. Der IS ist damit aber nicht am Ende. Szenarien, was IS-Kämpfer in Zukunft tun werden.

Wenn die irakische Großstadt Mossul erst einmal vom Islamischen Staat (IS) befreit ist, ist das Ende der Terrormiliz mitsamt ihrem selbst ernannten Kalifat nah. So ein verbreiteter Glaube. Tatsächlich fährt der IS in Syrien und im Irak seit Monaten eine Niederlage nach der anderen ein. Seit Herbst des vergangenen Jahres erobert die irakische Armee Mossul nach und nach zurück. Zuletzt meldete sie, der strategisch wichtige historische Bahnhof der Stadt sei wieder unter ihrer Kontrolle. Die Kämpfe befreien möglicherweise Hunderttausende Zivilisten von der Herrschaft des IS und erzeugen gleichzeitig vielfach neues Leid derer, die zwischen die Fronten geraten. Sie bedeuten trotzdem nicht das Ende des IS.

Vom Kalifat, das IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi im Sommer 2014 ausgerufen hatte und das sich zeitweise über riesige Gebiete im Irak und Syrien erstreckte, ist zwar schon jetzt nicht mehr viel übrig. Vor einem Monat meldete das Internationale Zentrum für Radikalismusstudien in London (ICSR), dass der Gebieteverlust zu signifikantem Geldmangel beim IS geführt habe. Die Vertreibung des IS aus Mossul, dem bisherigen Handels- und Finanzzentrum der Dschihadisten, würde das noch einmal verstärken. Trotzdem heißt es in dem ICSR-Bericht: "Es ist viel zu früh, um einen Sieg zu verkünden."

Der harte Kern kämpft bis zuletzt

Terrorexperten warnen seit Längerem, dass aus dem IS eine weltweit operierende Guerilla-Organisation entstehen könnte. Doch das ist nur ein Teil der möglichen Zukunft der Terrormiliz. Auf der Internetseite "Defense One", einer US-amerikanischen Plattform für Militärthemen, beschreiben zwei Politikwissenschaftler noch mehr Szenarien. Als "Hardcore-Kämpfer" bezeichnen sie diejenigen Dschihadisten, die sich immer noch im Kampfgebiet aufhalten und bis zum letzten Atemzug für ihren Wahn einstehen wollen. Dazu zählt der innerste Kreis um Al-Baghdadi, von dem es vergangene Woche allerdings hieß, er sei geflohen. Dazu zählen auch die Dschihadisten, die momentan in Mossul Tausende Zivilisten als menschliche Schutzschilde missbrauchen.

Dass die von der irakischen Armee umzingelten IS-Kämpfer nicht längst geflohen sind, kann aber auch weit banalere Gründe haben. Andrew Exum, der ehemalige Vize-Ministerialdirektor für Verteidigung der US-Regierung für den Nahen Osten, schreibt auf demselben Portal: "Wir gehen oft davon aus, dass der Feind seine Situation besser einschätzt, als er es tatsächlich tut. … Es ist gut möglich, dass die Kämpfer des Islamischen Staats einfach nicht erkannt haben, wie sehr sie in die Enge gedrängt worden sind, bis es fast zu spät war." Charakteristisch sei aber auch, dass viele IS-Leute aus umstellten Städten fliehen und nur eine Rumpfmannschaft dort verbleibt.

Diejenigen Mitglieder des IS, die diese möglicherweise letzte große Schlacht überleben, werden sich mit großer Wahrscheinlichkeit in abgelegene Gebiete des Iraks zurückziehen und einen "IS 2.0" gründen, meinen Colin P. Clarke und Amarnath Amarasingam bei "Defense One". Abgesehen von vereinzelten Anschlägen würden sie sich zunächst ausruhen und wiederbewaffnen. Damit würde sich die Geschichte wiederholen. Auf die gleiche Weise entstand um 2011 der IS aus den Resten der ursprünglichen Terrororganisation Al-Kaida im Irak, die in den 2000er Jahren den irakischen Bürgerkrieg aufgemischt hatte.

Al-Kaida, die Mutter aller transnationalen Dschihadistengruppen der vergangenen Jahre, führte jahrelang ein Schattendasein neben dem IS, der weltweit die Schlagzeilen beherrschte. Die beiden Organisationen, die von außen betrachtet die gleiche radikalislamische Ideologie teilen, waren sich spinnefeind. Das könnte sich ändern. Manche Terrorexperten gehen davon aus, dass die Reste des IS und Al-Kaida mittelfristig eine neue Allianz eingehen könnten.

Terrormigranten und gefährliche Rückkehrer

Eine zweite Gruppe bilden nicht-syrische und nicht-irakische IS-Kämpfer, die nicht in ihre Heimatländer zurückkehren können. Sie tragen den Dschihad in andere instabile Länder wie Libyen, Jemen, westafrikanische Staaten oder Afghanistan. Diese Terrormigration hat bereits begonnen, könnte aber weiter zunehmen. Vor Ort dürften kampferprobte IS-Kämpfer, die auf welchen Wegen auch immer die nächsten Schlachtfelder erreichen, von Sympathisanten und Gleichgesinnten freudig empfangen werden, schreiben Clarke und Amarasingam.

Die dritte und für den Westen gefährlichste Gruppe bilden die Rückkehrer. Sie beschäftigen die Sicherheitsbehörden in europäischen Staaten, Asien und den USA in besonderem Maße. Doch wer sind diese Rückkehrer und was haben sie vor? Auch unter ihnen gibt es Unterschiede. Es gibt die Desillusionierten, die aus Idealismus oder anderen unrealistischen Motiven in den Dschihad gezogen und enttäuscht worden sind. Viele von ihnen ringen mit psychischen Folgen des Erlebten und haben, salopp ausgedrückt, einen Knacks. Ohne psychologische Hilfe sind die Desillusionierten tickende Zeitbomben.

Andere IS-Mitglieder kehren in ihre Heimat zurück, sind aber nicht desillusioniert. Sie haben vielleicht mit dem IS als Organisation gebrochen, nicht aber mit der radikalislamischen Idee des Dschihad. Das macht sie anfällig für die Mitgliedschaft in anderen islamistischen Gruppen. Die größte Herausforderung für die Sicherheitsbehörden sind indes die Schläfer. Sie kehren in ihre Heimatländer zurück, um dort Anschläge zu verüben. Sie bleiben mit der IS-Führung im Nahen Osten in Kontakt, stehen zum Teil sogar unter deren Kommando. Das Todeskommando von Paris bestand zum Teil aus solchen Syrien-Rückkehrern und beging im November 2015 die bislang folgenschwersten Terrorattentate mit über 130 Toten. US-Analysten sehen eine steigende Gefahr solcher Attentate. Hunderte Schläfer hätten bereits in Europa Unterschlupf gefunden, Hunderte weitere stünden an der Schwelle zu Europa in der Türkei bereit.

Quelle: ntv.de

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