CDU fürchtet Partei von rechts Steinbach weiter unter Druck
10.09.2010, 19:30 Uhr
Der Fall Steinbach wird zur Diskussion um die Ausrichtung der CDU.
(Foto: dpa)
Aus der CDU-Spitze will sich Vertriebenenpräsidentin Steinbach zurückziehen. Doch die Opposition fordert weitere Schritte. Auch aus dem Menschenrechtsausschuss des Bundestages solle sie sich verabschieden, heißt es. Die Union debattiert derweil ihr konservatives Profil - und fürchtet sich bereits vor einer Partei, die sie rechts überholt.
Auch nach ihrem angekündigten Rückzug aus der CDU-Spitze steht Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach massiv unter Druck. Als weitere Konsequenz ihrer umstrittenen Äußerungen zur Rolle Polens beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verlangen SPD und Grüne die Abberufung der Abgeordneten aus dem Menschenrechtsausschuss des Bundestages.
Unionsfraktionschef Volker Kauder wies die Forderungen jedoch zurück. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel nahm Steinbach in Schutz. FDP-Außenminister Guido Westerwelle warf der 67-Jährigen dagegen erneut indirekt vor, dem Ansehen Deutschlands "großen Schaden" zuzufügen. Die polnische Regierung sieht die politische Karriere Steinbachs vor dem Aus.
Die Unterstützung für das in Berlin geplante Vertriebenenzentrum bröckelt unterdessen weiter. Nach dem vorläufigen Ausstieg des Zentralrats der Juden aus dem Stiftungsrat ließen die Sinti und Roma aus Protest gegen die Steinbach-Äußerung ihren Sitz im wissenschaftlichen Beirat ruhen.
Debatte um Parteiprofil
In der Union heizt Steinbachs Entscheidung derweil die Debatte über schwindendes konservatives Profil an. Der CSU-Europaabgeordnete Bernd Posselt warnte vor einer Spaltung der Union und der Entstehung einer Protestpartei rechts von CDU und CSU.
Steinbach hatte ihre Rückzugsentscheidung mit Indiskretionen in ihrer Partei und einer zunehmenden Isolierung der Konservativen begründet. Zuvor war eine ihrer Äußerungen aus einer nicht öffentlichen Sitzung des Fraktionsvorstands nach außen getragen worden: "Und ich kann es auch leider nicht ändern, dass Polen bereits im März 1939 mobil gemacht hat."
Der Historiker Jochen Böhler sagte dazu n-tv.de, ein solcher Satz gehe "doch sehr stark an der historischen Wirklichkeit vorbei". Polen sei im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs nicht der Aggressor gewesen. Die Teilmobilmachung vom 23. März 1939 sei eine Reaktion auf den deutschen Einmarsch in die sogenannten Rest-Tschechei gewesen.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, hält Steinbach wegen dieser Äußerung als Mitglied des Menschenrechtsausschusses für unhaltbar. "Wer so unsensibel revisionistische Thesen verteidigt wie sie, ist nicht geeignet, in wichtigen menschenrechtlichen und historischen Fragen sachgemäß zu urteilen", sagte er dem "Spiegel". Er nannte Steinbach "eine Giftmischerin für die deutsch-polnische Aussöhnung". Auch Grünen-Fraktionschefin Renate Künast forderte den Abzug Steinbachs aus dem Ausschuss.
"Damit ist der Fall für uns gegessen"
CDU-Chefin Merkel und Generalsekretär Hermann Gröhe bedauerten den Rückzug Steinbachs aus der Parteispitze dagegen. Merkel wertete die Interpretationen der Äußerungen Steinbachs als überzogen. Auch Fraktionschef Kauder nahm Steinbach in Schutz. Sie habe die klare Verantwortung des Dritten Reichs für Verbrechen nicht infrage gestellt. "Damit ist der Fall für uns gegessen." Für "nicht notwendig" hält Kauder eine Diskussion über ein schärferes konservatives Profil der Union. Er selbst gelte ja auch als Konservativer und fühle sich im Parteivorstand überhaupt nicht isoliert, sagte Kauder.

Kanzlerin Merkel (l) bedauert Steinbachs Rückzug aus der Parteispitze.
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Zuvor hatte der Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Posselt, den Verzicht Steinbachs auf ihren CDU-Spitzenposten als "ein erstes Zeichen der Desintegration" in der Schwesterpartei bezeichnet. "Wenn sich rechts von der CDU eine Protestpartei etabliert, dann hat das auch Auswirkungen auf die CSU", sagte der CSU-Europaabgeordnete der "Mitteldeutschen Zeitung". Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier sieht die Union dagegen weiter als natürliche Heimat der Konservativen an. Die Gefahr, dass sich eine Partei am rechten Rand etablieren könnte, sehe er nicht, erklärte der CDU-Politiker in Wiesbaden.
Der Berliner Ex-CDU-Abgeordnete René Stadtkewitz will bis Ende des Jahres mit zwei Mitstreitern eine neue Partei "Die Freiheit" gründen. Der 45-Jährige begründete diesen Schritt mit seinem Ausschluss aus der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und der "Hetzjagd" auf Ex-Bundesbanker Thilo Sarrazin (SPD) wegen abweichender Meinungen. "Das Volk will den erhobenen Zeigefinger der Politik nicht mehr", sagte der radikale Islamkritiker.
" Für immer am Rand des politischen Spektrums"
Polens Außenminister Radoslaw Sikorski nannte die Äußerung Steinbachs skandalös. Sie zeige, "dass Politiker wie Erika Steinbach sich für immer am Rand des politischen Spektrums befinden". Der polnische Botschafter in Deutschland, Marek Prawda, verglich die Worte Steinbachs sogar mit Nazi-Propaganda: "Die Aussagen, die wir jetzt aus den Teilen des Bundes der Vertriebenen hören müssen, erinnern an die Aussagen aus weniger rühmlichen Zeiten. Der Nazi-Propaganda ging es darum, die Kriegsschuld auf andere zu schieben", sagte er der "Passauer Neuen Presse".
Westerwelle wandte sich erneut gegen "Zweideutigkeiten" in der Debatte über die deutsche Schuld am Zweiten Weltkrieg. "Wer hier zweideutig spricht, wer hier uminterpretiert, umdeutet, der muss wissen, dass er einen ganz großen Schaden auch dem Ansehen unseres Landes im Ausland zufügt", sagte er.
Das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma stieg bis auf weiteres aus dem Wissenschaftlichen Beraterkreis der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" aus. Der Vorsitzende Romani Rose erklärte, die Äußerung Steinbachs komme einer Leugnung der deutschen Kriegsschuld gleich.
Anfang der Woche hatte der Zentralrat der Juden bereits seine Mitgliedschaft im Stiftungsrat ruhen lassen. Vizepräsident Salomon Korn sagte im NDR, eine Rückkehr sei möglich, wenn der Bund der Vertriebenen zwei seiner stellvertretenden Mitglieder zurückziehe. Dabei handelt es sich um Hartmut Saenger und Arnold Tölg, deren umstrittene Äußerungen zum Zweiten Weltkrieg Auslöser der Einlassungen Steinbachs waren.
Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP