Zwei Soldaten sterben, General Kneip verletzt Taliban-Anschlag wirft Fragen auf
28.05.2011, 22:15 UhrNoch nie ist ein Attentäter der Taliban so nah an einen ISAF-Kommandeur gekommen. Trotz schwerer Bewachung wird General Kneip bei einem Anschlag verletzt. Zwei Deutsche und mehrere Afghanen sterben. Die Tat zeigt die Anfälligkeit des NATO-Sicherheitskonzeptes. Das "Partnering" zwischen einheimischen und westlichen Truppen steht auf dem Prüfstand.

Afghanische Sicherheitskräfte inspizieren den Tatort.
(Foto: AP)
Der Gouverneur der nordafghanischen Provinz Tachar, Abdul Jabar Taqwa, empfängt am Samstag hohen Besuch in seinem Büro. Der Kommandeur der Internationalen Schutztruppe ISAF für Nordafghanistan, Bundeswehr-General Markus Kneip, ist angereist. Unter den Teilnehmern des Treffens sind auch die Kommandeure der afghanischen Polizei und Armee für den Norden, die Generäle Daud Daud und Salmai Wesa. Was die Teilnehmer nicht wissen: Unter den Sicherheitskräften, die sie eigentlich schützen sollen, ist anscheinend mindestens ein Selbstmordattentäter der Taliban.
Das zumindest legen Informationen aus zuverlässigen Quellen kurz nach dem Anschlag nahe. Es heißt, der Attentäter habe eine Polizeiuniform getragen und sei Teil der Sicherungskräfte bei der Konferenz am Sitz des Gouverneurs in der Provinzhauptstadt Talokan gewesen. Als die Teilnehmer das Büro des Gouverneurs im zweiten Stock des Gebäudes verlassen hätten und auf dem Weg nach draußen gewesen seien, sei der Attentäter auf die Gruppe zugegangen. Als er sie erreichte, habe er in der Eingangshalle seinen Sprengstoff gezündet.
Detonation in der Eingangshalle
Ein deutscher Teilnehmer des Treffens beschreibt, er sei noch auf der Treppe auf dem Weg nach unten gewesen, als es in der Eingangshalle zunächst zu einer Detonation gekommen sei. Anschließend seien Schüsse zu hören gewesen, möglicherweise sei Munition in dem Feuer detoniert, das nach dem Anschlag ausbrach. Ihm sei dann unverletzt eine abenteuerliche Flucht aus dem Gebäude gelungen. Nach kurzer Zeit seien vom Bundeswehr-Camp in Talokan Soldaten angerückt.
General Wesa ist kurz nach dem Anschlag noch merklich schockiert. "Ich hatte meine Splitterschutzweste angelegt und war ein paar Meter hinter den anderen, als der Selbstmordattentäter zuschlug", schildert er die tödlichen Sekunden. Gouverneur Taqwa, Polizeichef Daud und General Kneip seien vorne gelaufen und bei der Explosion zu Boden gegangen. "Ich bin kein Arzt, aber er (Kneip) muss zumindest verletzt worden sein." Kneip wird tatsächlich verwundet, zwei deutsche Soldaten sterben.
Nordafghanistans Polizeichef Daud ist unter den mindestens sieben Toten, es ist der hochrangigste Verlust der afghanischen Polizei bislang. Der Polizeichef Tachars gehört ebenfalls zu den Ermordeten. Der Gouverneur und drei deutsche Soldaten sind unter den neun Verletzten. Nie zuvor ist es den Aufständischen gelungen, einen General aus Deutschland oder einer anderen ISAF-Nation bei einem Anschlag zu treffen. Das bislang hochrangigste deutsche Opfer in Afghanistan war ein Oberstleutnant.
Kritik am Partnering
In der Vergangenheit haben Attentäter in Uniform immer häufiger Anschläge auf ausländische Soldaten verübt. Erst im Februar starben drei deutsche Soldaten auf einem Außenposten, als ein afghanischer Soldat das Feuer auf sie eröffnete. Dieser Fall aber ist in seiner Schwere beispiellos. Das Ausmaß der Folgen für die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft und der afghanischen Regierung um Sicherheit und Stabilität im Land ist noch gar nicht abzusehen.
Der Anschlag wirft die Frage auf, ob ausländische Soldaten ihren angeblichen Partnern - nämlich den afghanischen Sicherheitskräften - überhaupt noch vertrauen können. Dabei gilt die enge Zusammenarbeit - das so genannte Partnering - zwischen internationalen und einheimischen Sicherheitskräften als Schlüssel dafür, das angestrebte Ziel der NATO zu erreichen: Die ausländischen Kampftruppen bis 2014 abzuziehen. Beim Partnering operieren Ausländer gemeinsam mit den Afghanen. Die einheimischen Kräfte sollen dafür ausgebildet werden, die Verantwortung für die Sicherheit in ihrem eigenen Land zu übernehmen. Das Attentat stellt das Konzept nun erneut in Frage.
"Das Partnering kann man jetzt eigentlich nur noch für tot erklären", urteilt ein deutscher Afghanistan-Fachmann, der nicht namentlich genannt werden möchte. "Vielleicht ist der Zeitpunkt gekommen, darüber nachzudenken, ob wir Sicherheit noch so gewährleisten können, wie wir uns das in der Vergangenheit vorgestellt haben." Und ein deutscher Sicherheitsexperte sagt: "Wir können jetzt keinem afghanischen Uniformträger mehr trauen."
Quelle: ntv.de, dpa