Afghanische Armee ohne Chance Taliban verteidigen Kundus
30.09.2015, 10:26 Uhr
Die afghanische Armee gibt sich alle Mühe, die Eroberung von Kundus durch die Taliban rückgängig zu machen. Doch Zeugen in der Stadt zufolge kriegt die Truppe nicht einmal den Nachschub geregelt. Von Rückeroberung kann bisher keine Rede sein.
Am Flughafen der nordafghanischen Provinzhauptstadt Kundus haben sich Taliban und Regierungstruppen schwere Gefechte um den Flughafen geliefert. "Die Taliban haben die ganze Nacht angegriffen", sagte ein Provinzratsmitglied, das sich dort aufhält. Der Flughafen liegt am Stadtrand in der Nähe des früheren Bundeswehr-Feldlagers auf einem Hügel.
Die Gegenoffensive der Regierung zur Rückeroberung von Kundus macht demnach keine Fortschritte. "Die Taliban halten weiter ihre Stellungen. Die Verstärkungen aus Kabul und Tachar sind in Hinterhalte geraten und konnten Kundus nicht erreichen", sagte der Provinzrat. Er habe ernste Zweifel an der Fähigkeit der Regierung, Kundus zurückzuerobern, "wenn sie nicht einmal erfolgreich Verstärkung schicken kann".
Auf dem Luftweg sind nach Angaben aus Sicherheitskreisen mehrere Hundert Mann Verstärkung eingetroffen. Der afghanische Geheimdienst NDS teilte mit, der Schattengouverneur der Taliban für die Provinz Kundus, Maulawi Abdul Salam, und Dutzende weitere Aufständische seien bei einem Luftangriff getötet worden. Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid wies das zurück und sagte, Salam führe den Angriff auf den Flughafenhügel an.
USA schicken fliegende Hilfe
Ein Militärsprecher der USA sagte, die US-Streitkräfte hätten einen Luftangriff in der Nähe des Flughafens geflogen. Die Militärmacht sicherte der afghanischen Regierung ihre Unterstützung zu. Washington werde genügend Mittel bereitstellen, um die in den vergangenen 13 Jahren gemachten Landgewinne zu schützen, sagte Pentagonsprecher Peter Cook. Die Lage in Kundus bleibe nach der Eroberung der Stadt durch die radikalislamischen Taliban "fließend", sagte Cook.

Die Taliban haben die Kontrolle über Kundus. An den Einfahrtsstraßen kontrollieren sie alle, die in die Stadt hinein- oder hinauswollen.
(Foto: AP)
Die USA hatten die Gegenoffensive der afghanischen Streitkräfte neben dem Luftangriff auch mit Überwachungsflügen unterstützt, sich beim Vormarsch der Taliban sonst aber zurückgehalten. Grund für diese Entscheidung sei die mögliche Gefahr für die Zivilbevölkerung gewesen, sagte Cook. Die afghanischen Streitkräfte machten eine "schwierige Zeit" durch. Die USA würden weiter mit Präsident Aschraf Ghani kooperieren, der die Rückeroberung der Provinzhauptstadt versprochen hatte.
Nato-Spezialeinheiten treffen ein
Am Tag nach der Einnahme der Stadt trafen in der Region Nato-Soldaten ein, die die afghanische Armee im Kampf gegen die Taliban unterstützen sollen. Die Spezialkräfte seien bereits vor Ort, um ihre afghanischen Kollegen zu beraten, erklärte ein Sprecher des Militärbündnisses.
Dabei soll es sich dem Vernehmen nach um Soldaten aus Deutschland, Großbritannien und den USA handeln. Wie viele Soldaten nach Kundus geschickt wurden, war nicht bekannt. Das Bundesverteidigungsministerium in Berlin hatte bereits am Vortag zeitweise ein Erkundungsteam der in Masar-i-Scharif stationierten Bundeswehr-Einheiten nach Kundus entsandt.
Die Taliban hatten den früheren Bundeswehr-Standort am Montag mit rund 2000 Kämpfern erobert und damit erstmals seit ihrer Entmachtung im Jahr 2001 wieder die Kontrolle über eine größere afghanische Stadt übernommen. Die Extremisten befreiten hunderte Häftlinge aus dem Gefängnis von Kundus, setzten Regierungsgebäude in Brand, darunter die Geheimdienstzentrale, und hissten ihre weißen Flaggen. Im Internet kündigten sie die Einführung des islamischen Rechts der Scharia an.
Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen bekräftigte indes ihre Forderung, den Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan von der Sicherheitslage vor Ort abhängig zu machen. "Man kann nicht am starren Muster den Rückzug festlegen, sondern wir haben gemeinsam festgelegt, dass wir von der Lage abhängig uns zurückziehen wollen", sagte die CDU-Politikerin. Erfahrungen aus der Region hätten gezeigt, "dass es wichtig ist, nicht zu früh ein Land gerade bei der Herstellung der Sicherheit sich selbst zu überlassen, das noch fragil ist".
Quelle: ntv.de, nsc/AFP/dpa