Gaddafi zunehmend isoliert Tausende Ausländer fliehen aus Libyen
26.02.2011, 22:06 Uhr
Eine Maschine der Royal Air Force hat Ausländer aus Libyen nach Malta gebracht.
(Foto: AP)
Die USA und Deutschland demonstrieren gegenüber dem libyschen Machthaber Gaddafi Einigkeit. US-Präsident Obama und Bundeskanzlerin Merkel betonen, Gaddafi habe jegliche Legitimität verloren, und dringen auf rasche UN-Sanktionen. Darüber berät in New York der Weltsicherheitsrat. Die deutsche Luftwaffe und die britische Royal Air Force fliegen Ausländer aus. Frankreich bricht die diplomatischen Beziehungen zu Tripolis ab.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat mit US-Präsident Barack Obama telefoniert und mit ihm die Lage in Libyen erörtert. Beide seien sich einig darüber gewesen, dass der libysche Machthaber Muammar al-Gaddafi jegliche Legitimität verloren habe, teilte Vize-Regierungssprecher Christoph Steegmans in Berlin mit. Beide teilten demnach die Ansicht, Gaddafis gegen die eigene Bevölkerung gerichteten Aktionen "endlich ein Ende finden" müssten. Merkel und Obama hofften auf die rasche Verabschiedung von Sanktionen durch den UN-Sicherheitsrat.
Im Sicherheitsrat wurde nach Angaben von Diplomaten unterdessen weiter über Sanktionen diskutiert. Für Streit sorge die Frage, ob sich der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag mit dem Vorgehen der libyschen Staatsführung gegen die Bevölkerung befassen solle. Für Sanktionen gebe es aber eine breite Unterstützung. Bei Kämpfen zwischen Sicherheitskräften und der Opposition kamen in den vergangenen Tagen Tausende Menschen in Libyen ums Leben.
Die USA hatten bereits am Freitag bilaterale Sanktionen in Kraft gesetzt. Auch die EU-Mitgliedstaaten verständigten sich auf Strafmaßnahmen, die jedoch noch formell beschlossen werden müssen. Bundesaußenminister Guido Westerwelle kritisierte das Handeln der EU als "zu zögerlich". Weil sich die Union nicht schon eher auf Sanktionen gegen Gaddafi verständigt hatte, habe Deutschland zusammen m it anderen Staaten auf einen schärferen Kurs gedrungen, sagte der FDP-Politiker der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Außerdem forderte Westerwelle: "Der Diktator kann nicht bleiben." Gaddafis engster Verbündeter in Europa, der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi, sagte, dass Gaddafi nicht mehr Herr der Lage sei.
Frankreich bricht diplomatische Beziehungen ab
Das Außenministerium in teilte mit, dass Frankreich seine Beziehungen zur Regierung Gaddafi abgebrochen habe. Das Botschaftspersonal in Tripolis sei evakuiert worden.
Angesichts der dramatischen Lage in Libyen dauert der Exodus der Ausländer an: Die chinesische Regierung brachte nach eigenen Angaben fast 16.000 der mehr als 30.000 in Libyen lebenden Chinesen in Sicherheit. Auch Indien bemühte sich, einige seiner 18.000 in Libyen arbeitenden Landsleute in Sicherheit zu bringen.
Den ganzen Samstag über wurden tausende Ausländer über den Luft-, See- oder Landweg außer Landes gebracht. Ein britisches Kriegsschiff und eine von China gecharterte Fähre brachten allein rund 2500 Menschen auf die Mittelmeerinsel Malta. Auch zwei Maschinen der britischen Luftwaffe landeten mit 150 Menschen an Bord auf Malta; sie hatten sie in Wüstencamps aufgegriffen. Bundeskanzlerin Merkel vereinbarte mit ihrem britischen Kollegen David Cameron in einem Telefonat eine "enge Zusammenarbeit" bei der Evakuierung noch in Libyen ausharrender Deutscher und Briten.
Deutsche Luftwaffe fliegt Ausländer nach Kreta
Mit zwei "Transall"-Transportmaschinen hat sich die Bundeswehr an einer Evakuierungsaktion für festsitzende Ausländer beteiligt. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes wurden am Samstag 133 Ausländer in Sicherheit gebracht, darunter Dutzende Deutsche und andere EU-Bürger. "Ich bin sehr erleichtert, dass diese Evakuierungsaktion geglückt ist", erklärte Außenminister Guido Westerwelle. Nach Schätzungen seines Ministeriums befinden sich noch etwa 100 Deutsche in Libyen, die Hälfte davon im Landesinnern. Der Krisenstab bemühe sich weiterhin mit Hochdruck, den Menschen die Ausreise zu ermöglichen.
Westerwelle hatte die Aktion den Angaben zufolge am Freitag mit Kanzlerin erkel und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg abgestimmt. Zudem seien die Vorsitzenden aller Bundestagsfraktionen informiert worden. Aus deutschen Regierungskreisen verlautete, die beiden Maschinen seien am Samstagnachmittag im Mittelmeerstaat Kreta gestartet und am Abend dorthin zurückgekehrt. "Ziel der Evakuierung war ein Ort im Landesinneren Libyens, an dem sich ausländische Staatsangehörige gesammelt hatten." Auch eine Maschine der britischen Streitkräfte beteiligte sich an der Aktion.
USA verhängen Sanktionen
Die USA hatten am Freitag Sanktionen gegen die libysche Regierung verhängt. US-Präsident Barack Obama unterzeichnete eine entsprechende Direktive. Auch die Europäische Union hat sich im Grundsatz auf Sanktionen gegen das energiereiche Land geeinigt. Es herrsche Einigkeit, dass die Aktionen der libyschen Regierung nicht hingenommen und Brutalität sowie Einschüchterungen nicht akzeptabel seien, sagte der britische Premierminister David Cameron nach Telefonaten mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, Berlusconi und dem türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan.
Das Sanktionspaket der EU, das formal voraussichtlich Anfang kommender Woche beschlossen werden soll, enthält auch das Einfrieren von Vermögenswerten des Gaddafi-Clans in Europa. Frankreich hat bereits die Überwachung aller Konten des libyschen Staatschefs und seines engsten Führungszirkels veranlasst. Alle Finanzakteure seien aufgefordert, jede verdächtige Kontobewegung sofort zu melden, erklärte die für den Kampf gegen Geldwäsche zuständige Abteilung des Pariser Finanzministeriums am Samstag. Frankreich hatte sich wegen der brutalen Gewalt gegen die Bevölkerung wiederholt für Sanktionen gegen Libyens Führung ausgesprochen.
Sicherheitsrat kommt Sanktionen näher

Die amtierende Sicherheitsrats-Präsidentin Ribeiro Viotti ist sich sicher: Die UNO steht vor der Annahme eines Sanktionsbeschlusses.
(Foto: AP)
In New York setzte der Weltsicherheitsrat inzwischen seine Beratungen über die Einleitung von Strafmaßnahmen fort. Im höchsten UN-Gremium herrscht weitgehend Übereinstimmung darüber, Maßnahmen zu beschließen, die das Regime in Tripolis von weiteren Gräueltaten gegen die Bevölkerung abhalten sollen. Die amtierende Präsidentin des 15-Länder-Gremiums, Maria Luiza Ribeiro Viotti, gab sich optimistisch. Sie halte es durchaus für möglich, dass die Resolution noch am Wochenende verabschiedet wird.
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon will am Montag in Washington mit US-Präsident Barack Obama über weitere Druckmittel der internationalen Gemeinschaft auf Gaddafi sprechen.
In einer Krisensitzung am Freitag hatte Ban das zuständige Entscheidungsgremium in New York zur Eile getrieben. "Es ist an der Zeit, dass der Sicherheitsrat konkrete Aktionen erwägt", mahnte er. Angesichts der dramatischen Entwicklung in Libyen "bedeutet vergeudete Zeit höhere Verluste an Menschenleben". Das Gremium, dem seit Jahresbeginn auch Deutschland angehört, reagierte ungewöhnlich schnell: Eine Stunde später trug Ribeiro Viotti die Erklärung der 15 Ratsmitglieder vor.
Ähnlich wie das von der EU geplante Sanktionspaket sieht der UN-Resolutionsentwurf ein striktes Waffenembargo vor. Die Konten des Gaddafi-Clans sollen eingefroren und Einreiseverbote gegen seine Mitglieder verhängt werden. Ob sich die Bundesregierung mit einem weiteren Punkt durchsetzen kann, war zunächst noch nicht abzusehen. Deutschland schlug vor, den Internationalen Strafgerichtshof einzuschalten, damit die Verantwortlichen für das Blutvergießen in Libyen zur Rechenschaft gezogen werden. Die Resolution würde alle UN-Mitgliedsstaaten verpflichten, die Maßnahmen innerhalb von drei Monaten auf jeweiliger Landesebene umzusetzen.
Gaddafi nicht mehr Herr der Lage
Gaddafi entgleitet inzwischen immer mehr die Macht. Am Samstag verloren seine Anhänger auch die Kontrolle über Teile der Hauptstadt Tripolis. Die Sicherheitskräfte zogen sich Anwohnern zufolge aus dem Arbeiterviertel Tadschura zurück. In der Nacht hätten die Anhänger Gaddafis noch auf Demonstranten geschossen, die sich auf den Weg zum Grünen Platz im Zentrum der Stadt gemacht hätten. Dabei seien fünf Menschen ums Leben gekommen. Eine Bestätigung für die Zahl gab es nicht.
Tripolis ist die letzte große Stadt in Libyen, die Gaddafi noch geblieben ist. Seine Gegner haben bereits weite Landesteile im Osten im Griff. Auch mehrere Städte westlich von Tripolis werden inzwischen von Aufständischen kontrolliert. Gaddafis Sohn Saif al-Islam sagte im Sender Al-Arabija, Ostlibyen könne sich nicht vom Rest des Landes abspalten. Noch am Freitag hatte der 38-Jährige erklärt, dass der Frieden nach Libyen zurückkehre. In dem Interview sprach er jedoch davon, es gebe Anzeichen für einen Bürgerkrieg und Einmischung aus dem Ausland. Zuvor hatte sein Vater seine Gefolgsleute zum Durchhalten aufgerufen.
Ölförderung sinkt
In Folge der Unruhen ist die Förderung an einigen ostlibyschen Ölfeldern einem Manager um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Nach Angaben aus der Ölindustrie außerhalb Libyens sind die Exporte aus dem zwölftgrößten Förderland der Erde seit dem Beginn des Aufstandes praktisch zum Erliegen gekommen. Libyen ist für zwei Prozent der weltweiten Produktion verantwortlich. Der größte Teil der Felder liegt im Osten des Landes, über den Gaddafi die Kontrolle verloren hat. Die Sorge vor einer Ölkrise nahm zum Wochenschluss leicht ab. Der weltgrößte Ölexporteur Saudi-Arabien will für die libyschen Ausfälle einspringen.
Quelle: ntv.de, hdr/AFP/dpa/rts