Politik

Klasse und Rasse in den USA Trump kanalisiert die Wut der weißen Männer

Gefühle statt Politik: Donald Trump will die USA wieder "great" machen.

Gefühle statt Politik: Donald Trump will die USA wieder "great" machen.

(Foto: AP)

Donald Trump zieht zornige weiße Männer an, weil er über Gefühle spricht statt über Politik, sagt der Soziologe Michael Kimmel. "Trump begeistert sie, weil sie sich verletzlich fühlen und wirtschaftliche Ängste haben. Und nebenbei bemerkt: Sie haben recht damit."

n-tv.de: Warum sind so viele Männer in den USA so zornig?

Michael Kimmel ist Soziologe und Männerforscher. Sein Buch "Angry White Men" erschien 2015 bei Orell Füssli.

Michael Kimmel ist Soziologe und Männerforscher. Sein Buch "Angry White Men" erschien 2015 bei Orell Füssli.

(Foto: privat)

Michael Kimmel: Ökonomisch gesehen gehören weiße Männer in den USA und in Europa zu den am stärksten privilegierten Menschen, die je auf dieser Erde gelebt haben.

Warum sind sie dann so wütend?

Ich erzähle Ihnen mal, wie ich auf die Idee kam, das Buch über die zornigen weißen Männer zu schreiben. Vor einigen Jahren wurde ich zu einer Talkshow eingeladen. Die anderen Gäste waren weiße Männer, die glaubten, dass sie Opfer umgekehrter Diskriminierung am Arbeitsplatz seien, vor allem durch "affirmative action".

Eine Praxis, die Minderheiten in den USA fördern soll.

Der Titel der Sendung war ein Zitat eines dieser Männer: "Eine schwarze Frau hat meinen Job geklaut." Ich hatte eigentlich nur eine Frage: Wie kommt ihr darauf, dass es euer Job war, den die Frau bekommen hat? Viele Männer denken, sie hätten ein natürliches Recht auf bestimmte Positionen. Stellen Sie sich einmal vor, Sie seien ein Feudalherr und würden auf einmal gezwungen, sich demokratischen Regeln zu unterwerfen. Sie würden das hassen! Früher hatten weiße Männer in den USA 95 Prozent an Macht und Reichtum, heute sind es 85 Prozent. Das sehen viele als gewaltigen Verlust, als Kränkung und Erniedrigung – Gefühle, die häufig Wut auslösen. Ich nenne das kränkende Enteignung.

Sind es eher Frauen oder eher ethnische Minderheiten, von denen sich diese Männer bedroht fühlen?

Weiße Frauen, schwarze Frauen, schwarze Männer – es sind alle, die den Job "nicht verdient haben". Dass im Titel der Sendung eine schwarze Frau vorkam, war nur eine Zuspitzung.

Trump spricht die Sprache der Erniedrigten.

Trump spricht die Sprache der Erniedrigten.

(Foto: REUTERS)

Lassen Sie uns über Donald Trump reden. Ist er ein zorniger weißer Mann?

Was Donald Trump sagt, trifft das Gefühl des zornigen weißen Mannes. Trump schafft es, die Wut zu kanalisieren, dass "unser Amerika" angeblich vom ersten Platz verdrängt worden ist. Das ist auch die Botschaft der Tea Party: Wir müssen uns "unser Amerika" zurückholen. Aus ihrer Sicht sind immer die anderen das Problem: Die Mexikaner sind schuld, die Muslime sind schuld. Das ist klassische rassistische Demagogie. Wenn man Trump zuhört, merkt man, dass aus ihm der Zorn der Erniedrigung spricht. "Wir haben unseren Platz verloren", "wir sind nicht mehr die Nummer eins", "Obama hat dafür gesorgt, dass Amerika nicht mehr das großartigste Land der Welt ist", "wir werden verdrängt" – das ist die Sprache der Erniedrigten.

Wie schafft es Trump, dass ganz normale Wähler ihn, einen Milliardär, als einen der ihren ansehen?

Sein Trick ist, dass er nicht über Politik spricht, sondern über Gefühle. Er sagt: Vertraut mir! Ich werde tolle Leute um mich haben! Sie werden alles verstehen und gute Politik machen! Das funktioniert, weil die meisten Leute sich nicht für Politik interessieren. Was sie interessiert, sind Gefühle. Trump begeistert sie, weil sie sich verletzlich fühlen und wirtschaftliche Ängste haben. Und nebenbei: Sie haben recht damit.

Sie haben recht?

Die Leute sind wütend, und sie haben ein Recht, wütend zu sein, weil die Regierung sich nicht gut um sie gekümmert hat. Aber sie schicken ihre Botschaft an die falsche Adresse. Es waren nicht Muslime oder Einwanderer, die faule Kredite ausgegeben haben, durch die Menschen pleitegegangen sind. Es waren nicht Feministinnen, die Arbeitsplätze ausgelagert haben. Es sind nicht Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender, die für den Klimawandel verantwortlich sind.

"Die schweigende Mehrheit steht zu Donald Trump."

"Die schweigende Mehrheit steht zu Donald Trump."

(Foto: REUTERS)

Ist dieser Zorn eine Reaktion auf die Wahl des ersten schwarzen US-Präsidenten 2008?

Das ist mit Sicherheit ein starker Antrieb. Aber in Krisenzeiten tritt diese zornige Suche nach Schuldigen immer wieder auf, in allen Ländern. Das ist nichts Neues.

Wie schaffen es die amerikanischen Konservativen, Normalverdiener davon zu überzeugen, dass die Einführung einer allgemeinen Krankenversicherung zu ihrem Nachteil wäre?

Das ist das politische Paradox der USA von heute: Wir haben es geschafft, dass Menschen bei Wahlen gegen ihre Klasseninteressen stimmen. Weiße Amerikaner aus der Arbeiterklasse wählen reiche weiße Amerikaner, die ihre eigenen Steuern senken und die Steuern für Arme und die Mittelklasse erhöhen wollen. Wie wir das geschafft haben? Ich glaube, es ist die Dreieinigkeit von God, guns and gays, von Gott, Waffen und Homosexuellen. Wir lenken sie ab, indem wir ihnen einreden, dass die Regierung den Atheismus vorantreibt, dass die Regierung ihnen die Waffen wegnehmen und eine homosexuelle Agenda aufzwingen will. Das ist die eine Seite. Die andere Seite erklärt sich aus der amerikanischen Geschichte. Wenn rechtsgerichtete Politiker sagen, sie wollen nicht, dass hart erarbeitetes Steuergeld für Sozialhilfe ausgegeben wird, dann ist klar, dass es eigentlich um Schwarze geht. Wenn jemand in den USA die Begriffe "städtisch" und "Armut" im selben Satz benutzt, dann weiß jeder, dass von Schwarzen die Rede ist. Wer über weiße Armut spricht, benutzt das Wort "ländlich". Wenn wir über Klasse sprechen, geht es eigentlich um Rasse. Das ist die versteckte Agenda. Und es ist sehr leicht, Weiße davon zu überzeugen, nicht für Schwarze zu stimmen.

Was bedeutet das für den kommenden November? Der Standardsatz lautet, dass Präsidentschaftswahlen in den USA nicht mehr ohne die Stimmen der Schwarzen und Latinos gewinnen werden. Hätte Donald Trump eine Chance gegen Hillary Clinton?

Nein. Ich würde wetten, dass wir im November die erste Präsidentin wählen werden. Ich glaube auch nicht, dass die Republikaner Trump zu ihrem Kandidaten machen. Trump spricht die zornigen Massen an, nicht die republikanische Elite. Die hatte auf Jeb Bush gesetzt, nur löst der bei niemandem Begeisterung aus. Deshalb stecken sie im Moment ihre Köpfe zusammen und fragen sich, ob sie Marco Rubio unterstützen sollen. Wenn Bush fällt, dann werden sie sich für Rubio entscheiden.

Was ist mit Ted Cruz?

Unter den Verrückten ist Ted Cruz der einzige, der eine Chance hat. Die anderen, Ben Carson und Donald Trump, haben keine.

Warum hat Trump keine Chance? In den Umfragen liegt er vorne.

Gewählt wird er trotzdem nicht. Bei der ersten Vorwahl in Iowa wird er ein mittelgutes Ergebnis haben, Cruz wird dort der Sieger sein. Eine Woche später in New Hampshire wird Trump okay abschneiden, Cruz wird kein gutes Ergebnis einfahren. Rubio schon. Und dann haben wir diesen gewaltigen Vorwahltag am 1. März in neun Bundesstaaten gleichzeitig. Das wird der Zeitpunkt sein, wenn die vernünftigeren Mainstream-Wähler der Republikaner sich für einen echten Kandidaten entscheiden. Trump ist kein echter Kandidat, keine echte Bedrohung. Wirklich nicht. Ich wäre entzückt, wenn er als Präsidentschaftskandidat einer dritten Partei antreten würde. Aber die Nominierung der Republikaner wird er nie bekommen.

Was passiert, wenn Hillary Clinton zur Präsidentin gewählt wird? Werden die zornigen weißen Männer dann noch zorniger?

Oh ja.

Wäre das kein Problem?

Ja und Nein. Natürlich werden sie zornig sein, und es wird Ausbrüche dieses Zorns geben. Aber ich glaube, dass die republikanische Partei auf eine so große Niederlage zusteuert, dass sie den Senat verlieren wird. Für die Präsidentin wäre es dann möglich, Gesetze durch den Kongress zu bringen. Dann werden wir, wie fast der gesamte Rest der Welt, Elternzeit verabschieden, um nur ein Beispiel zu nennen. Ich glaube, dass sich die Republikaner gerade die Grundlage für einen katastrophalen Wahlausgang bereiten. Nichts könnte mich glücklicher machen. Ich neige nun einmal zum Optimismus.

Mit Michael Kimmel sprach Hubertus Volmer

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Quelle: ntv.de

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