Sorge um abgeriegelte Kurdenstadt Türkei fliegt massive Angriffe auf PKK
11.09.2015, 17:41 Uhr
Ein türkischer Soldat steht auf einer Straße an einem Checkpoint zwischen Mardin und Cizre.
(Foto: REUTERS)
Mehr als 20 türkische Kampfjets greifen die PKK im Nordirak an. Menschenrechtssorganisationen sorgen sich um die Menschen in der abgeriegelten Stadt Cizre. Nach einer Woche Ausgangssperre werden die Lebensmittel knapp.
Die türkische Luftwaffe hat erneut massive Angriffe gegen mutmaßliche Stellungen der Untergrundorganisation Kurdische Arbeiterpartei (PKK) im Nordirak geflogen. Nach ersten Erkenntnissen seien bei den Luftschlägen in der Nacht zu Freitag mindestens 60 "Terroristen" getötet worden, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu und berief sich dabei auf Sicherheitskreise. 21 Kampfjets hätten 64 Ziele angegriffen. Dabei sei auch das bislang größte Munitionslager der PKK vernichtet worden. Die PKK-nahe Nachrichtenagentur Firat bestätigte, dass es in der Nacht zu Luftangriffen im Nordirak gekommen sei, machte aber keine Angaben zu Opfern.
Das türkische Verfassungsgericht lehnte am Freitag einen Antrag ab, eine Ausgangssperre in der kurdischen Stadt Cizre in der Südosttürkei aufzuheben. Die Behörden hatten das Ausgehverbot in der abgeriegelten Stadt mit ihren mehr als 100.000 Einwohnern nach Zusammenstößen mit der PKK am 4. September verhängt.
Der Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils Muiznieks, zeigte sich am Freitag besorgt über die Lage in Cizre und über die eskalierende Gewalt in der Türkei. Muiznieks forderte, unabhängigen Beobachtern sofortigen Zutritt nach Cizre zu gewähren. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International verlangte freien Zugang der Bewohner zu Lebensmitteln und medizinischer Versorgung. Die Bewohner dürften ihre Häuser nicht verlassen. Sicherheitskräfte ließen niemanden in die Stadt hinein oder aus Cizre heraus. Das Mobilfunknetz sei abgeschaltet. Sicherheitskräfte blockierten am Freitag weiterhin einen Marsch der pro-kurdischen Partei HDP nach Cizre.
Özdemir will G20-Treffen absagen
Grünen-Chef Cem Özdemir sprach sich angesichts der Gewalt in der Türkei dagegen aus, im November das Treffen der G20-Staats- und Regierungschefs im türkischen Küstenort Antalya abzuhalten. "Wir müssen auf Präsident Erdogan einwirken", sagte Özdemir der Zeitung "Die Welt". "Ich kann mir nicht vorstellen, wie der G20-Gipfel im November in Antalya angesichts der Bilder von Cizre stattfinden soll."
Im Juli war die Waffenruhe zwischen der PKK und der türkischen Regierung gescheitert. Inzwischen kommt es vor allem im Südosten des Landes täglich zu tödlichen Anschlägen und Gefechten; die Luftwaffe fliegt Angriffe auf PKK-Stellungen im Nordirak. Unklar ist, wie unter diesen Umständen die für den 1. November geplante Neuwahl des türkischen Parlaments stattfinden sollen.
Der Präsident der kurdischen Autonomiegebiete im Nordirak, Massud Barsani, rief die Türkei und die PKK zu einem sofortigen Ende der Gewalt und zu neuen Verhandlungen auf. Die jetzigen Kämpfe führten nur zu Blutvergießen und einem Anstieg der Opferzahlen. Barsani bemühte sich generell um gute Beziehungen zur Türkei. Er hatte die PKK in der Vergangenheit aufgerufen, den Irak zu verlassen, um nicht das Leben von Zivilisten zu gefährden.
Türkei ein sicheres Herkunftsland?
Vor dem Krisentreffen der EU-Innenminister zur Flüchtlingsfrage am Montag wandten sich indes mehrere Mitgliedstaaten gegen den Plan von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, die Türkei auf eine Liste sicherer Herkunftsländer zu setzen. Es hätten "noch eine ganze Reihe von Mitgliedstaaten erhebliche Bedenken", sagte ein EU-Diplomat in Brüssel.
Die regierungsnahe türkische Zeitung "Sabah" berichtete, aus der Türkei wollten immer mehr syrische Flüchtlinge auf dem Landweg nach Deutschland reisen. Die Kontrollen an der türkischen Landgrenze zu Bulgarien und Griechenland im europäischen Nordwesten des Landes seien verstärkt worden. Mehr als 700 Flüchtlinge seien an einem Tag festgenommen worden.
Quelle: ntv.de, kpi/dpa/AFP