Politik

Ankara reagiert auf syrischen Beschuss Türkei ruft Sicherheitsrat an

"Dieser Angriff ist von unseren Streitkräften sofort erwidert worden", sagt der türkische Premier Erdogan.

"Dieser Angriff ist von unseren Streitkräften sofort erwidert worden", sagt der türkische Premier Erdogan.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Ein syrischer Granatenangriff tötet mehrere Menschen in der Türkei. Ankara reagiert und greift erstmals Ziele in Syrien an. Zudem wird eine Nato-Sondersitzung einberufen. Das Militärbündnis spricht von einem Bruch internationalen Rechts und einer "aggressiven Handlung". Weltweit wächst die Sorge vor einer Eskalation.

Die Türkei hat nach dem grenzüberschreitenden Beschuss durch Syrien den UN-Sicherheitsrat angerufen. In einem Brief an UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und den Sicherheitsratsvorsitzenden, Guatemalas Botschafter Gert Rosenthal, wertete der türkische UN-Botschafter Ertugrul Apakan den Zwischenfall als "aggressiven Akt Syriens gegen die Türkei". Der UN-Sicherheitsrat wurde zudem aufgefordert, die "nötigen Maßnahmen" zu ergreifen, um die syrische Aggression zu stoppen und um sicherzustellen, dass Syrien die territoriale Souveränität des Landes respektiere. UN-Diplomaten zufolge wollte der Sicherheitsrat in einer Erklärung den syrischen Beschuss verurteilen. Durch den syrischen Granateneinschlag waren fünf türkische Zivilisten getötet worden. International löste die Ausweitung des Konflikts Besorgnis aus.

Rauch steigt auf über Akcakale nachdem eine Granate in die grenznahe Stadt einschlug - mit tödlichen Folgen.

Rauch steigt auf über Akcakale nachdem eine Granate in die grenznahe Stadt einschlug - mit tödlichen Folgen.

(Foto: REUTERS)

Wenige Stunden nach dem syrischen Granatenangriff auf ein türkisches Grenzdorf hatte die türkische Armee erstmals Ziele in dem vom Bürgerkrieg erschütterten Nachbarland angegriffen. Der Einsatz sei eine Reaktion auf eine Attacke syrischer Regierungstruppen, bei der fünf Türken getötet worden waren, teilte das Büro des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan mit. "Die Türkei wird solche Provokationen des syrischen Regimes, die unsere nationale Sicherheit bedrohen, niemals ungestraft lassen", hieß es.

Zudem will die türkische Regierung das Parlament um Zustimmung zu Militäreinsätzen in Syrien bitten. Wie der Fernsehsender NTV berichtete, beschloss das Kabinett, das Parlament um ein Gesetz für den Fall zu bitten, dass grenzüberschreitende Angriffe auf syrische Ziele "als notwendig erachtet werden". In dem Gesetzentwurf des Ministerrates steht, dass "die Krise in Syrien nicht nur die Stabilität der Region negativ beeinflusst, sondern auch in zunehmendem Maße unsere nationale Sicherheit". Trotz diplomatischer Schritte, sei die Türkei seit September immer wieder Angriffen aus Syrien ausgesetzt. Der Punkt einer nationalen Bedrohung sei erreicht.

Die türkische Verfassung erlaubt Militäreinsätze im Ausland nur mit parlamentarischer Billigung. Das Mandat würde der türkischen Armee nach Medienberichten Einsätze im syrischen Luftraum, in syrischen Gewässern und auf syrischem Territorium erlauben. Das Parlament in Ankara will am Donnerstag in einer Sondersitzung über den Grenzzwischenfall beraten.

Nato sichert Türkei Unterstützung zu

Auszug aus dem Nordatlantikvertrag

Artikel 4
Die Parteien werden einander konsultieren, wenn nach Auffassung einer von ihnen die Unversehrtheit des Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht ist.

Artikel 5
Die Parteien vereinbaren, daß ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen wird; sie vereinbaren daher, daß im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen in Ausübung des in Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen anerkannten Rechts der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, indem jede von ihnen unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten. Vor jedem bewaffneten Angriff und allen daraufhin getroffenen Gegenmaßnahmen ist unverzüglich dem Sicherheitsrat Mitteilung zu machen. Die Maßnahmen sind einzustellen, sobald der Sicherheitsrat diejenigen Schritte unternommen hat, die notwendig sind, um den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit wiederherzustellen und zu erhalten.

Die Nato nannte den Angriff auf das türkische Dorf nach einer eilig einberufenen Sondersitzung der ständigen Nato-Botschafter einen Bruch internationalen Rechts und eine Sicherheitsbedrohung für den Verbündeten Türkei. Die Grenzverletzungen wurden als "aggressive Handlungen" verurteilt. Das Bündnis forderte von Syrien ein sofortiges Ende der Angriffe. Zugleich sicherten die 27 weiteren Nato-Mitglieder der Türkei ihre Unterstützung zu.

"Wie schon am 26. Juni festgestellt, beobachtet die Allianz die Situation in Syrien sehr genau", teilte das Bündnis in Brüssel weiter mit. Damals hatte es bereits nach dem Abschuss eines türkischen Kampfflugzeugs Beratungen nach Artikel 4 des Nato-Vertrags (siehe nebenstehende Box) gegeben. Diese Konsultationen kann ein Verbündeter beantragen, wenn er seine Sicherheit als bedroht ansieht.

Syrien rief nach dem türkischen Vergeltungsangriff zu Zurückhaltung auf und kündigte eine Untersuchung des vorangegangen Granatenbeschusses an. Es werde geprüft, woher die Granate stamme, erklärte Informationsminister Omran Zoabi, der den Familien der Opfer und dem türkischen Volk sein "tiefes Beileid" aussprach. Man respektiere die Souveränität der Nachbarländer, hieß es weiter. Zugleich aber müssten auch die Nachbarn die Souveränität Syriens respektieren und dafür sorgen, dass keine Terroristen nach Syrien eindringen könnten.

Das urspünglich freundschaftliche Verhältnis zwischen Syrien und der Türkei hat sich seit Beginn des Bürgerkriegs permanent verschlechtert. Die Türkei Nun schlug sie erstmals militärisch zurück.

Westerwelle ruft zu Besonnenheit auf

Noch vor Bekanntwerden des türkischen Gegenangriffs hatte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sich zutiefst besorgt über die Lage gezeigt. Die Türkei müsse alle Kommunikationskanäle zu syrischen Behörden offenhalten, um einen weiteren Aufbau von Spannungen zu vermeiden, sagte Ban nach Angaben eines Sprechers bei einem Telefonat mit dem türkischen Außenminister Ahmet Davutoglu.

Die türkische Regierung hat angesichts des wiederholten Feuers aus Syrien schon lange Truppen und schweres Kriegsgerät in der grenznahen Stadt Akcakale postiert.

Die türkische Regierung hat angesichts des wiederholten Feuers aus Syrien schon lange Truppen und schweres Kriegsgerät in der grenznahen Stadt Akcakale postiert.

(Foto: picture alliance / dpa)

Bei einem Telefonat mit Davutoglu nannte Bundesaußenminister Guido Westerwelle "die erneute Verletzung der territorialen Integrität der Türkei aus Syrien" einen schwerwiegenden Vorgang. "Wir verurteilen diese Gewalt in aller Schärfe", erklärte er am Rande einer Feier zum Tag der Deutschen Einheit in Paris. "Unser tief empfundenes Mitgefühl ist mit den Angehörigen der Opfer, unsere Genesungswünsche gelten den Verletzten", sagte Westerwelle weiter.

Zugleich forderte er eine Entschuldigung von der syrischen Regierung, die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen und die Familien der Opfer entschädigt werden. Westerwelle bat seinen türkischen Kollegen aber auch, "bei aller verständlichen Empörung mit Besonnenheit und mit dem Blick für die außerordentlich gefährliche Lage in der ganzen Region zu handeln".

Auch die USA verurteilten den Angriff auf das türkische Dorf. "Wir sind empört darüber, dass Syrier über die Grenze geschossen haben", sagte Außenministerin Hillary Clinton in Washington. "Wir stehen zu unserem türkischen Verbündeten", sagte der nationale Sicherheitsberater Tommy Vietor nach Angaben des Weißen Hauses. "Alle verantwortungsvollen Nationen" müssten jetzt deutlich machen, dass ein Rücktritt des syrischen Machthabers Baschir al-Assad überfällig sei. Damaskus müsse einen Waffenstillstand im Bürgerkrieg erklären und den politischen Übergang beginnen.

In dem türkischen Dorf Akcakale waren nach türkischen Angaben mindestens drei aus Syrien abgefeuerte Granaten eingeschlagen, von denen eine vier Kinder und deren Mutter tötete. 13 weitere Menschen wurden teils schwer verletzt, darunter mehrere Polizisten. Fernsehsender zeigten Dorfbewohner, die in Panik über die Straßen rannten oder Deckung suchten.

Mehrere Autobomben in Aleppo gezündet

Man habe die Angreifer mit Hilfe von Radargeräten identifiziert, teilte die Regierung in Ankara mit. Die türkische Artillerie habe sie dann unter Feuer genommen. Die Nachrichtenagentur Anadolu meldete in der Nacht, der Beschuss militärischer Ziele in Syrien dauere seit dem späten Abend an. Türkische Granaten hätten heftige Explosionen auf der syrischen Seite der Grenze ausgelöst. Berichte über Opfer auf syrischer Seite wurden zunächst nicht bekannt. Die Ortschaft Akcakale liegt unmittelbar an der Grenze zu Syrien und nahe des lange umkämpften Grenzübergangs Tell Abjad, den syrische Rebellen nach zweitägigen Gefechten eingenommen hatten. Syrische Aktivisten berichteten, dass Panzer der Regierungstruppen den Grenzübergang angriffen hätten, und dabei "einige Granaten" auf türkisches Gebiet fielen.

Die Türkei hat seit Beginn des Bürgerkrieges im Nachbarland mehr als 93.000 syrische Flüchtlinge aufgenommen. Die Forderung Ankaras, eine Schutzzone für Vertriebene auf der syrischen Seite der Grenze einzurichten, hat international keine ausreichende Unterstützung erhalten. Die türkische Regierung sympathisiert mit den Assad-Gegnern. Versuchen der Konfliktparteien, die Türkei zu einem militärischen Eingreifen zu bewegen, hatte Ankara bisher widerstanden.

Auch in anderen Teilen Syrien dauerten die Kämpfe an. In den Städten Aleppo und Deir as-Saur explodierten insgesamt fünf Autobomben vor öffentlichen Gebäuden. Bei allen fünf Explosionen seien vor allem Angehörige der Regierungstruppen getötet worden, meldeten Aktivisten. Die islamistische Gruppe Al-Nusra-Front bekannte sich zu der Anschlagserie in Aleppo. Die Organisation Syrischer Menschenrechtsbeobachter sprach von 48 Toten und etwa 100 Verletzten alleine in Aleppo. Insgesamt sollen am Mittwoch in Syrien landesweit 136 Menschen getötet worden sein.

Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts

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