EU und Araber verschärfen Sanktionen UN: In Syrien herrscht Bürgerkrieg
01.12.2011, 18:14 Uhr
Das Bild soll eine Demonstration gegen Assad in der Nähe von Homs zeigen. Auf dem Banner steht: "Ja zur Freiheit, Nein zum Sektierertum, Nein zu Assads Gang".
(Foto: REUTERS)
Die Arabische Liga, die Türkei und die EU verschärfen die Sanktionen gegen das Regime des syrischen Präsidenten Assad. Betroffen sind sowohl Mitglieder des Führungszirkels, aber zunehmend auch die Öl- und Gasindustrie. Die UN gibt die Zahl der Opfer der anhaltenden Proteste mit mindestens 4000 an - und spricht mittlerweile von einem Bürgerkrieg.
Seit Beginn der Proteste gegen die Regierung in Syrien sind nach UN-Angaben mindestens 4000 Menschen getötet worden. Die UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay sagte in Genf, die Auseinandersetzungen hätten den Charakter eines Bürgerkriegs angenommen. Zudem gebe es immer wieder Informationen aus Syrien, wonach die Opferzahl in Wahrheit deutlich höher liegt. Berichte über gewalttätige Übergriffe der Sicherheitskräfte würden weiter zunehmen.
Die EU verhängte derweil weitere Sanktionen, um die zu einem Ende der Gewalt zu zwingen. Die Proteste gegen die syrische Regierung von Präsident Baschar al-Assad dauern seit März an, die Behörden gehen trotz internationaler Kritik weiter brutal gegen die Oppositionsbewegung vor.
Am Freitag berät der UN-Menschenrechtsrat über die Lage in Syrien. Dabei soll Syrien auf Antrag der EU mit einer Resolution für schwere Verletzungen der Menschenrechte verurteilt werden, "darunter willkürliche Hinrichtungen, exzessive Gewaltanwendung und die Tötung und Verfolgung von Demonstranten".
EU beschließt weitere Sanktionen
Nach Sanktionen der Arabischen Liga und der Türkei gegen Syrien beschlossen auch die EU-Außenminister in Brüssel weitere Strafmaßnahmen. "All das zeigt, dass wir Europäer gemeinsam mit der Arabischen Liga entschlossen sind, gegen diese Grausamkeiten und Repressionen vorzugehen", sagte Bundesaußenminister Guido Westerwelle nach der Sitzung, an der auch der Generalsekretär der Arabischen Liga, Nabil al-Arabi, teilnahm. "Das ist notwendig, um das Assad-Regime und seine Gewalt international zu isolieren", fügte Westerwelle hinzu.
Die EU-Sanktionen sollen einer Erklärung zufolge "die Fähigkeiten des syrischen Regimes treffen, die brutale Repression" fortzuführen. Die meisten der beschlossenen Strafmaßnahmen zielen darauf, die syrische Wirtschaft und somit die Geldquellen der Regierung in Damaskus zu treffen. Verboten sind nun etwa der Handel mit syrischen Staatsanleihen sowie die Vergabe von sogenannten weichen Krediten mit einem Zinssatz unter Marktbedingungen. Zudem dürfen keine Ausrüstungsgegenstände an Firmen aus dem syrischen Öl- und Gassektor in das Land geliefert werden, Kontakte syrischer Banken nach Europa werden massiv eingeschränkt.
Die Zahl der Syrer, für die ein Einreiseverbot gilt, wird um 12 auf 86 erhöht. Die Zahl der Unternehmen, die keine Geschäfte mehr in der EU machen dürfen, steigt um 11 auf 30. Die EU-Länder stoppen auch die Lieferung von Technik und Programmen, die zur Überwachung von Handys und Computern eingesetzt werden können. Die USA setzten unterdessen mit einem Onkel Assads und einem General zwei weitere Einzelpersonen auf ihre Sanktionsliste.
Keine arabischen Flugzeuge nach Damaskus
Angesichts der Verschärfung der EU-Sanktionen kündigte Damaskus an, seinen Beitritt zur Mittelmeerunion auszusetzen. In einer im Staatsfernsehen verlesenen Erklärung wurde dies mit den "ungerechtfertigten europäischen Maßnahmen gegen das syrische Volk" begründet, die eine "krasse Verletzung der Souveränität" darstellten. Sie sorgten für eine Eskalation der Lage anstatt einen Ausweg aus der Krise zu suchen. Die Mittelmeerunion war im Juli 2008 von Frankreich ins Leben gerufen worden. Ihr gehören bisher 43 Länder, darunter die 27 EU-Mitglieder, Israel und die Türkei an.
Bereits am Mittwoch hatte die Arabische Liga beschlossen, dass vom 15. Dezember an keine Flugzeuge aus arabischen Staaten mehr nach Damaskus fliegen sollten. Darüber hinaus verhängten die Araber ein Einreiseverbot für 17 Angehörige des Sicherheitsapparates und Verwandte von Präsident Assad. Deren Vermögenswerte in den arabischen Ländern sollen eingefroren werden. Der Präsident selbst steht nicht auf der schwarzen Liste, was nach Angaben aus gut unterrichteten Kreisen die Tür für eine Exillösung offenlassen soll.
Die Arabische Liga beschloss auch ein Handelsembargo. Weiterhin nach Syrien geliefert werden dürfen jedoch Grundnahrungsmittel, Medikamente, medizinische Geräte sowie Gas und Strom. Außerdem will die Liga nach eigenen Angaben "den Wunsch einzelner Nachbarländer nach Ausnahmegenehmigungen prüfen".
Aktivisten: 20 Zivilisten getötet
Derweil töteten Angehörige der Sicherheitskräfte nach Angaben von Aktivisten 20 Zivilisten. Die meisten von ihnen starben nach Informationen der Organisation Syrischer Menschenrechtsbeobachter im Umland der Stadt Hama. In Tel Kalach seien eine Frau und ihre Tochter ums Leben gekommen, als ihr Haus unter Beschuss geraten sei. Die staatliche Nachrichtenagentur Sana meldete, am Vortag seien 912 Menschen freigelassen worden, "die im Zusammenhang mit den jüngsten Ereignissen" festgenommen worden seien. Berichte aus Syrien sind wegen der Medienblockade schwer zu überprüfen.
Der Druck auf die Regierung wächst jedoch auch im Innern: Vertreter des oppositionellen syrischen Nationalrats und der Freien Armee Syriens vereinbarten bei Gesprächen in der Türkei eine Zusammenarbeit. Wie ein Mitglied des Nationalrats, Chaled Chodscha, ankündigte, vertritt der Nationalrat künftig die syrische Opposition politisch, während sich die Freie Armee Syriens auf den Schutz der Bevölkerung konzentriert. Die Freie Armee, ein im Sommer gegründeter Verbund von Deserteuren der syrischen Armee, stimmte Chodscha zufolge zu, auf gezielte Angriffe auf syrische Sicherheitskräfte oder die Regierung zu verzichten.
In der Türkei halten sich rund 7500 syrische Oppositionelle auf. Die türkische Regierung unterstützt den syrischen Nationalrat. Zur Freien Armee Syriens geht Ankara indes auf Distanz. Wegen der anhaltenden Gewalt im Nachbarland verhängte die Türkei am Mittwoch ein Paket wirtschaftlicher und politischer Sanktionen gegen Damaskus. Aus diplomatischen Kreisen in Damaskus hieß es zudem, die Türkei werde demnächst wahrscheinlich dem Beispiel Frankreichs und der USA folgen und ihren Botschafter aus Syrien zurückbeordern.
Moskau liefert Raketen an Syrien
Russland lieferte derweil trotz internationaler Proteste einen Satz Anti-Schiffs-Raketen an Syrien. Laut der Nachrichtenagentur Interfax bestätigte ein russischer Militärsprecher die Lieferung der Flugkörper vom Typ Jachont. Nähere Angaben zur Menge oder dem genauen Zeitpunkt der Lieferung wurden nicht gemacht. Moskau hatte den Vertrag über die Lieferung der Lenkwaffen bereits 2007 mit seinem arabischen Verbündeten geschlossen. Berichten zufolge sollen insgesamt 72 Raketen im Wert von 222 Millionen Euro zur Küstenverteidigung geliefert werden. Der Rüstungsauftrag stieß in Israel auf heftige Kritik. Israel fürchtet, dass die Raketen in die Hände der islamistischen Hisbollah-Miliz im benachbarten Libanon fallen könnten.
Quelle: ntv.de, AFP/dpa/rts