
Biden kann noch darauf hoffen, dass die Demokraten die Mehrheit im Senat verteidigen.
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Die Republikaner können kein großes Kapital schlagen aus der Inflation und der Lage an der Südgrenze. Die Demokraten schneiden besser ab als erwartet. Zwar werden sie wohl die Mehrheit im Repräsentantenhaus verlieren. Doch dafür haben sie gute Chancen, den Senat zu verteidigen.
Die Republikaner träumten von einer roten Welle, die Demokraten im ganzen Land aus den Ämtern fluten würde. Die Demokraten davon, die Mehrheiten in beiden Kongresskammern zu behalten. Beides wird voraussichtlich nicht wahr werden. Klar ist aber jetzt schon: Biden wurde nicht für seine Politik abgestraft. Die Demokraten wurden gestützt. Die Republikaner werden zwar vermutlich das Repräsentantenhaus erobern, aber ein Erdrutschsieg sieht anders aus. Dabei waren die Prognosen düster gewesen. Für Biden dürfte sich diese Wahlnacht daher wie ein Sieg anfühlen.
Viele US-Wähler entschieden sich nicht strikt nach Parteilinie, sondern teilten ihre Stimmen je nach Kandidaten auf. Bei der Gouverneurswahl im umkämpften Bundesstaat Georgia etwa ließen die Republikaner den Kandidaten von Ex-Präsident Donald Trump in den Vorwahlen abblitzen - und entschieden sich stattdessen für Brian Kemp, der das Amt nun souverän verteidigte. Zugleich sieht es nach einer Stichwahl aus zwischen dem demokratischen Senator Raphael Warnock und Trumps Kandidaten, dem früheren American Football Star Herschel Walker. Sie fände am 6. Dezember statt.
Oder in Ohio. J.D. Vance gewann - ein Trump-Kandidat, aber eher wegen seines authentischen Verständnisses für Arbeiter bekannt, weil er ein Buch darüber geschrieben hat. Der Gouverneur ist auch Republikaner - aber in mehreren Wahlbezirken für das Repräsentantenhaus gewannen die Demokraten. In Pennsylvania eroberte der Demokrat John Fetterman einen Senatssitz von den Republikanern. Zudem schnitt er in tiefroten Wahlbezirken besser ab als US-Präsident Joe Biden vor zwei Jahren.
Demokraten machten mit Recht auf Abtreibung Wahlkampf
Die Mehrheit der US-Amerikaner denkt zwar, das Land sei auf dem falschen Weg und die Inflation sei das größte Problem. Biden ist auch kein beliebter Präsident. Dafür wurden überraschend viele Kandidaten der Demokraten bestätigt und neu ins Amt gehoben. Auch die Lage an der Südgrenze, wo historisch viele Menschen abseits der Grenzkontrollen nach Norden kommen, hat das nicht verhindert.
Der konservative Kurs des Supreme Court, den Trump mit der Besetzung des Obersten Gerichts in seiner Präsidentschaft eingeleitet hatte, mobilisierte offenbar Menschen im ganzen Land. Insbesondere Frauen spüren bereits die Folgen. Das Recht auf Abtreibung, Krankenversicherung und "Zukunft der Demokratie" waren für Demokraten die wichtigsten Themen. Mehrere Bundesstaaten führten erfolgreiche Volksabstimmungen für die Einführung eines Abtreibungsrechts durch.
Die Präsidenten seit Ronald Reagan in den 1980er Jahren haben bei ihren ersten midterm elections im Schnitt 31 Sitze im Repräsentantenhaus verloren. Bei Biden werden es weniger sein. Im Senat verlor die Regierungspartei im Schnitt zwei Sitze. Biden wird seine dortige Mehrheit womöglich sogar leicht ausbauen. Das deutet auf die Anerkennung der erzielten Ergebnisse hin - also wie er mit den Krisen umgeht. Es könnte auch ein Zeichen dafür sein, dass mehr Wähler als gedacht die Tendenz der Republikaner ablehnen, sich bedingungslos hinter Trump und dessen Agenda zu stellen.
Fetterman erobert Senatssitz in Pennsylvania
Die Frage im Schlüsselsenatsrennen Pennsylvania war, ob die gemäßigten Republikaner der Vororte für Mehmet Oz, den Kandidaten ihrer Partei, stimmen würden - oder ihn als Trump-Soldaten sehen würden und deshalb zu Hause bleiben, womöglich gar für John Fetterman votieren. Weiße Arbeiter etwa, die sich eher mit dem meist in Kapuzenpulli und Jeans auftretenden Demokraten identifizieren können als dem Fernseharzt Dr. Oz. Sie haben sich für Fetterman entschieden.
Das wird für Trump parteiinterne Folgen haben. Ein möglicher Konkurrent bei der Bewerbung um die Präsidentschaftskandidatur ist Ron DeSantis. Der hat sein Gouverneursrennen in Florida sehr deutlich gewonnen und dabei sogar den zuvor demokratisch gefärbten Wahlbezirk Miami-Dade von sich überzeugt. So deutlich, dass Trump ihn noch am Wahlabend öffentlich vor eine Bewerbung für die Präsidentschaftskandidatur warnte. "Wenn er antritt, könnte das für ihn sehr schmerzhaft ausgehen", sagte er, und drohte ihm mit Enthüllungen über sein Privatleben.
Trump kokettiert schon seit seiner Wahlniederlage gegen Joe Biden 2020 mit einer erneuten Bewerbung. Die könnte er schon kommende Woche verkünden, und zwar in Mar-a-Lago - in Florida. Dort verkündete DeSantis stolz, er habe mit seinem Sieg die "politische Karte neu gezeichnet". Zwar sind viele Wahlleugner, die Trumps Agenda folgten, gewählt worden. Andere wurden abgelehnt. Die Republikaner dürften sich also fragen, wo die erhoffte rote Welle eigentlich steckengeblieben ist - und wer dafür verantwortlich ist. Wie ein strahlender Sieger steht Strippenzieher Trump jedenfalls nicht da. Biden dagegen schon.
(Dieser Artikel wurde am Mittwoch, 09. November 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de