Politik

Bollwerk gegen Putin Ukraine flirtet mit den Oligarchen

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Ein Soldat steht an einem ukrainischen Panzer in der Nähe der Grenze zu Russland.

(Foto: REUTERS)

Die ukrainische Regierung fürchtet, dass der Kreml auch auf den Osten des Landes Anspruch erheben könnte. Um einen russischen Einmarsch zu erschweren, umgarnt die Führung in Kiew die mächtigsten Akteure der Ukraine: die Oligarchen.

In der Ukraine zeichnet sich nach wochenlangen pro- russischen Protesten langsam eine Verständigung zwischen der neuen Führung in Kiew und den mächtigen Oligarchen in Donezk und dem Kohlebecken Donbass ab. Sollten diese unterschiedlichen Akteure künftig an einem Strang ziehen, würde dies ein militärisches Eingreifen Russlands massiv erschweren. Experten sind sich sicher: Eine Intervention ließe sich kaum noch als Aktion zum Schutz Russischstämmiger tarnen und würde von einem großen Teil der Bevölkerung im Osten der Ukraine vermutlich eher nicht begrüßt.

Der ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk hat unlängst den Boden für eine Verständigung mit den schwer reichen Oligarchen bereitet, die noch immer großen Einfluss in dem Land besitzen. In einer teils auf Russisch gehaltenen Rede versprach er, Macht an die Regionen abzugeben, rechtsextreme Milizen zu entwaffnen und den Gebrauch der russischen Sprache und die Industrie im Osten des Landes zu schützen. Dazu will Jazenjuk auf ein Freihandelsabkommen mit dem Westen vorerst verzichten, das der maroden Schwerindustrie in der Ost-Ukraine schaden könnte. Auch eine Nato-Mitgliedschaft schloss er bis auf weiteres aus. Der Ministerpräsident gehört zur Vaterlandspartei von Julia Timoschenko, die vielen im Osten verhasst ist.

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Steinmeier und Jazenjuk verstehen sich sichtlich.

(Foto: dpa)

Westliche Diplomaten hatten Jazenjuk zu diesen Zugeständnissen gedrängt, um ein Auseinanderbrechen der Ukraine zu verhindern. Sie betrachteten die ursprüngliche Entscheidung der neuen Regierung in Kiew, Ukrainisch zur einzigen Amtssprache zu machen, als unnötige Provokation. Bei seinem Besuch in Kiew am Samstag lobte denn auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier ausdrücklich Jazenjuks Rede. Dann reiste der Deutsche weiter nach Donezk, um die dortigen Oligarchen für den Reformkurs der neuen Regierung zu gewinnen.

In Kreisen der ostukrainischen Führung im Donbass heißt es nun, es gebe eine Verständigung "zwischen den Eliten und der Regionalregierung im Osten und der Zentralregierung". Teil der Einigung seien eine stärkere Dezentralisierung und eine Verfassungsänderung, um die Legitimität der russischen Sprache zu stärken. Dies werde der Einheit des Landes dienen. Der Politikexperte Wolodimir Kipen in Donezk sagt dazu, Russland könne nun zwar immer noch in der Ost-Ukraine einmarschieren oder - was als wahrscheinlicher gilt - dort Unruhen anzetteln. Aber den pro-russischen Demonstranten sei es zuletzt nicht gelungen, das eroberte Gebäude der Regionalregierung länger als ein paar Tage zu halten, und die Oligarchen wollten zudem Stabilität für ihre Geschäfte. Kipens Fazit lautet daher: "Das Krim-Modell ist im Donbass gescheitert".

Viele Menschen im Donbass fühlen sich als Verlierer

Das bedeutet jedoch nicht, dass die Bevölkerung im Osten auf der Seite Kiews steht. Ressentiments gegenüber der neuen Regierung sind unter den russischstämmigen Bürgern hier weit verbreitet. Viele glauben russischen Medienberichten, wonach ihre neue Regierung über einen Staatsstreich ins Amt kam. Tief verwurzelt ist im Donbass auch das Empfinden, 23 Jahre nach der Unabhängigkeit auf der Verliererseite zu stehen: Zwar stammen 20 Prozent der ukrainischen Industrieproduktion aus der Region um Donezk, wo nur zehn Prozent der 46 Millionen Ukrainer leben. Doch viele Menschen hier leben in Armut und fühlen sich ausgebeutet von einer reichen Elite, die sie für eine Mafia halten. Trotz dieser tiefen Unzufriedenheit will sich aber offenbar nur eine Minderheit von der Ukraine lossagen und Russland anschließen.

Das Versprechen der Dezentralisierung kommt in dieser Situation besonders gut bei den Menschen an. Die Regionen müssten mehr Macht über das Budget bekommen, fordert etwa der Bürgermeister von Donezk, Alexander Lukiantschenko. Auch Einrichtungen wie die Polizei, die Gerichte und die Staatsanwaltschaft müssten den Regionen unterstellt sein. Die Verhandlungen über eine neue Verfassung werden zwar erst nach der Präsidentenwahl am 25. Mai beginnen. Die Frage, wer die Kontrolle über die Justiz erhält, könnte dabei eine Schlüsselrolle spielen.

Denn die Oligarchen im Osten müssen nach dem Zusammenbruch der alten Ordnung wegen ihres Geschäftsgebarens wohl mit einer strafrechtlichen Verfolgung rechnen und um ihr Vermögen und ihre Freiheit fürchten. Behalten sie dagegen den Einfluss auf die Polizei und die Gerichte, den ihnen Menschenrechtler schon heute nachsagen, könnten sie dem Reformkurs der neuen Führung in Kiew womöglich leichter zustimmen. Zumal viele von ihnen einem Anschluss an Russland ohnehin skeptisch gegenüberstehen: Auch wenn ihre Geschäfte mit dem großen Nachbarn im Osten florieren, scheuen die meisten von ihnen doch die Fesseln, die Russlands Präsident Wladimir Putin seinen Oligarchen auferlegt.

"Die Oligarchen kümmern sich nur um sich selbst"

Jenseits dieser strategischen Überlegungen der Magnaten gehen die Meinungen in der Bevölkerung auseinander. Auf viele übt die bessere wirtschaftliche Lage Russlands einen großen Reiz aus. "Wir wollen ein Referendum über den Beitritt zu Russland", betont der 27-jährige Anton Sedich, einer von etwa 3000 pro-russischen Demonstranten auf dem Lenin-Platz in Donezk. Er beneide die Russen für ihre höheren Löhne. Die Fensterbau-Firma dagegen, bei der er arbeite, habe ihn seit zwei Monaten nicht bezahlt. Auch eine Dezentralisierung sei keine Lösung. "Das ist nur ein Spiel auf Zeit, die Oligarchen kümmern sich nur um ihr eigenes Wohlergehen", klagt Sedich.

Andere Demonstranten bewundern Putins Politik der harten Hand oder berufen sich auf kulturelle oder familiäre Wurzeln in Russland. Auch eine nostalgische Sehnsucht nach den Gewissheiten der Sowjet-Ära und Verachtung für die Ukrainer im Westen spielen eine Rolle, ebenso die Furcht vor der freien Marktwirtschaft und harten Sparmaßnahmen der Europäischen Union (EU). "Vielleicht ist es besser, zu Russland zu gehören", sagt etwa der 36-jährige Stahlarbeiter Iwan. "Wir werden nicht mehr wettbewerbsfähig sein, wenn sie den Handel mit Europa öffnen".

Der 35-jährige Denis dagegen beobachtet die Proteste von der anderen Seite des Platzes und lässt die Argumente der Demonstranten nicht gelten. "Es geht nicht um die Wirtschaft", erklärt er. "Es geht um die Freiheit: Russland ist ein sehr autoritärer Staat". Seine Ehefrau Switlana betont, ihre Kritik an Russland habe nichts mit Volkszugehörigkeit zu tun. "Ich habe einen russischen Namen, wir sprechen russisch und ukrainisch", sagt die 29-Jährige. "Aber ich bin eine ukrainische Bürgerin".

"Wir haben das Schlimmste hinter uns"

Die pro-russischen Proteste in den Grenzgebieten sind in den vergangenen Tagen abgeflaut, nachdem es bei Unruhen vor einer Woche noch drei Tote gegeben hatte. Die meisten Experten halten eine Intervention Russlands in der Ost-Ukraine inzwischen für unwahrscheinlich. "Wir haben das Schlimmste hinter uns", sagt der Menschenrechtler Alexander Bulakow von der Organisation Memorial. Russland habe den rechten Moment verpasst. "Sie hätten schneller sein müssen. Aber sie haben Zeit verloren, und die Leute hatten Zeit zum Nachdenken".

Der Politikexperte Alexi Garan aus Kiew geht allerdings davon aus, dass Putin die Unruhen in der Ost-Ukraine weiter schüren werde. Eine erfolgreiche Revolution im eigenen Hinterhof
könne den Russen nicht recht sein. "Wenn der Plan einer Spaltung der Ukraine nicht aufgeht, wie es nun scheint, dann werden sie versuchen, der Zentralregierung das Leben schwer zu machen und auf eine Föderalisierung des Staates zu drängen", warnt Garan. Das lehnen viele Ukrainer jedoch ab, weil einzelne Bundesländer ihrer Einschätzung nach leichter zur Beute Russlands werden könnten.

Quelle: ntv.de, Alastair Macdonald, rts

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