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Kandidaten in der "Wahlarena" "Und Sie glauben, dass Herr Höcke das auch so sieht?"

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Die Kanzlerkandidaten Alice Weidel und Robert Habeck in der "Wahlarena"

Die Kanzlerkandidaten Alice Weidel und Robert Habeck in der "Wahlarena"

(Foto: picture alliance/dpa)

Wahlarena sechs Tage vor der Entscheidung: Die Fragen stellt das Publikum und von Alice Weidel etwa will man wissen, wie eine Lesbe AfD-Chefin sein kann. Die vier Kanzlerkandidaten sind gefordert.

Friedrich Merz startet in der "Wahlarena". Als er die runde Bühne betritt, umringen ihn und das ARD-Moderatorenduo drei Zuschauerreihen mit 150 Leuten. Bewerben konnte man sich mit einer guten Frage an einen der vier Kanzlerkandidaten, und die erste für den CDU-Chef lautet: "Was kommt an Belastungen auf uns zu?"

Es sei ja nun viel zu finanzieren, sagt der junge Unternehmensberater, und dass er gern konkret wissen möchte, mit welchen Zumutungen die Deutschen rechnen müssten. Merz muss sich erstmal in das Format einfummeln und speist den Fragesteller mit einer allgemeinen Antwort ab: "Anstrengung, Ärmel hochkrempeln, anpacken und alle zusammen wieder eine größere Wirtschaftsleistung erarbeiten" - das befriedigt den Berater nicht, und darum kommt Merz von der Frage auch erstmal nicht los.

Merz fährt viel S-Bahn, sagt er

Das Sendungskonzept will Raum für Kurzgespräche schaffen. Das Mikrofon bleibt beim Fragesteller, der fehlende Ehrlichkeit in dieser Frage bei allen Parteien bemängelt. So wird Merz konkreter und greift das Bürgergeld heraus: Für Totalverweigerer bei der Arbeitsaufnahme wäre er auch für eine komplette Streichung, sagt er. "Das wird dann nach Karlsruhe gehen, da muss man mal schauen, was Karlsruhe dazu sagt".

Na bitte, geht doch. In den nächsten Minuten fährt der wahrscheinliche nächste Bundeskanzler zunehmend auf Betriebstemperatur, erläutert einem Bauern das technologieoffene Klimakonzept der Union und erklärt, dass er in Berlin viel mit öffentlichen Verkehrsmitteln fährt - trotz des Unwillens seiner Personenschützer.

Einer Lehrerin für Pflegeberufe, die sich über die aus ihrer Sicht zu hohe Steuerlast beklagte, verspricht Merz "mehr Netto vom Brutto" und bemängelt die "zu hohe Steuerbelastung in Deutschland", auch für Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen.

Die beiden Moderatoren Jessy Welmer und Louis Klamroth lassen der Diskussion zuweilen einen etwas zu freien Lauf und zwingen Merz beispielsweise hier nicht, zu erklären, wie die Union die Steuerentlastungen gegenfinanzieren will.

Eine junge Juristin wirft Merz vor, er würde mit Blick auf eine Abschaffung des Abtreibungsparagrafen 218 immer vor einem gesellschaftlichen Großkonflikt warnen, obwohl Umfragen die Deutschen als mehrheitlich für eine Liberalisierung ausweisen. Merz bleibt auch hier lange allgemein, ehe er nochmal sehr konkret an die sehr konkrete Fragestellung der Juristin erinnert wird.

Der Kanzler kommt gerade aus Paris

Der Unionskanzlerkandidat bemüht sich spürbar um Empathie und Zugewandtheit, bleibt mit seinen Antworten aber häufig hinter den Erwartungen der Fragesteller zurück. Während Merz sich mit einem Potpourri verschiedenster Thematiken auseinandersetzt, liegt bei Bundeskanzler Olaf Scholz der Schwerpunkt ganz deutlich auf Pflege und Sozialthemen.

Der Kanzler ist erst als Zweiter dran, weil er noch auf Rückreise vom Ukraine-Treffen in Paris war. Die Fragen, die das Berliner Publikum für ihn bereithält, kommen deutlich mehr aus dem Alltag. Eine Frau aus dem Raum Hamburg klagt über die hohen Mieten und dass die Ampelkoalition ihr Ziel verfehlt hat, deutlich mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.

Scholz gibt zurück, es brauche "konkrete Maßnahmen bei den vorhandenen Mieten", etwa die Verlängerung der Mietpreisbremse. Außerdem habe die Bundesregierung die Grundlage geschaffen dafür, dass mehr bezahlbare neue Wohnungen gebaut werden könnten.

Scholz kippt in seiner halben Stunde immer wieder ins Technokratische, erklärt detailreich und lange, was man wie schon erreicht oder doch angeschoben hat. Moderator Klamroth gibt das Anlass für manche Stichelei. Die Aufforderung ans Publikum, Pflege-Fragen zu stellen, sorgt unterm Strich für ein starkes Gewicht auf diesem Thema. Andere werden dadurch teils komplett ausgespart.

"Ihre Partei verschreckt junge Pflegende"

AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel hat sich spürbar vorgenommen, sympathisch zu wirken und ist auch gleich richtig gefordert. Ein katholischer Krankenhauspfarrer sorgt sich, dass die AfD mit ihrer Forderung nach Remigration dringend benötigte Pflegefachkräfte aus dem Ausland verunsichere. "Ihre Partei verschreckt junge Pflegende", sagt der Mann an Weidel gewandt.

Diese räumt ein, dass ihre Partei fordere, dass geduldete Zugewanderte ohne Asylrecht keine Arbeit und keinen Ausbildungsplatz annehmen könnten. Es bedarf allerdings einiger Nachfragen von Moderatorin Welmer, bis Weidel am konkreten Beispiel eines geduldeten Flüchtlings in Ausbildung feststellt, dass der leider nicht in Deutschland bleiben darf. Gemäß dem Konzept der AfD müsste er im Ausland die Ausbildung abschließen und dann zurückkommen.

Gleich mehrfach muss die AfD-Chefin ihre eigene Homosexualität in Bezug zum Leitbild ihrer Partei setzen. Dieses sei die Familie von Vater, Mutter, Kind, die auch sie vertrete, "weil ich glaube, dass die Familie die Keimzelle unserer Gesellschaft ist". Gleichzeitig sollten Lebenspartnerschaften gleichgestellt sein. "Jeder soll frei nach seiner Fasson leben können und dementsprechend sollte sich der Staat dort nicht weiter einmischen", sagt Weidel und lacht laut auf, als die Fragerin entgegnet: "Und Sie glauben, dass Herr Höcke das auch so sieht?"

Robert Habeck von den Grünen schließt den Reigen und bekommt von einem jungen Niedersachsen gleich ordentlich eingeschenkt. Der müsse sein Dach neu decken und sei gezwungen, es mit Solartechnik zu versehen. Das macht die Handwerksleistung teurer und die Bank verweigert ihm den Kredit.

Wo ist das Problem?

Der leidige Einfamilienhaus-Themenkomplex, Habeck holt aus, streift auch noch kurz die Wärmepumpe, die beiden brauchen einige Umdrehungen, bis sie sich darauf geeinigt haben, wo überhaupt das Problem ist. Der grüne Wirtschaftsminister erklärt das Verhalten der Bank für nicht nachvollziehbar, da die Solaranlage ja anschließend Geld einbringt.

Als Letzter spricht Habeck zu einer Sendezeit, zu der vermutlich nur noch ein Bruchteil an Zuschauern da ist, verglichen mit dem Auftritt von Friedrich Merz vor anderthalb Stunden. Er münzt den Nachteil allerdings zum Teil in einen Vorteil um. Mehrfach nimmt er auf seine Vorredner und deren Antworten Bezug, um seiner Ansicht nach falsche Aussagen zu korrigieren. Die "Technologieoffenheit" der Union beim Klimaschutz nennt Habeck eine Chimäre und erklärt ausführlich, wie die Erneuerbaren sich Stück für Stück durchsetzen sollen.

In guten Momenten redet der Grüne konkret und verständlich, bezeichnet auch schon mal ein Gesetz als "völligen Quatsch" und gesteht als Einziger der vier einen Fehler ein: Als 2022 die aufkommende Krise im Baugewerbe sichtbar gewesen sei, hätte man ein Konjunkturpaket aufsetzen müssen. "Das haben wir nicht getan." Bei anderen Fragen verhakt sich Habeck - wie schon Scholz - zu sehr in Details, bis etwa Welmer sagt, "das wird hier gerade zu einer Energieberatung".

Ein mit Handwerkern, Rentnerinnen, Bauern, Pflegenden, Ärztinnen oder auch Studenten recht bunt gemischtes Publikum plus dem Zufallsprinzip, wer mit seiner Frage drankommt, sorgen für Vielfalt bei den Themen. Zumeist aus dem Leben gegriffen, aufgehängt an der konkreten Situation der Fragenden.

Habeck lässt eine Steilvorlage liegen

Die formulieren ihre Anliegen oft sehr auf den Punkt und haken nach, wenn die Antwort sie nicht weiterbringt. Alle vier Kandidaten bemühen sich spürbar, gut zu antworten, einen Draht zum Publikum herzustellen. Letzteres gelingt allerdings nur in Ansätzen. Es geht kein eindeutiger Sieger vom Platz.

Selbst Habeck, durch seine Küchentisch-Tour Kontakt mit Leuten außerhalb seiner Blase gewohnt, lässt eine Steilvorlage liegen: Als er dem Niedersachsen mit kaputtem Dach mehrfach erklärt hat, wie unverständlich seine Bank sich gebärdet, ruft der zum Abschied: "Wir gehen gemeinsam zur Bank." Ein "Das machen wir sofort in der Woche nach der Wahl" hätte dem Grünen eine Schlagzeile gesichert.

Quelle: ntv.de

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