"Echte politische Spannungen" Ungarn drohen Sanktionen
24.01.2012, 18:11 Uhr
Orban verfügt über eine komfortable Zweidrittelmehrheit.
(Foto: AP)
Ein Defizitverfahren gegen Ungarn wird immer wahrscheinlicher. Sollte Regierungschef Orban nicht in den nächsten zwei Monaten seine Haushaltspläne nachbessern, will die EU Zahlungen an das Land einstellen. Bei einem Treffen der EU-Finanzminister in Brüssel ist die Stimmung alles andere als gut.
Die EU-Finanzminister haben den Weg für ein Defizitverfahren gegen geebnet. "Ungarn hat nicht das Nötige getan", begründete in Brüssel die dänische Finanzministerin Margrethe Vestager, deren Land zu Jahresbeginn die EU-Ratspräsidentschaft übernahm, die Entscheidung. Die Finanzminister schlossen sich einer an und leiteten somit ein Verfahren ein, um gegen Budapest wegen des hohen Haushaltsdefizits des Landes vorzugehen. Ungarn drohen damit Sanktionen, die unter anderem das Einfrieren von Hilfen an Budapest umfassen könnten.
Für Regierungschef Viktor Orban bedeutet die Entscheidung einen herben Rückschlag, da seine Regierung derzeit versucht, wegen der schwierigen Haushaltslage, Milliardenhilfen von der EU und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zu erhalten. Orban hat nun zwei Monate Zeit, um seine Haushaltspläne nachzubessern.
Kommt die Regierung in Budapest dieser Auflage nicht nach, drohen nicht Strafzahlungen wie bei Euro-Ländern, sondern das Aussetzen von Zahlungen aus EU-Entwicklungstöpfen. Dies kann ab dem Januar 2013 wirksam werden, wie EU-Währungskommissar Olli Rehn erläuterte.
Die EU-Kommission wirft der ungarischen Regierung vor, nicht genug zu unternehmen, um ihr Haushaltsdefizit in den Griff zu bekommen. Die Brüsseler Behörde hatte kritisiert, dass die ungarische Neuverschuldung 2011 zwar unter der vorgegebenen Marke von drei Prozent der Wirtschaftsleistung lag - dies aber nur wegen der Berechnung auf Basis außergewöhnlicher Faktoren.
"26 gegen einen"
Bei dem Treffen der 27 EU-Finanzminister in Brüssel seien "echte politische Spannungen" zwischen Ungarn und den anderen europäischen Ländern zu spüren gewesen, sagte ein Diplomat. Das Kräfteverhältnis habe dabei "26 gegen einen" gestanden. "Das Defizit ist die eine Sache", sagte der Diplomat. "Aber allgemeiner gibt es Befürchtungen zum politischen Kurs, der von Ungarn eingeschlagen wurde."

In Budapest gingen am Sonntag Demonstranten für den Sender Klubradio auf die Straße.
(Foto: REUTERS)
Die rechtskonservative Regierung Orbans steht international seit Monaten in der Kritik, weil sie die demokratische Mitbestimmung im Land durch Gesetze und Änderungen der Verfassung beschneidet. Viele neue Vorschriften zielen darauf ab, die Macht seiner Partei zu stärken – auch über künftige Wahlen heraus. Die EU-Kommission und viele Mitgliedstaaten sorgen sich, dass die Grundwerte der EU - Demokratie, Rechtsstaatlichkeit oder Pressefreiheit - in Ungarn unter die Räder kommen.
Mitte Januar leitete die EU-Kommission deshalb drei Verfahren gegen Budapest ein. Dabei ging es um Gesetze, welche die Unabhängigkeit der Notenbank, der Justiz und der Datenschutzbehörde betreffen.
Kommission erwartet Stellungnahme
EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sagte unmittelbar vor Gesprächen mit Orban, diese Unterhaltung könne "den förmlichen Prozess eines Vertragsverletzungsverfahrens nicht ersetzen". Die Kommission erwarte eine offizielle und schriftliche Stellungnahme der Orban-Regierung. "Jetzt ist es Sache der ungarischen Stellen, förmlich zu antworten, um uns mitzuteilen, ob sie unsere Argumente akzeptieren oder ob sie Einwendungen haben - und wenn ja, welche", sagte Barroso.
Orban selbst versuchte offenbar die Wogen zu glätten. "Ich bin absolut bereit, alle Fragen - egal, wie schwierig sie sein mögen - offen zu diskutieren und wenn möglich zu gemeinsamen Schlussfolgerungen zu kommen", sagte Orban nach einem Gespräch mit dem Präsidenten des Europaparlamentes, . Schulz sagte, das Treffen habe "in wechselseitigem Respekt, aber auch in wechselseitiger Konfrontation stattgefunden". Schulz, bisher Fraktionsvorsitzender der Sozialdemokraten im EU-Parlament, ist einer der schärfsten Kritiker Orbans.
Orban wies Schulz' Vorwurf zurück, er betreibe eine "konfrontative" Politik zur Spaltung des Landes: "Wir versuchen das Volk hinter einem Wirtschafts- und Sozialprogramm zu einen und nicht zu spalten. Ich bin sicher, dass Herr Schulz nach nicht weniger als einigen Dutzenden Gesprächen mit mir einer Meinung sein wird."
Pressefreiheit eingeschränkt
Die für Medien zuständige EU-Kommissarin Neelie Kroes zeigte sich erneut besorgt über die Pressefreiheit. Der regierungskritische ungarische Radiosender Klubradio habe im vergangenen Jahr acht lokale Frequenzen verloren, sagte Kroes nach einem Gespräch mit den Chefs des Senders. "Diese Entwicklung macht mich besorgt hinsichtlich des Medienpluralismus und der Pressefreiheit in Ungarn", heißt es in einer Erklärung.
Quelle: ntv.de, ghö/jga/AFP/dpa