Politik

Klimapolitik bei Anne Will "Unsere Freiheit wird im Heizungskeller verteidigt"

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"Zeit"-Journalist Bernd Ulrich wirft Kanzler Scholz "Traumtänzerei" vor

(Foto: IMAGO/Jürgen Heinrich)

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Rundumschlag bei "Anne Will": Die Talkrunde streitet über die Heizwende und Wärmepumpen ab 2024, nennt Kanzler Scholz einen "Traumtänzer" und kritisiert CDU-Chef Merz. Am Ende jubelt in einer Sendung mit wenig Mehrwert niemand.

Ganz Deutschland diskutiert dieser Tage über Heizungen, Wärmepumpen und Klimaproteste. "Anne Will" ist da keine Ausnahme. Die ARD-Talkshow nimmt am Sonntagabend die Klimapolitik der Ampel-Regierung unter die Lupe und stellt die Frage, was das neue "Heizungsgesetz" bedeutet, ob Deutschland beim Thema Klimaschutz wirtschaftlich gut aufgestellt ist - oder etwa gerade eine Zukunftsbranche verliert. Tiefgreifende Erkenntnisse erhalten die Zuschauerinnen und Zuschauer bei der konfusen Sendung jedoch nicht.

"Das ist toll, da wird ein transatlantischer Wärme-Champion aufgebaut", jubelt Franziska Brantner. Die Grünen-Politikerin, parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium von Robert Habeck, spricht vom Verkauf der Wärmepumpen-Sparte des hessischen Familienunternehmens Viessmann an einen US-Konzern. Einige Experten sehen den Schritt kritisch. Mit der Fotovoltaik hat Deutschland schon einmal eine Zukunftsbranche verloren. Doch wo andere einen Ausverkauf befürchten, erkennt Brantner "eine starke Investition eines starken US-Unternehmens in Deutschland". Es ginge derzeit darum, den Standort Deutschland für die Wärmepumpen zu sichern, die Politik müsse "dafür sorgen, dass genug Arbeitsplätze vorhanden sind", und die erneuerbaren Energien ausbauen, damit der Strom günstiger wird.

Wachstum mit klimaneutraler Wirtschaft in Deutschland ist möglich"

Stephan Weil will da nicht mitjubeln. "Wir müssen schauen, dass in einem Markt mit großer Perspektive genügend deutsches Knowhow vorhanden ist", sagt der Ministerpräsident von Niedersachsen mit Blick auf den ausländischen Aufkauf in Zeiten der Heizwende. Thorsten Frei schaut noch ernster drein. Der erste parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion findet Deutschland "als Wirtschaftsstandort nicht attraktiv genug". Das sei "bedenklich". Schließlich sei der Viessmann-Verkauf nur ein Beispiel von vielen.

Ob Weil sich dennoch das von Olaf Scholz propagierte "Wirtschaftswunder" durch hohe Investitionen in den Klimaschutz vorstellen könne, möchte Talkmasterin Anne Will als Nächstes wissen. "Ja, wenn wir es richtig machen", sagt Weil. "Dann bleibt ein Großteil der Effekte in Deutschland." Wie genau "richtig" geht, sagt er nicht. "Zeit"-Journalist Bernd Ulrich wirft dem Kanzler dagegen "Traumtänzerei" vor. Scholz sage, dass jeden Tag vier bis fünf Windräder gebaut würden bis 2030, aber derzeit seien es nur 0,8 täglich. Weil kann da nicht zustimmen, warnt jedoch: Die nächsten zehn Jahre werden eine "Stressphase".

Wenig Grund zum Jubeln also weiterhin. Dem schließt sich in der Talkrunde auch Veronika Grimm an, die als eine der fünf Wirtschaftsweisen die Bundesregierung berät. "Wachstum mit klimaneutraler Wirtschaft in Deutschland ist möglich", sagt die Wirtschaftswissenschaftlerin, aber dafür benötige es bessere Rahmenbedingungen, die der Industrie "ökonomische Vorteile" hierzulande im Vergleich zum Ausland verschaffe, mehr Infrastruktur und vor allem "Entbürokratisierung".

Die Bürgerinnen und Bürger frohlocken dieser Tage ebenso wenig, denn die angekündigte Heizwende macht ihnen zu schaffen. Laut der Novelle des Gebäudeenergiegesetzes sollen neue Heizungen ab 2024 statt 2025 zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Gut so, sagt Ulrich, denn Deutschland finanzieren mit seinem "fossilem Geld Gegner der Demokratie". Bis zum Angriff auf die Ukraine habe man an Russland gezahlt, nun an Saudi-Arabien. In der Novelle erkennt er daher einen "Schritt für die Freiheit" und appelliert an die demokratischen Werte der Deutschen, wenn er sagt: "Unsere Freiheit wird im Heizungskeller verteidigt." Dem stellvertretenden Chefredakteur geht es darum, "nicht mehr so leben müssen, dass wir unsere Zukunft zerstören".

Man darf einzelne Haushalte nicht überfordern mit den Heizungen."

Für Frei kommt das neue Gesetz jedoch zu schnell. Die "Stakeholder" könnten sich nicht mehr richtig auf die Umstellungen vorbereiten, meint der CDU-Politiker. "Aber die wussten schon, dass es eine Klimakrise gibt, oder?", kontert Ulrich. Frei bemängelt weiterhin, dass die Ampel sich nur auf die Wärmepumpe konzentriere. "Machen wir nicht", entgegnet diesmal Brantner. Wichtig seien nur, dass mindestens 65 Prozent erneuerbare Energien eingesetzt würden, so die Grünen-Politikerin, das könne etwa "auch mit Biogas, Holzpellets oder einem hybriden System" passieren. Deutschland könne sich "nicht mit der Öl-Heizung retten", sonst "verschlafen wir die Zukunft".

Die Diskussion läuft immer stärker aus dem Ruder. Wirtschaftsweise Grimm warnt: "Man darf einzelne Haushalte nicht überfordern mit den Heizungen." Journalist Ulrich meint aber, dass wirklicher Klimaschutz "ohne Zumutungen nicht gehen" wird.

Talkmasterin Will versucht, die Sendung aus dem Heizungskeller herauszuführen und das Thema auf das große Ganze zu lenken, auf die Klimakrise. Gewisse Parteien würden für den Klimaschutz nicht genug tun, leitet sie das Thema ein - und erlaubt sich damit einen Seitenhieb auf die FDP, deren Bundesverkehrsminister Volker Wissing die Ziele des Klimaschutzgesetzes immer wieder verfehlt. Warum kein Vertreter der Liberalen in der Diskussionsrunde sitzt, ob sich niemand traute, bleibt unbeantwortet. Stattdessen spielt Will Aussagen von Friedrich Merz ein, in denen der CDU-Chef erklärt, "die Welt geht morgen nicht unter".

Mit Blick auf die Heiz-Debatte und die damit einhergehenden Ängste in der Bevölkerung fragt Will, ob Deutschland sich mit konsequentem Klimaschutz vielleicht nicht doch mehr Zeit lassen könne. "Die ganze Welt hat keine Zeit", sagt Ulrich energisch. Wer das sage, der mute den Bürgerinnen und Bürgern in zehn Jahren doppelt so viele Einschränkungen, Kosten und Veränderungen zu. Frei nimmt seinen Parteichef in Schutz, denn die CDU nehme Klimaschutz natürlich ernst, "aber apokalyptisches Denken nimmt Vernunft aus der Debatte heraus". "Mit jedem 'aber' stirbt ein Baum", wettert Ulrich daraufhin. Und SPD-Mann Weil warnt, Deutschland müsse aufholen, weil man jahrelang Zeit verloren habe, "aber nicht mit Dampfwalze über die Interessen der Menschen hinweg".

Wieder bleiben die Zuschauerinnen und Zuschauer mit der Frage zurück, wie dieser Weg genau aussehen soll. Dann endet die Diskussionsrunde, die zeigt, wie schwer sich die Politik tut, gemeinsam, sachorientiert und konstruktiv die große Bedrohung der Klimakrise anzugehen.

Beim Expertenrat für Klimafragen jubelt übrigens schon lange niemand mehr. Bis 2030 will Deutschland seinen Ausstoß von Treibhausgasen um mindestens 65 Prozent im Vergleich zu 1990 verringern, doch dieses Ziel erklärt der Rat vor zwei Wochen bei der Veröffentlichung seines Berichts zu den Treibhausgasemissionen der Bundesrepublik für 2022 als stark gefährdet.

Quelle: ntv.de

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