Politik

Ute Teichert im Interview "Unterschiedliche Regeln nicht nachvollziehbar"

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Deutschland diskutiert über Lockerungen und hofft auf ein Ende des Lockdowns. Im Interview mit ntv sagt Ute Teichert vom Bundesverband der Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, was sie davon hält, und was Menschen tun sollen, die einen positiven Schnelltest hatten.

Deutschland diskutiert über Lockerungen und hofft auf ein Ende des Lockdowns. Im Interview mit ntv sagt Ute Teichert vom Bundesverband der Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, was sie davon hält, und was Menschen tun sollen, die einen positiven Schnelltest hatten.

ntv: Gerade wird viel über Öffnungen und Lockerungsstrategien diskutiert. Was ist da Ihre größte Sorge?

Teichert: Ich glaube, wir wünschen uns alle sehr, dass verschiedene Öffnungen und Lockerungen kommen. Was mich sehr besorgt ist allerdings, dass die Zahlen wieder ansteigen und wir sehen, dass sich die Virusmutanten weiter ausbreiten. Das beschäftigt mich sehr.

Sind wir wirklich lockerungsmüde, und was müssen wir machen, um die Leute nicht komplett zu verlieren?

Ute Teichert ist Chefin des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst.

Ute Teichert ist Chefin des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst.

(Foto: Screenshot)

Wir müssen eine klare Strategie und Perspektive dahintersetzen. Wir müssen es begründen. Es ist einfach nicht nachvollziehbar, wenn unterschiedliche Regelungen kommen. Warum dürfen in einigen Bundesländern Garten- und Baumärkte aufmachen und in anderen Bundesländern nicht? Und warum dürfen dann die anderen Geschäfte nicht aufmachen? Das ist aus infektiologischer Sicht schwierig nachzuvollziehen, und ich glaube, das spüren die Menschen auch. Die Menschen würden mitmachen und würden sich beteiligen, wenn es Konzepte gibt, die nachvollziehbar sind.

Würden Lockerungen automatisch bedeuten, dass die Zahlen und die Inzidenzen weiter steigen?

Wenn jetzt bestimmte Betriebe und Einrichtungen wieder aufmachen und viele Leute dahinkommen, ist damit zu rechnen, dass sich das über die Menschen weiter verbreitet. Man muss also sehen, dass man dann vernünftige Hygienekonzepte und andere Lösungen dahinter stellt, damit genau das nicht passiert.

Glauben Sie, dass die Inzidenz von 35 gescheitert ist, und war sie eigentlich sinnvoll?

Die Zahlen sind als Maßeinheiten eigentlich ganz sinnvoll, da man sich daran etwas orientieren kann. Zumindest ist es das, was ich im Laufe der Pandemie gelernt habe. Ich war von Anfang an kein Freund dieser Zahlen, aber ich habe verstanden, dass die Gesellschaft sich an einem Maß orientieren muss, und dann ist es eigentlich egal, wo das Maß liegt. Aber wir rücken ja gerade wieder von dieser Idee ab und gucken in andere Richtungen, und da muss es auch hingehen: Wir müssen uns nicht an den Zahlen festklammern als Maßeinheit, sondern wir müssen uns die Infektionsketten angucken.

Sind die Gesundheitsämter denn gerade in der Lage, sich diese Infektionsketten so anzugucken, wie es wünschenswert wäre? Wie ist die Situation?

Ganz wichtig ist tatsächlich, dass wir die Infektionsketten nachverfolgen können. Es ist ein Unterschied, ob ich in einem Betrieb einen Ausbruch habe, wo dann auch über tausend Mitarbeiter positiv getestet wurden, oder ob ich in der gleichen Anzahl in der Region verschieden verteilte Infektionen habe, von denen ich gar nicht weiß, wie sie zusammenhängen und wo sie herkommen. Und genau dahin müssen wir gucken. Das heißt, wir müssen rückwärtsgewandt nicht nur fragen, mit wem waren sie zusammen, sondern auch, bei welcher Gelegenheit das übertragen worden sein könnte. Da muss man den Fokus ein kleines bisschen ändern. Aber ich glaube, das würde uns einen erheblichen Gewinn bringen, denn dann können wir auch die Cluster besser nachverfolgen.

Jetzt sollen ja Öffnungen durch Impfungen und Schnell- und Selbsttests flankiert werden. Reicht das aus Ihrer Sicht?

Ich glaube schon, dass man mit Schnelltests und einer vernünftigen Teststrategie Öffnungen begleiten kann. Man muss schauen, was passiert in den einzelnen Bereichen - etwa in Kitas und Schulen. Dort ist der Druck am größten. Dann macht es Sinn, dort vielleicht zweimal die Woche zu testen. Wir brauchen auch eine digitale Kontaktpersonen-Erfassung, per App mit einem QR-Code, damit wir wissen, wie wir die Ketten nachverfolgen. Das sind gute Konzepte, mit denen wir starten können.

Welche Rolle haben dabei die Gesundheitsämter? Was muss passieren, wenn man sich Zuhause mit einem Schnelltest positiv testet?

Das ist das, was uns noch fehlt. Wir brauchen eine klare Handlungsanweisung. Ich muss als Bürger wissen, was ich machen muss, wenn ich einen positiven Schnelltest habe. Ich muss irgendeine Anweisung haben, an wen wende ich mich, und nicht da stehen und mich fragen, wo kann ich mich denn jetzt testen lassen, muss ich einen PCR-Test machen, muss ich mich direkt isolieren. Ich würde sagen ja. Jeder, der positiv getestet ist, sollte sich sofort isolieren und sehen, dass er einen Bestätigungstest bekommt. Dafür braucht er eine Telefonnummer oder eine Online-Anmeldung. Das müsste am besten schon im Schnelltest mitenthalten sein, damit man weiß, wo man anrufen kann und dann lässt man sich sofort bestätigen.

Verstehe ich Sie richtig, dass diese Anweisungen und Pläne alle noch gar nicht existieren?

Es gibt schon Ideen dazu. Es gibt auch Schnelltest-Anbieter, von denen ich das schon gesehen habe. Aber inwieweit das flächendeckend schon umgesetzt ist, kann ich im Moment nicht überblicken.

Sie haben auch einmal gesagt, wir müssen es schaffen, "vor die Infektion zu kommen". In dem Zusammenhang gibt es von Berliner Amtsärzten den Vorschlag, wenn in einem Berliner Straßenzug besonders viele positive Tests auffallen, gleich den ganzen Straßenzug unter Quarantäne zu stellen. Wäre das eine Möglichkeit?

Ich glaube nicht, dass das so gemeint ist. Was ich gut finde an der Geschichte ist, dass man auf regionale Ereignisse differenziert reagieren kann, so verstehe ich die Idee mit dem Straßenzug. Das wiederum ist ein vernünftiges Konzept, denn so könnten wir uns auch regional nach vorne tasten. Wenn wir also Regionen mit niedrigen Inzidenzzahlen haben und dort die Infektionsketten nachverfolgen könnten, dann macht es ja Sinn, dort mehr Öffnungen zu machen und, umgekehrt, so wie es die Berliner vorgeschlagen haben, in Bereichen, wo es nicht mehr nachverfolgbar ist, man eben zu anderen Maßnahmen greift. So könnte man relativ gut differenziert vorgehen.

Das Interview führte Doro Steitz.

Quelle: ntv.de

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