Der Kriegstag im Überblick Verhandlungen unterbrochen - Separatisten: 20 Tote bei Raketenangriff in Donezk
14.03.2022, 20:28 Uhr
Nach dem Angriff auf ein Hochhaus im Norden Kiews evakuieren Rettungskräfte die Bewohner.
(Foto: picture alliance/dpa/Ukrainian State Emergency Service/AP)
Während die Kämpfe in der Ukraine weitergehen, legen Moskau und Kiew eine Verhandlungspause ein. In Donezk kommen bei einem Raketenangriff laut Separatisten 20 Menschen ums Leben, in Mariupol erliegt eine Schwangere ihren Verletzungen. Die EU verhängt Sanktionen gegen Oligarchen. Der 19. Kriegstag im Überblick.
Kiew und Moskau vertagen Gespräche
Die vierten Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine über eine Waffenruhe haben erneut keine greifbaren Ergebnisse gebracht. Am 19. Kriegstag vertagten die Unterhändler die Gespräche per Video-Schalte auf den morgigen Dienstag. Bei der Unterbrechung handle es sich um eine technische Pause für Gespräche in Arbeitsgruppen und eine "Klärung individueller Definitionen", erläuterte der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak.
Moskau räumt Fehlkalkulation ein
Erstmals räumte ein ranghoher Beamter aus dem Sicherheitsapparat von Präsident Wladimir Putin ein, dass der russische Angriff nicht so vorankomme wie geplant. Das Verteidigungsministerium schließt die Einnahme großer Städte in der Ukraine nicht aus, wie Putins Sprecher Dmitri Peskow sagte. Die militärischen Pläne erläuterte Putins Sprecher laut Agentur Interfax so: "Zu Beginn der Operation hat der russische Präsident das Verteidigungsministerium angewiesen, von einem sofortigen Angriff auf die großen Bevölkerungszentren, einschließlich Kiews, abzusehen." Das Verteidigungsministerium schließe nun nicht aus, die vollständige Kontrolle über große besiedelte Gebiete zu übernehmen. Grund sei, dass "nationalistische Formationen" angeblich "militärisches Gerät" in Wohngebieten platziert hätten.
Pentagon: Vorstoß auf Kiew verläuft schleppend
Nach Einschätzung der US-Regierung macht das russische Militär nur langsam Fortschritte beim Vorstoß auf die ukrainische Hauptstadt Kiew. Stellenweise seien die Soldaten weiter rund 15 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, sagte ein hoher US-Verteidigungsbeamter. Ein kilometerlanger, ins Stocken geratener russischer Militärkonvoi sei auch nicht wirklich vorangekommen. Die nordukrainische Stadt Tschernihiw sei im Wesentlichen isoliert. Aber auch dort gibt es dem Pentagon zufolge kaum Fortschritte des russischen Militärs, weil der Widerstand der Ukrainer demnach sehr stark ist.
Der jüngste russische Angriff auf den Militärübungsplatz Jaworiw rund 15 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt hat nach Angaben des Pentagon keine Auswirkungen auf die Lieferungen des Westens an die ukrainische Armee. Es wäre falsch anzunehmen, dass die Russen dort eine Art Umschlagplatz für Sicherheitsunterstützung getroffen hätten, sagte der Beamte. Seit Beginn des Krieges habe das russische Militär insgesamt mehr als 900 Raketen abgeschossen. Der Beamte betonte außerdem, dass der ukrainische Luftraum weiterhin umkämpft sei. Die Russen hätten trotz ihrer Ausrüstung nicht die Kontrolle über den Luftraum.
Schwangere und ungeborenes Kind gestorben
Nach dem Angriff auf eine Geburtsstation in der belagerten südostukrainischen Stadt Mariupol starb eine schwangere Frau und ihr ungeborenes Kind. Das teilte das ukrainische Außenministerium mit. Ein Foto, das zeigt, wie mehrere Männer die Schwangere auf einer Trage durch den zerstörten Klinikkomplex tragen, hatte weltweit für Aufsehen gesorgt. Auf den Fotos war auch eine zweite Schwangere in einem gepunkteten Schlafanzug zu sehen gewesen. Diese Frau hat mittlerweile ein Mädchen zur Welt gebracht, wie Medien berichteten.
Rund 160 Autos von Zivilisten schafften es nach ukrainischen Angaben, über einen Fluchtkorridor aus Mariupol herauszukommen. Wie die Verwaltung der Hafenstadt auf Telegram mitteilte, nahmen die Fahrzeuge gegen 13 Uhr Ortszeit die Straße über Berdjansk in Richtung der Stadt Saporischschja. Wie viele Menschen die Stadt auf diese Weise verlassen konnten, blieb zunächst offen. Die Stadtverwaltung erklärte in der Mittagszeit, die Waffenstillstandsvereinbarungen würden zurzeit an den Fluchtkorridoren eingehalten. Mehrere vorausgegangene Versuche, Zivilisten aus Mariupol in Sicherheit zu bringen, waren fehlgeschlagen.
Zwei Tote bei Angriff auf Hochhaus in Kiew
Im Norden der ukrainischen Hauptstadt Kiew brach am Morgen bei einem Angriff auf ein Hochhaus ein Feuer aus. Mindestens zwei Menschen seien getötet worden, berichtete das ukrainische Fernsehen. Der staatliche Zivilschutz teilte mit, dass 63 Menschen evakuiert worden seien. Die Suche nach Opfern dauere an. Auf Fotos und Videos war zu sehen, wie Feuerwehrleute Bewohner mithilfe von Drehleitern retteten. Rauch stieg aus mehreren Etagen auf. Das Hochhaus soll von einem Artilleriegeschoss getroffen worden sein. Das ließ sich nicht überprüfen. Weitere Angaben lagen zunächst nicht vor. Heftige Gefechte gibt es nördlich und östlich von Kiew.
Explosion nahe AKW Saporischschja
Russische Truppen sollen ukrainischen Angaben zufolge Teile eines Munitionslagers unweit des besetzten Atomkraftwerks Saporischschja gesprengt haben. Die Explosion habe sich bei der Ruine eines Militär-Ausbildungsplatzes ereignet, teilte der ukrainische Atomkraftbetreiber Enerhoatom auf Telegram mit. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Von russischer Seite gab es zunächst keine Stellungnahme. Das Personal im Kraftwerk habe wegen der Explosion zwischenzeitlich seine Arbeit niedergelegt, hieß es von Enerhoatom. Ob die Strahlenbelastung sich durch den Vorfall verändert habe, sei bislang nicht bekannt.
Das ehemalige Atomkraftwerk Tschernobyl ist nach Angaben des ukrainischen Betreibers Ukrenerho erneut ohne Strom. Die Leitung, die das Werk sowie die nahe gelegene Stadt Slawutytsch nördlich von Kiew versorge, sei von den russischen Kräften beschädigt worden, teilte Ukrenerho mit. Von russischer Seite gab es zunächst keine Stellungnahme. Russische Truppen sollen ukrainischen Angaben zufolge Teile eines Munitionslagers unweit des besetzten Atomkraftwerks Saporischschja gesprengt haben.
Separatisten: 20 Tote bei Raketenangriff in Donezk
In der ostukrainischen Großstadt Donezk sind nach Angaben aus Moskau und der prorussischen Separatisten mindestens 20 Menschen bei einem ukrainischen Raketenangriff getötet worden. Das russische Verteidigungsministerium teilte mit, 28 weitere Zivilisten seien schwer verletzt worden. Unter den Opfern seien Kinder. Von den Separatisten hieß es, die Rakete vom Typ Totschka-U (NATO-Code: SS-21 Scarab) sei über Donezk abgefangen worden, Teile seien aber dennoch im Stadtzentrum niedergegangen. Kiew wies die Vorwürfe am Abend zurück. Es sei "eindeutig eine russische Rakete oder eine andere Art von Munition" gewesen, sagte Leonid Matjuchin, ein Vertreter des ukrainischen Verteidigungsministeriums, der Agentur Interfax-Ukraine zufolge. Die Angaben beider Seiten konnten nicht unabhängig überprüft werden.
Sowohl das russische Ministerium als auch Separatistenführer Denis Puschilin beschuldigten die Ukraine, es habe sich um einen Angriff mit einer verbotenen Streubombe gehandelt, die noch in der Luft über dem Ziel eine Vielzahl kleiner Sprengkörper freisetzt. Das sei ein Kriegsverbrechen, sagte Puschilin, der Chef der selbst ernannten "Volksrepublik Donezk".
Putin telefoniert mit Bennett
Kreml-Angaben zufolge telefonierte Putin ein weiteres Mal mit dem israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett zum Krieg in der Ukraine. Putin habe Bennett dabei unter anderem über den Raketenangriff auf die von prorussischen Separatisten geführte Stadt Donezk informiert, bei dem 20 Zivilisten getötet worden sein sollen, teilte der Kreml am Abend mit. Zudem seien die aktuell laufenden russisch-ukrainischen Verhandlungen thematisiert worden. Bennett hat seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine bereits mehrfach sowohl mit Putin als auch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gesprochen. Selenskyj schlug Jerusalem kürzlich als möglichen Ort für Verhandlungen mit Putin über ein Kriegsende vor.
Scholz und Erdogan fordern von Putin Waffenstillstand
Bundeskanzler Olaf Scholz suchte bei seinem Antrittsbesuch in der Türkei nach einer diplomatischen Lösung. Gemeinsam mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan forderte er einen Waffenstillstand. An Putin richteten sie den Appell: "Halten Sie inne." Scholz betonte: "Mit jedem Tag, mit jeder Bombe entfernt sich Russland mehr aus dem Kreis der Weltgemeinschaft, die wir miteinander bilden."
EU verhängt Sanktionen gegen Oligarchen
Die Europäische Union verhängt Sanktionen gegen weitere russische Oligarchen - darunter auch den Eigentümer des britischen Fußballclubs FC Chelsea, Roman Abramowitsch. Ihnen drohen der Entzug ihres Vermögens in der EU sowie Einreiseverbote, wie Diplomaten in Brüssel mitteilten. Zuvor hatte auch Großbritannien Sanktionen gegen Abramowitsch und andere Milliardäre beschlossen, die zum "inneren Kreis" des russischen Staatschefs Wladimir Putin gehören sollen. Abramowitsch ist ein Sonderfall, denn er hat neben der russischen und israelischen auch die portugiesische Staatsbürgerschaft und damit einen EU-Pass. Die Umstände seiner Einbürgerung werden in Portugal allerdings derzeit untersucht.
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Quelle: ntv.de, chf/dpa/afp