Angespannte Ruhe in Kairo Warten auf den "Tag des Abgangs"
04.02.2011, 06:57 Uhr
Die Opposition in Kairo rüstet sich: Mubarak soll heute zurücktreten, fordert sie.
(Foto: dpa)
In Ägypten sind neue Proteste mit hunderttausenden Teilnehmern nach dem Freitagsgebet angekündigt. Die Opposition ruft den "Tag des Abgangs" für Mubarak aus, in Al-Arisch gibt es erste Ausschreitungen. Auch international wächst der Druck auf den ägyptischen Staatschef. Doch der bleibt stur und verweigert seinen sofortigen Rückzug.
Die Welt blickt auf den Tahrir-Platz in Kairo. Zehntausende Menschen sind dort versammelt - im Laufe des Tages werden Hunderttausende zu neuen Massenprotesten erwartet. An diesem Freitag endet das Rücktritts-Ultimatum der Opposition an Staatspräsident Husni Mubarak - die Demonstranten sprechen daher vom "Tag des Abgangs". Die USA dringen inzwischen mit aller Macht auf ein Aus Mubaraks. Auch die EU-Staats- und Regierungschefs und die Sicherheitskonferenz in München befassen sich mit dem Thema.
Der ägyptische Verteidigungsminister Mohammed Hussein Tantawi und mehrere Generäle der ägyptischen Armee trafen auf dem Tahrir-Platz ein, "um die Lage zu inspizieren". Nach Angaben des Senders Al-Arabija appellierte er an die Menge: "Hey Leute, es reicht. Der Mann wird nicht mehr kandidieren." Tantawi fügte hinzu: "Sagt dem Oberhaupt der Muslimbrüder, dass er den Dialog akzeptieren soll." Der Minister gab sich volksnah und sprach in ägyptischem Dialekt zu den Demonstranten. Zuvor erklärte die derzeit verbotenen islamistischen Partei der Muslimbrüder, sie seien erst nach dem Ende des Mubarak-Regimes zu Gesprächen bereit.
Erste Aussschreitungen hat es offenbar in der ägyptischen Stadt Al-Arisch gegeben. Dort hat eine Gruppe von bewaffneten Männern die Zentrale der Geheimpolizei mit Panzerfäusten angegriffen. Nach Angaben von Augenzeugen brach ein Feuer in dem Neubau aus, der neben mehreren Verwaltungsgebäuden liegt. In Al-Arisch, eine Stadt im Norden der Sinai-Halbinsel hatte es in den vergangenen Tagen ebenso wie in Kairo, Alexandria und Suez Protestaktionen gegen die Staatsmacht gegeben.
Verhandlungen für Machtwechsel laufen
Unterdessen drängen die USA mit aller Macht auf eine Wende in Ägypten. Obwohl Mubarak die Macht nicht aus den Händen geben will, arbeitet Washington an einer Lösung. Nach einem Bericht der "New York Times" diskutieren die Regierung von Präsident Barack Obama mit ägyptischen Regierungsbeamten einen Vorschlag für einen sofortigen Rücktritt Mubaraks.
Die Macht solle eine Übergangsregierung unter Vizepräsident Omar Suleiman an der Spitze übernehmen. Diese solle die Unterstützung des Militärs haben, berichtet das Blatt unter Berufung auf Regierungsbeamte und arabische Diplomaten. Auch der Generalstabschef der ägyptischen Armee, Generalleutnant Sami Hafis Anan, und Verteidigungsminister Mohammed Hussein Tantawi sollten hinter der Übergangsregierung stehen.
Es sollten auch andere politische Kräfte eingebunden werden, einschließlich der Muslimbrüderschaft, schreibt das Blatt. Allerdings räumen die Regierungsbeamten ein, eine Lösung hänge von verschiedenen Faktoren ab, vor allem von der weiteren Entwicklung der Proteste. Außerdem betonten sie, dass nicht direkt mit Mubarak verhandelt werde.
Angriffe auf Regimegegner
Mubarak lehnt einen sofortigen Rücktritt bisher strikt ab. "Wenn ich heute zurücktrete, wird Chaos ausbrechen", sagte er dem TV-Senders ABC. Er hält sich nach Angaben des US-Senders im schwer bewachten Präsidentenpalast in Kairo auf.
Unterdessen bot Vize Omar Suleiman der Opposition einschließlich der Muslimbruderschaft umfassende Verhandlungen an. Der neue ägyptische Regierungschef Ahmed Schafik kündigte eine Bestrafung der Verantwortlichen für die Angriffe auf Regimegegner und eine Untersuchung der Vorgänge auf dem Tahrir-Platz an. Dabei wurden nach Angaben des Gesundheitsministeriums in den vergangenen Tagen 13 Menschen getötet.
Am zweiten Tag in Folge lieferten sich Gegner und Anhänger Mubaraks am Donnerstag heftige Straßenschlachten. Allein zwischen Mittwochabend und Donnerstagfrüh wurden nach offiziellen Angaben fünf Menschen getötet und mehr als 830 verletzt. Erstmals seit dem Beginn der seit zehn Tagen andauernden Proteste kam zudem auch ein Ausländer ums Leben, wie Rettungskräfte und ein Zeuge bestätigten. Seine Nationalität ist noch nicht bekannt.
Auch ausländische Journalisten und Menschenrechtsaktivisten gerieten verschärft zwischen die Fronten. In Kairo nahm die Polizei ausländische Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisationen Amnesty International und Human Rights Watch fest. Das Hilfswerk der SOS-Kinderdörfer teilte mit, dass zwei Einrichtungen in Kairo und Alexandria von mutmaßlichen Plünderern angegriffen worden seien.
"Wir brauchen Zeit"
Auch unter führenden Politikern in Ägypten ist die Forderung nach einem sofortigen Rücktritt Mubaraks umstritten. Führende Oppositionelle, darunter der Friedensnobelpreisträger Mohammed el Baradei und der ehemalige liberale Präsidentschaftskandidat Eiman Nur, verlangen als Bedingung für einen Dialog Mubaraks sofortigen Rücktritt. Suleiman drängte hingegen die Opposition zur Vorbereitung der Wahl eines Nachfolgers Mubaraks im August oder September.
"Die Zeit drängt", sagte Suleiman in dem Fernseh-Interview. "Wir brauchen 70 Tage allein um die Verfassung zu modifizieren." Er erwähnte jene Verfassungsartikel, die derzeit eine freie Präsidentenwahl unmöglich machen. Die von der Opposition verlangte Auflösung des Parlaments lehnte er ab. Die Volksvertretung werde benötigt, um die Verfassungsänderungen auf den Weg zu bringen.
Westerwelle weist Kritik zurück
Bundesaußenminister Guido Westerwelle hat die Massenproteste in Kairo als vorrangig innerägyptische Angelegenheit bezeichnet. "Man schwächt die demokratische Bewegung in Ägypten, wenn der Eindruck erweckt wird, sie sei eine Sache des Westens und nicht des ägyptischen Volkes selbst", sagte Westerwelle nach Angaben des Auswärtigen Amtes. Westerwelle wollte im Tagesverlauf auch mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon über die Zuspitzung der Lage in dem bevölkerungsreichsten arabischen Land sprechen.
Das Auswärtige Amt wies Kritik an der Ägypten-Politik der Bundesregierung zurück. Im Umfeld Westerwelles hieß es, wenn jetzt der Westen plakativ den Rücktritt Mubaraks fordere, könne dies zu einer Stabilisierung des Systems führen. Hinter den Kulissen werde eine Vielzahl von Gesprächen geführt, um den demokratischen Wandel in Ägypten zu befördern.
Bundesregierung warnt vor Reisen
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon verurteilte die Gewalt gegen Medien- und Menschenrechtsvertreter als "skandalös und völlig inakzeptabel". Ban sagte nach einem Treffen mit Bundespräsident Christian Wulff in Berlin, sie seien beide "sehr beunruhigt angesichts der Einschüchterung und der Restriktionen gegen internationale Medien in Kairo". Wulff betonte, die internationale Staatengemeinschaft sei gefordert, "ein ganz klares Signal zu geben".
Die EU berät auf ihrem Sondertreffen in Brüssel über Ägypten. Laut einem Entwurf für die Abschlusserklärung fordern die Staats- und Regierungschef einen "raschen Wandel". Zur Zukunft von Mubarak äußern sie sich nicht.
Angesichts der Gewalt warnte die Bundesregierung vor Reisen nach Kairo, Alexandria und Suez. Von Reisen in die übrigen Landesteile einschließlich der Urlaubsgebiete am Roten Meer riet das Ministerium "weiterhin dringend" ab. Zudem empfahl das Auswärtige Amt "nachdrücklich", die Ausgangssperre zu beachten und insbesondere am Freitag auch außerhalb dieser Zeiten "in sicheren Unterkünften zu bleiben".
Quelle: ntv.de, fma/dpa/AFP