Gecancelte Europarede veröffentlicht Was Cameron sagen wollte
18.01.2013, 15:03 Uhr
Cameron: "Der Mangel an demokratischer Verantwortlichkeit wird besonders akut in Großbritannien gespürt."
(Foto: picture alliance / dpa)
Großbritanniens Premierminister Cameron befürchtet, dass sein Land aus der EU driftet, wenn sich die Staatengemeinschaft nicht reformiert. Er fordert größere Unabhängigkeit der Insel von Brüssel. Fraglich bleibt, ob er auch das Risiko von Neuverhandlungen der EU-Verträge eingeht.
Als David Cameron seine Grundsatzrede zur Rolle Großbritanniens in Europa wegen der Saharakrise absagte, dürfte ein Seufzer der Erleichterung durch die Büros und Säle der EU-Institutionen in Brüssel und Straßburg gegangen sein - und vermutlich auch durch das Bundeskanzleramt in Berlin. Die Rede, oder besser der Kurs, den Cameron damit einschlagen würde, schien das Potenzial zu haben, die Insel über kurz oder lang aus der Staatengemeinschaft zu katapultieren. Manch einer dürfte sich da einen kurzen Aufschub gewünscht haben. Doch es kam anders. Die Spindoktoren aus der Downing Street hatten ein Manuskript der Rede schon vor ihrer Absage an mehrere Redaktionen geschickt. Und die berichteten prompt über die Kernbotschaften.
Der Premierminister befürchtet laut Redetext, dass Großbritannien aus der EU driftet, wenn sich die Staatengemeinschaft nicht reformiert. "Die Kluft zwischen der EU und ihren Bürgern ist dramatisch gewachsen", so Cameron. "Der Mangel an demokratischer Verantwortlichkeit wird besonders akut in Großbritannien gespürt." Die Bürger auf der Insel seien frustriert, dass Entscheidungen, die sie betreffen, immer weiter weg von ihnen besiegelt würden.
Mehr Sonderrechte für Großbritannien
Kurzum: Cameron wollte der Welt mitteilen, dass er für größere Unabhängigkeit der Briten von Brüssel kämpfen will. Obwohl das Land schon jetzt weitreichende Sonderrechte wie den Britenrabatt (milliardenschwere Nachlässe bei Abgaben an Brüssel) genießt.
Wirklich überraschend kommt all das nicht. Cameron hatte diesen Kurs schon angedeutet und auch ein Referendum in Aussicht gestellt, in dem die Briten entscheiden sollen, ob sie sich eine größere Freiheit ihres Landes in Europa wünschen. Auch, dass er sich gegen einen Austritt stellt, war schon zuvor bekannt. "Ich möchte, dass die EU erfolgreich ist, und ich will eine Beziehung zwischen Großbritannien und der EU, die es uns erlaubt, Teil von ihr zu bleiben", heißt es nun im Manuskript. Brisant ist all das, was jetzt schwarz auf weiß vorliegt, dennoch.
Denn fraglich ist, ob Camerons Wunsch, in der EU zu bleiben, in Erfüllung gehen kann, wenn die Insel auf noch weiter reichende Sonderregeln pocht. Vor allem, wenn dafür die Neuverhandlung von Verträgen nötig ist. Die lehnen nämlich die meisten Mitgliedsstaaten, darunter die Bundesrepublik, strikt ab. In seiner Rede ging Cameron auf diesen Punkt genausowenig ein, wie auf das geplante Referendum.
Getrieben von Euroskeptikern und Europafreunden
Unklar blieb auch, wann Cameron einen neuen Anlauf für die Rede unternehmen will. Er schiebt den Termin schließlich schon seit einem halben Jahr vor sich her. Seine Begeisterung, sie überhaupt zu halten, scheint gering ausgeprägt zu sein. Wohl maßgeblich, weil der Druck auf ihn in der Heimat gewaltig ist.
In seiner konservativen Partei gibt es einen starken euroskeptischen Flügel, der in den vergangenen Monaten auffällig häufig auf Umfrageergebnisse hingewiesen hatte, die zeigen, dass sich die Mehrzahl der Briten einen Austritt wünscht. So belegte eine Erhebung des "Guardian", dass 53 Prozent Briten die EU verlassen wollen, wenn es Cameron nicht gelingt, Befugnisse aus Brüssel zurückzuholen. Camerons liberaler Koalitionspartner rund um Vizepremier Nick Clegg ist dagegen ausgesprochen europafreundlich. Und auf ihn kann der Premierminister angesichts eines klaren Vorsprungs der Labour-Partei vor den Konservativen nicht verzichten.
In den vergangenen Monaten machte Cameron daher den Eindruck, als sei er ein Getriebener, als versuche er, es irgendwie allen recht zu machen. Damit heimste er sich den Vorwurf der Führungsschwäche ein. Dass seine Rede nun auf Umwegen an die Öffentlichkeit gelangt ist, macht die Lage für ihn nicht einfacher. Jetzt muss er sich schließlich auch noch fragen, was er beim nächsten Anlauf eigentlich noch sagen will.
Quelle: ntv.de, ieh/dpa/rts