Politik

Die sonderbare Rolle der NRW-Ministerpräsidentin Was haben Sie eigentlich vor, Frau Kraft?

Hannelore Kraft ist seit 2007 SPD-Chefin in Nordrhein-Westfalen und seit 2010 Ministerpräsidentin des bevölkerungsreichsten Bundeslandes.

Hannelore Kraft ist seit 2007 SPD-Chefin in Nordrhein-Westfalen und seit 2010 Ministerpräsidentin des bevölkerungsreichsten Bundeslandes.

(Foto: imago stock&people)

Seit dem Wahlabend geht Hannelore Kraft spürbar auf Distanz zur SPD-Parteispitze. Sie ist das Sprachrohr der Gegner einer Großen Koalition. Welche Ziele verfolgt die Frau, die viele sogar für kanzlertauglich halten?

Hannelore Kraft verkündet es an einem Sonntag zur besten Sendezeit in der Sendung von Günther Jauch. "Ich bin nicht grundsätzlich gegen eine Große Koalition", sagt die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin. "Ich bin nur dagegen, eine Große Koalition um jeden Preis zu machen, in der sich die SPD mit ihren Themen, mit ihren Positionen nicht wiederfindet."

Nebensätze, einzelne Wörter können entscheidend sein: Es geht um die feinen Unterschiede in diesen Tagen. Und Kraft ist derzeit vor allem eins wichtig: Seit der Bundestagswahl macht sie immer wieder deutlich, dass sie einem Bündnis mit der Union besonders skeptisch gegenüber steht. Womöglich noch stärker als Parteichef Sigmar Gabriel und Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier.

Als SPD-Vizechefin und Anführerin des rot-grünen Bundesrats ist Kraft schon seit einiger Zeit eine der wichtigsten Figuren in der Partei. Für einige Genossen war sie schon im vergangenen Jahr die ideale Kanzlerkandidatin. Für die Zukunft der deutschen Sozialdemokratie galt vor der Wahl die Formel: Verliert die SPD allzu heftig, dann schlägt Krafts Stunde. Am 22. September holte die Partei dann ihr zweitschlechtestes Ergebnis, doch der große Knall blieb bislang aus. Kraft steht daher unter extremer Beobachtung. Jeder ihrer Schritte wird auf mögliches Konfliktpotenzial untersucht. Was will sie, was treibt sie an? Spekulationen gibt es viele, dazu trägt die 52-Jährige in diesen Tagen selbst bei.

Schon am Wahlabend suchte sie das Vier-Augen-Gespräch mit Gabriel. Hier soll sie ihm auch das Versprechen abgetrotzt haben, einen Koalitionsvertrag von den Mitgliedern abstimmen zu lassen. Dabei blieb es nicht: Nach der Wahl ließen Vertreter des mächtigen NRW-Landesverbandes täglich verlauten, dass es keine Große Koalition geben würde. Wenn überhaupt, so der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Axel Schäfer, müsste die Basis in die Entscheidung eingebunden werden.

Distanz und scharfe Töne

Auf dem Weg zum Gespräch mit der Union: Gabriel, Steinmeier und Kraft.

Auf dem Weg zum Gespräch mit der Union: Gabriel, Steinmeier und Kraft.

(Foto: imago stock&people)

Über Krafts Ziele wird selbst in der SPD gerätselt. Beim Parteikonvent Ende September gab sich die Ministerpräsidentin ungewohnt zahm. Warb sie an dem einen Tag gegenüber den Delegierten noch um Vertrauen für die Parteispitze und ein erstes Gespräch mit der Union, schwenkte sie kurz darauf wieder um. Auf die mögliche Wiederwahl Gabriels beim Parteitag im November erwiderte sie tags darauf gegenüber der "Bild"-Zeitung vieldeutig: "Wenn er den Prozess jetzt gut gestaltet, wird sein Rückhalt weiter steigen." Auch ein paar Tage später, beim ersten Sondierungsgespräch mit der Union, wurden eifrige Beobachter fündig. Nach Teilnehmerangaben sei Kraft die Einzige gewesen, die bei dem ersten Treffen mit der Union einen scharfen Ton angeschlagen habe.

Das Verhalten von Kraft wirkt wohl bedacht. Sie ist von Anfang an auf Distanz gegangen zu Gabriel und Steinmeier, die ein Bündnis mit der Union stärker vorantreiben. Im Gegensatz zu ihnen kann Kraft niemand vorwerfen, ihr ginge es nur um ein Ministeramt. Fällt ein möglicher Koalitionsvertrag bei den Mitgliedern am Ende durch, ist die Zukunft von Gabriel unsicher, aber sie hätte sich in jedem Fall profiliert: als Sprachrohr derer, die gegen Schwarz-Rot opponieren. Sie könnte darauf verweisen, dass sie immer dagegen war und auch das Basisvotum gilt als ihr Verdienst. Für den Fall einer Großen Koalition würde sie in NRW weiterhin das sozialdemokratische Gewissen repräsentieren, während man in Berlin schmerzhafte Kompromisse eingehen müsste. Viel verlieren kann sie also nicht.

"Ich halte das für völlig abwegig"

Dass Kraft in diesen Tagen eine Art Opposition in der SPD-Führung einnimmt, gibt viel Raum für Spekulationen. Setzt sie sich bewusst von anderen Spitzengenossen ab oder versucht sie nur, den Preis für Schwarz-Rot hochzutreiben? Besonders beliebt ist diese Lesart: Eine Koalition mit der Union würde es der möglichen Kanzlerkandidatin Kraft 2017 erschweren, Wahlkampf gegen den eigenen Koalitionspartner zu führen.

Bringt sich da jemand in Stellung für den Wechsel nach Berlin? Seit ihrem Wahlerfolg in NRW im vergangenen Jahr gibt es kaum ein Interview mit ihr, das ohne diese Frage auskommt. Bundespolitische Ambitionen hat Kraft immer beharrlich von sich gewiesen. Sie wiederholt seit Monaten dieselben Sätze: "Ich halte das für völlig abwegig, denn ich bin Ministerpräsidentin eines 18-Millionen-Landes. Meine Aufgabe ist in Nordrhein-Westfalen."

Bisher ist Krafts Geschichte vor allem die eines bemerkenswerten Aufstiegs. Viele Sozialdemokraten projizieren große Hoffnungen in sie. Doch den Griff nach der Krone scheint die Frau aus Mülheim an der Ruhr noch zu fürchten. Nur: Was, wenn Gabriel und Co. die nächsten Monate nicht überstehen, und die Partei nach Kraft rufen sollte: Kann sie dann noch nein sagen? Zumindest in einem Punkt wäre eine Kanzlerkandidatur ungünstig. 2017 wird nicht nur im Bund, sondern auch in NRW gewählt. Als Ministerpräsidentin auf Abruf wäre sie im Wahlkampf unnötig angreifbar. Sie müsste die Nachfolgefrage also spätestens im Herbst 2016 klären oder noch vier Jahre warten. Die Erwartungen wären wohl dieselben: Hannelore Kraft müsste nicht weniger als die SPD retten.

Quelle: ntv.de

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