Der schwierige Neustart der Grünen Was man über den Parteitag wissen muss
20.10.2013, 15:34 Uhr
Die neue, aber geschwächte Führung (v.l.): Hofreiter, Göring-Eckardt, Peter und Özdemir.
(Foto: imago stock&people)
Bei der Bundestagswahl holen die Grünen nur 8,4 Prozent der Stimmen. Eine schmerzhafte Niederlage. Auf ihrem Parteitag in Berlin richten sie sich neu aus – strategisch und personell. Das Wichtigste in fünf Punkten.
Die Grünen setzten auf eine neue Führung: Anfang Oktober hat die Partei schon ihre Fraktionsspitze gewechselt. Der bayerische Verkehrspolitiker Anton Hofreiter beerbt den Parteilinken Jürgen Trittin. Katrin Göring-Eckardt vom Realoflügel übernimmt das Amt von Renate Künast. Jetzt steht auch der neue Bundesvorstand. Cem Özdemir bleibt Parteichef. Nach dem Rücktritt von Claudia Roth steht ihm die Saarländerin Simone Peter zur Seite.
Abgesehen von den Veränderungen auf den ganz prominenten Posten haben die Grünen im Berliner Velodrom auch eine Reihe weiterer Personalien geklärt. Die langjährige politische Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke gibt ihr Amt auf. Die Delegierten setzen jetzt auf Michael Kellner. Viele in der Partei erhoffen sich von dem Thüringer mehr Diskussionsfreunde und einen weniger technokratischen, weniger emotionslosen Auftritt.
Auch im Parteirat, der den Bundesvorstand berät, gibt es Neuzugänge: Neben Hofreiter gehören jetzt auch die stellvertretende Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, Sylvia Löhrmann, und der baden-württembergische Verbraucherminister Alexander Bonde zum 16-köpfigen Gremium.
Das Mandat der neuen ersten Reihe ist schwach: Ein Triumph ist die Neubesetzung nicht. Die Delegierten strafen Özdemir und Göring-Eckardt ab. Denn beide zeichneten maßgeblich für den gescheiterten Wahlkampf der Grünen verantwortlich. Anders als Trittin, Roth, Künast und Lemke zogen sie aber keine personellen Konsequenzen. Für Özdemir stimmen in Berlin am Ende so nur 71,4 Prozent der Delegierten. Bisher waren es bei ihm stets Werte jenseits der 80-Prozent-Marke. Und Göring-Eckardt muss bei ihrer Wiederwahl in den Parteirat das zweitschlechteste Ergebnis verkraften. Auch die neue Bundesvorsitzende Peter überzeugt die Delegierten nicht restlos. Nur 75,9 Prozent stimmen für sie. Viele trauern offensichtlich ihrer Vorgängerin Roth nach. Sie schaffte es beim Parteitag in Hannover 2012 auf 88,9 Prozent der Stimmen.
Als neuer Hoffnungsträger muss darum der linke Fraktionschef Hofreiter herhalten. Der 43-Jährige begeistert die Grünen mit einer starken Rede. Seine Unerfahrenheit auf der ganz großen politischen Bühne ist ihm allerdings anzumerken. Er wirkt noch unsicher. Ungewiss ist zudem, ob der Verkehrsexperte mit starkem bayerischen Dialekt und wallendem blonden Haar auch Stimmen in nicht klassisch-grüner Klientel fangen kann.
Grüne sind offener für neue Koalitionen: In einer leidenschaftlichen Debatte haben die Grünen ihr enttäuschendes Wahlergebnis analysiert. Sie kommen zwar zu dem Schluss, dass ihre Steuerpolitik kein Fehler war, dass es der Partei aber nicht gelungen ist, sie richtig zu kommunizieren. Das wohl bedeutendste Signal des Parteitags: Die Grünen öffnen sich per Parteitagsbeschluss neuen Koalitionsoptionen. Dazu zählen Schwarz-Grün, aber auch Rot-Rot-Grün. Sie wollen sich so für die nächsten Wahlen auch angesichts einer schwächelnden SPD eine realistische Machtoption eröffnen.
Eine rot-rot-grüne Koalition wollen sie nicht erzwingen: Trotz ihrer Öffnung stimmen die Grünen gegen einen Antrag, der eine Initiative der Partei für Sondierungsgespräche mit Linken und SPD vorsieht. Parteimitglieder hatten darauf gehofft, dass sich so der Widerstand der Sozialdemokraten gegen diese Option brechen ließe und eine grüne Regierungsbeteiligung doch noch gelingt.
Bei den Grünen herrscht keine Hoffnungslosigkeit: Verunsichert sind viele Grüne nach der Wahlniederlage. Das war auf dem Parteitag deutlich spürbar. Und es gibt eine Lesart der Geschehnisse in Berlin, die diese Verunsicherung befördern dürfte. Auffällig viele Redner heben hervor, dass sie den Bürgern deutlich machen müssten, dass die Ökologie Leitmotiv grüner Politik sei. Das erinnert ein wenig an das Pochen der FDP auf den Liberalismus als Denkmuster ihres Handels. Entscheidend ist aber nicht allein das Vermitteln dieser Losung, das zeigt das Schicksal der FDP. Entscheidend ist, dass es einer Partei gelingt, derartige Credos glaubwürdig mit Inhalten zu füllen, selbst wenn andere versuchen, ihre Themen und Positionen zu besetzen.
Trotz aller Verunsicherung - von Resignation kann bei den Grünen keine Rede sein. Mit einer Reihe von Debatten stimmen sich die Grünen auf die Europawahl, drei Landtagswahlen und elf Kommunalwahlen im nächsten Jahr ein. Deutlich zeigt sich dabei, dass die Grünen auch in der europäischen Flüchtlingspolitik eine Chance sehen, sich zu profilieren. Einer der bewegendsten Momente der Bundesdelegiertenkonferenz ist der Auftritt von Bewohnern des Flüchtlingscamps auf dem Berliner Oranienplatz. Ein Sprecher der Gruppe sagte: "Wir sind nicht gekommen, um euer Zuhause zu zerstören. Wir brauchen eure Hilfe."
Quelle: ntv.de