"Parteipolitische Testosteron-Attitüde" Weiter Kritik an Brender-Ablösung
28.11.2009, 15:39 UhrDie Ablösung von ZDF-Chefredakteur Brender schlägt weiter hohe Wellen. Die "parteipolitische Testosteron-Attitüde" von Hessens Ministerpräsidenten Koch schade dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, heißt es in der FDP. Kochs rheinland-pfälzischer Amtskollege Beck spricht derweil von einer perfiden Argumentation der Unionsvertreter im Verwaltungsrat.
Die von der CDU erzwungene Ablösung des ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender stößt auf scharfe Kritik auch beim Berliner Koalitionspartner FDP. Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) und andere Unionsvertreter im ZDF-Verwaltungsrat hatten eine weitere Amtszeit Brenders am Freitag verhindert. "Roland Koch hat mit seiner parteipolitischen Testosteron-Attitüde dem Ansehen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland Schaden zugefügt", sagte der medienpolitische Sprecher der FDP im Bundestag, Burkhardt Müller-Sönksen, der "Welt am Sonntag".

Roland Koch: Ministerpräsident mit "parteipolitischer Testosteron-Attitüde"?
(Foto: dpa)
Koch habe gezeigt, dass ihm die Rundfunkfreiheit und die Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks egal seien, meinte Müller-Sönksen. Die Unionsvertreter im ZDF-Verwaltungsrat, die Chefredakteur Brender die Vertragsverlängerung über März 2010 hinaus versagten, hätten weit über eine Personalentscheidung hinaus in das Selbstverständnis eines öffentlich-rechtlichen Senders eingegriffen, kritisierte der FDP-Politiker. Die Staatsferne müsse in den Rundfunkstaatsverträgen künftig stärker verankert werden.
Grüne wollen in Karlsruhe klagen
Grünen-Parteichef Cem Özdemir nannte das politisch erzwungene Aus für Brender einen Angriff auf die Demokratie. Wenn der Staat die Medien beherrsche, werde die Glaubwürdigkeit der Demokratie unterhöhlt, sagte Özdemir vor dem Parteitag der NRW-Grünen in Hamm. Die Unionskräfte hätten "ihre Mehrheit im ZDF-Verwaltungsrat missbraucht, um den kritischen Chefredakteur Brender loszuwerden", kritisierte Özdemir.

Der Fall Nikolaus Brender führt zu einer Diskussion über die Einflussnahme auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
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"Der Versuch, das ZDF zum Hauskanal von Schwarz-Gelb zu machen, muss in aller Deutlichkeit zurückgewiesen werden." Die Bundestagsfraktion der Grünen strebe eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht an, betonte Özdemir. Dem müsste allerdings ein Drittel der Abgeordneten zustimmen. "Wir fordern, dass Vertreter der Exekutive künftig im Rundfunk nichts mehr verloren haben."
"Sachliche" Diskussion und "perfide" Argumente
Eine Verfassungsklage würde jedoch nach Ansicht des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck (SPD), der dem ZDF-Verwaltungsrat vorsitzt, das Problem nicht lösen. "Die Politik wäre dann zwar draußen, aber über Umwege viel intensiver präsent als je zuvor", sagte Beck. "Niemand wäre in einem solchen Spiel identifizierbar und niemand würde die Verantwortung übernehmen", so der Ministerpräsident. "Man muss sich der Frage stellen, ob die Gesellschaft wirklich genug repräsentiert ist, wenn so viel Politik am Kontrolltisch sitzt", sagte Beck dem Magazin "Der Spiegel".
Beck sagte weiter, die Diskussion im Verwaltungsrat sei "sehr sachlich" gewesen. Die Vertreter der CDU/CSU hätten ihr Argument der Brender vorgehaltenen schlechten Quoten dabei "sehr zurückgenommen". "Da hat man wohl gemerkt, dass das gar nicht in der Kompetenz des Verwaltungsrates liegt." Neu hinzugekommen sei dann das Argument, dass das ZDF einen ganz jungen Chefredakteur brauche, der in der neuen Medienwelt mehr zu Hause sei. "Dieses Argument ist besonders perfide, in einer solchen Runde", sagte Beck.
Quizmaster Günther Jauch sagte am Freitagabend bei der "Zeit Konferenz Deutsches Wirtschaftsforum" in Hamburg: "Brender wurde letztlich abgesägt, wegen Unabhängigkeit. Daher ist mein Vertrauen in die politische Klasse nicht übermäßig ausgeprägt." Der Vorwurf, dass Brender nicht ausreichend Quote gebracht hätte, sei absurd. "Zeit"-Chefredakteur Giovanni Di Lorenzo fand den Umstand kurios, dass man gezwungen war, für Brender Partei zu ergreifen und nicht mehr die Frage stellte: "Ist er ein guter Chefredakteur?"
Furcht vor Dammbruch auf allen Ebenen
Die Geschäftsführerin der Deutschen Journalisten-Union (dju), Ulrike Maercks-Franzen, sagte dem Radiosender NDR Info, sie fürchte für den Journalismus nun einen Dammbruch. "Natürlich weckt so ein Durchmarsch von Politik auf höchster und öffentlicher Ebene natürlich auch Begehrlichkeiten bei Politik und Machtmenschen auf allen Ebenen." Sie habe die Sorge, dass nun gedacht wird, dass Journalismus derart beeinflusst werden kann. "Ich kann mir vorstellen, dass das durchschlägt, diese Begehrlichkeit, bis auf die Ebenen der lokalen Politik und der lokalen Berichterstattung. Und das wäre ganz fatal", sagte Maercks-Franzen.
Die Unionskräfte im ZDF-Verwaltungsrat hatten am Freitag trotz Warnungen vor parteipolitischer Einflussnahme das Ende der Amtszeit Brenders erwirkt. Sie verweigerten ZDF-Intendant Markus Schächter den Wunsch, Brenders Vertrag um fünf Jahre zu verlängern. Der Intendant zeigte sich tief enttäuscht. Gewerkschaften, Journalistenverbände und die Berliner Opposition äußerten scharfe Kritik.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP