Politik

Moskau sucht Agenten Westerwelle lädt Gesandten vor

Mit ungewöhnlicher Schärfe kritisiert Außenminister Westerwelle den russischen Freund.

Mit ungewöhnlicher Schärfe kritisiert Außenminister Westerwelle den russischen Freund.

(Foto: picture alliance / dpa)

In Russland lässt der Kreml ausländische NGOs durchsuchen, als handele es sich um Agenten-Schlupflöcher. Auch die deutschen, parteinahen Stiftungen KAS und FES sind betroffen. Außenminister Westerwelle kann das nicht länger ignorieren und zieht die diplomatische Notbremse.

Auf diplomatischem Parkett gehen Staaten und deren Vertreter gewöhnlich ziemlich vorsichtig miteinander um. Wenn es sich um befreundete Länder handelt, dann gilt das umso mehr. Kleine Zeichen und versteckte Formulierung bedeuten dann viel. Manchmal ist es aber schon so weit gekommen, dass nur noch der diplomatische Holzhammer hilft. Wenn ein Außenminister in der Heimat einen Diplomaten einbestellt, ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass diplomatisch nichts mehr stimmt. So geschehen nun zwischen Russland und der Bundesrepublik. Guido Westerwelle ließ sich den Gesandten der russischen Botschaft, immerhin der zweithöchste Repräsentant Russlands in Deutschland, ins Auswärtige Amt kommen, und las ihm die Leviten.

Denn seit Tagen durchsuchen die russischen Behörden Büros ausländische Stiftungen. Hintergrund der Aktion ist ein umstrittenes neues Gesetz, nach dem sich von außerhalb Russlands finanzierte NGO als "ausländische Agenten" registrieren lassen müssen. Tun sie das nicht, machen sie sich in den Augen Russlands verdächtig und müssen mit Schikanen rechnen. Der Begriff "ausländische Agenten" ist seit der stalinistischen Ära belastet. In der Zeit des Kalten Krieges wurden Oppositionelle so bezeichnet. Damals wurden solche "Agenten" häufig erschossen oder in Arbeitslager geschickt.

Was Westerwelle jetzt so wütend macht: Mit der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) und dem SPD-Pendant, der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), sind nun auch deutsche Einrichtungen betroffen. Für die wie gesagt recht zaghaften Verhältnisse im diplomatischen Umgang wurde Westerwelle im Gespräch mit dem Diplomaten Oleg Krasnitskiy dann auch recht deutlich. Laut "Spiegel" drückte er zunächst noch recht zahm die "Besorgnis der Bundesregierung angesichts des konzertierten Vorgehens gegen zahlreiche Nichtregierungsorganisationen, einschließlich deutscher politischer Stiftungen" aus.

Kreml schikaniert deutsche Stiftungen

Weiter wies er den Russen dann - schon etwas deutlicher - darauf hin, "dass ein systematisches Vorgehen mit dem Ziel der Einschränkung der Handlungsfreiheit von Nichtregierungsorganisationen und der Zivilgesellschaft nicht akzeptabel ist". Eine Behinderung der Tätigkeit deutscher Stiftungen könnte die bilateralen Beziehungen nachhaltig belasten. "Dies haben wir der russischen Seite auch deutlich gemacht", hieß es demnach aus dem Auswärtigen Amt.

Dabei ist das, was Westerwelle noch im Konditionalsatz ausdrückt, längst eingetreten. Am Morgen wurden im KAS-Büro in St. Petersburg und in der FES-Zentrale in Moskau Ermittler vorstellig. Sie gaben sich als Gesandte der Staatsanwaltschaft und der Steuerbehörden aus. Ohne einen Gerichtsbeschluss vorweisen zu können, konfiszierten sie mehrere Computer - angeblich, um zu überprüfen, ob Lizenzen für die verwendete Software vorliegen. Vertreter der Stiftungen wurden laut "Süddeutscher Zeitung" zudem gebeten, bei der Staatsanwaltschaft zu erscheinen.

Bei den Stiftungen vor Ort gab man sich vor der jüngsten Visite noch recht gelassen. FES-Referatsleiter für Mittel- und Osteuropa, Reinhard Krumm, sagte: "Wir sehen das als Routineprüfung an. Es ist eine Prüfung ohne Anklage. Wir gehen davon aus, dass wir unsere Arbeit fortsetzen können". "Wir können ungehindert weiterarbeiten", sagte KAS-Sprecher Matthias Barner. Das war allerdings noch bevor die Ermittler Computer konfiszierten.

KAS-Chef ist sauer

Der KAS-Vorsitzende, Europapolitiker Hans-Gert Pöttering, reagierte später dann deutlich schärfer und beklagte die "Behinderung der Arbeit" der Stiftung. "Der Eingriff von heute Morgen ist besorgniserregend und in keiner Weise zu akzeptieren", hieß es in einer Mitteilung der KAS. Die KAS befürchte, dass sich die Interventionen der russischen Behörden auch auf die Arbeit ihrer Partnerorganisationen vor Ort auswirkten, fügte der ehemalige Präsident des Europaparlaments hinzu.

Der Leiter des Moskauer Büros der Heinrich Böll Stiftung, Jens Siegert, berichtet bereits von solchen Folgen: "Alle unsere russischen Partnerorganisationen sind betroffen". Siegert kritisierte dies als "Versuch einer Einschüchterung". Die Kontrollen erledigten Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft, des Justizministeriums und der Steuerpolizei.

Nicht nur Deutschlands Chefdiplomat Westerwelle, sondern auch andere deutsche Politiker zeigten sich bestürzt von den Razzien. Von einer "neuen Dimension im repressiven Vorgehen des Kreml" sprach etwa die Grünen-Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck. Der CDU-Außenpolitiker Philipp Mißfelder sagte dem "Spiegel", er habe "keinerlei Verständnis für die russische Aktion".

"Bilateral" mit offenen Worten

Etwas diplomatischer - vielleicht angesichts gehäufter verbaler Fehlgriffe ein gebranntes Kind - äußerte sich SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Der "Zeit" sagte er, Russland könne nicht nur an westlichen Demokratie-Maßstäben gemessen werden. Das Land sei ein Partner, "dessen Interessen wir gut kennen und berücksichtigen sollten", sagte er. "Dabei ist einzugestehen, dass unsere westlichen Maßstäbe pluraler Demokratie nicht unmittelbar auf Russland übertragbar sind."

Steinbrück rief weiter dazu auf, Demokratiedefizite und Menschenrechtsverletzungen in Russland "nicht auf dem Marktplatz" anzuprangern. "Zweifellos" sollten solche Mängel angesprochen werden, dies solle aber in bilateralen Gesprächen geschehen. "Sonst verspielt man Zugänge, um praktische Fortschritte zu bewirken." Guido Westerwelle scheint von der Haltung Steinbrücks nicht viel zu halten. Denn sein Vier-Augen-Gespräch mit Krasnitskiy ist zwar als "bilateral" zu bezeichnen. Dass das Gesagte dann die Gemäuer des Auswärtigen Amts in Berlin verlassen hat, ist dagegen wohl kaum ein Zufall. Zweifelhaft ist nur, ob sich Wladimir Putin in Moskau davon beeindrucken lassen wird.

Quelle: ntv.de, mit ghö/AFP/dpa

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