Das Unbehagen in der CDU "Wie bei Woody Allen"
30.08.2011, 08:45 Uhr
Nicht konservativ genug? Falsch: Nicht gut genug erklärt, wohin die Reise geht.
(Foto: dpa)
Der Bundesregierung fehlt das Ziel hinter den Notreparaturen, der CDU fehlt die Idee, mit der sie die Linien ihrer Politik erklären könnte, sagt der Historiker Paul Nolte. Die Kritik am Modernisierungskurs von Parteichefin Merkel hält er jedoch für völlig verfehlt: "Viele würden der Partei doch erst recht davonlaufen, wenn sie zu Positionen der 1950er oder 60er Jahre zurückkehrte."
n-tv.de: Frank Schirrmacher beginnt zu glauben, dass die Linken recht haben, Erwin Teufel erinnert sich an die seligen Zeiten, als in jedem CDU-Kreisverband ein Arbeiter neben einem Unternehmer saß und beide "aufgehoben" waren in der gleichen Partei, Helmut Kohl hat kürzlich in einem Interview gesagt, mit ihm als Kanzler hätte Deutschland nicht gegen den Euro-Stabilitätspakt verstoßen. Sind das politisch relevante Analysen oder Träumereien von einer besseren Vergangenheit?
Paul Nolte: Da drückt sich natürlich ein Unbehagen aus, das auch ein paar substanzielle Gründe hat. Aber insgesamt bin ich schon eher irritiert. Ein großes Maß dieses Unbehagens scheint geradezu dem neuen Woody-Allen-Film zu entstammen, in dem es auch darum geht, dass man sich in vermeintlich bessere Zeiten zurücksehnt, wie das dort am Beispiel des Paris der 1920er Jahre vorgeführt wird. Nur war früher auch nicht alles golden, auch früher war Politik eher ein Durchwursteln. Gerade Helmut Kohl müsste sich noch gut daran erinnern, wie er seine Partei in den 1970er Jahren zusammen mit Schlachtrössern wie Heiner Geißler und Kurt Biedenkopf gegen die damals alte CDU auf einen sagenhaften Modernisierungskurs geführt hat.
Sie sagten, das Unbehagen habe zum Teil substanzielle Gründe. Welche sind das?
Ich würde zwei Ebenen unterscheiden. Es gibt zum einen Kritik an der momentanen Regierungsführung, also an Angela Merkel als Bundeskanzlerin. Da geht es vor allem um die Europapolitik und um den Kurs in der Finanzkrise. Vieles an dieser Kritik ist durchaus berechtigt - nicht dass der Kurs bei Helmut Kohl immer furchtbar klar gewesen wäre. Woran es derzeit aber tatsächlich fehlt, ist das Ziel hinter den Notreparaturen. Ein klares Bekenntnis zu Europa wäre eine gute Politik für eine CDU-Kanzlerin in der Kontinuität von Kohl und Adenauer - auch gegen Bedenken in der eigenen Partei, die es in der CDU immer gegeben hat.
Und die zweite Ebene …
… ist die der Partei, da gibt es Kritik an der CDU-Vorsitzenden. Das ist eine Debatte, die ich nur sehr schwer nachvollziehen kann. Die Frage "Wo bleibt das Konservative in der CDU?" gibt es, seit Frau Merkel Parteivorsitzende ist. Das ist nichts Neues, und das ist auch kein spezifisches Problem der CDU, sondern Folge einer rapiden Veränderung der Gesellschaft, auf die Angela Merkel und andere in der CDU versucht haben - und versuchen - zu reagieren. Man kann sich eben nicht mehr auf seine Stammwähler konzentrieren, weil es immer weniger davon gibt. Das Milieu, das dahinter steht, trocknet aus. Um es brutal zu sagen: Es stirbt aus.
Ist es also unfair, Angela Merkel den Wählerschwund anzulasten, den die CDU auf Bundesebene seit 2002 erlebt?
Der Wählerschwund hat andere Ursachen. Vielen Menschen fällt es schwer, das einzusehen, obwohl es die Wissenschaftler seit Jahr und Tag sagen: Wir kommen nicht mehr zu den Verhältnissen zurück, wo SPD und CDU/CSU zusammen 90 Prozent hatten. Das zeigt schon der Aufstieg der Grünen, der möglich wurde durch die Entstehung eines dritten Milieus, des grünen Milieus, das, wie man in Baden-Württemberg sieht, ein bürgerliches Milieu geworden ist. Das gräbt der CDU ganz kräftig das Wasser ab.
Täuscht der Eindruck oder erlebt die CDU gerade, was der SPD unter Bundeskanzler Schröder wiederfahren ist - ein Aufwachen in der Orientierungslosigkeit infolge einer Abkehr von überlieferten Konzepten?
An der Oberfläche kann man das vielleicht so vergleichen, aber ich glaube, es gibt doch Unterschiede. Der Schnitt, den Schröder mit der Agenda 2010 vollzogen hat, war schärfer und für die Parteibasis sehr viel schwieriger zu verdauen als die Modernisierung, die die CDU erfährt. Bislang sieht es auch nicht so aus, als könne sich eine konservative Partei rechts der Union etablieren. Bei allem Unbehagen von einzelnen Würdenträgern oder bei zwischen Links und Rechts irrlichternden Intellektuellen wie Frank Schirrmacher: An der Basis gibt es diesen Protest einfach nicht.
Eine Reihe von thematischen Schwenks hat an der CDU-Basis doch aber für Aufregung gesorgt, bei der Wehrpflicht, bei der Energiewende, in der Familienpolitik schon seit Jahren, jetzt die geplante Abkehr von der Hauptschule, die Enthaltung im Sicherheitsrat bei der Libyen-Abstimmung...

Ursula von der Leyen hat als Familienministerin konservative Familienpolitik neu definiert - die Stimme der großen Idee dahinter ist sie nicht geworden.
(Foto: dapd)
Ich glaube, das ist in erster Linie eine Frage der Kommunikation. Da muss erstens mehr diskutiert, zweitens mehr erklärt und drittens eine Linie gefunden werden. Ich glaube, dass sich durchaus eine Idee formulieren ließe, die so eine Linie vorgeben könnte. Nur fehlt der CDU die Stimme, die diese Aufgabe übernimmt. Immerhin, man erkennt es in der praktischen Politik, zum Beispiel bei Ursula von der Leyen. Es ist das Konzept einer Politik des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Das müsste man der CDU-Basis erklären: Lernt es endlich, wir kommen nicht dahin zurück, dass alle Leute heiraten. Es gibt auch homosexuelle Beziehungen. Aber was uns wichtig ist, im Unterschied zu anderen: dass wir eine Politik des gesellschaftlichen Zusammenhalts machen. Wir wollen nicht, dass die Menschen in dieser Gesellschaft vereinzeln und in erster Linie Hilfe vom Staat in Anspruch nehmen, wir wollen, dass die Menschen sich gegenseitig unterstützen - unabhängig davon, ob sie verheiratet sind oder nicht, ob schwul oder heterosexuell, ob mit Kindern oder ohne. Ich denke manchmal auch, meine Güte, warum kann das denn niemand erklären. Der Kanzlerin fällt das ganz besonders schwer.
Vielleicht liegt das auch einfach daran, dass bei der CDU-Basis noch einige starke Probleme haben mit schwulen Partnerschaften und man stark den 1980er Jahren nachtrauert.
Dann müsste man denen sagen, wir haben jetzt einen anderen, einen höheren Wert. Man müsste sie fragen: Soll unser Wert die heterosexuelle Ehe sein, oder ist unser Wert eine Gesellschaft, in der der eine für den anderen Verantwortung übernimmt? Im Grunde wird diese Formel doch in der CDU-Welt allgemein akzeptiert. Viele würden der Partei doch erst recht davonlaufen, wenn sie jetzt wieder zu Positionen der 1950er oder 60er Jahre zurückkehrte.
Wäre es für den innerparteilichen Frieden besser gewesen, Frau Merkel hätte die CDU etwas behutsamer ins 21. Jahrhundert geführt?
Das glaube ich nicht. Man muss so etwas auch mit einem gewissen Ruck tun, sonst lassen sich Reformen oder Veränderungen überhaupt nicht durchsetzen. Dann muss man allerdings versuchen, das zu vermitteln. Diese Bemühungen haben zuletzt ein wenig nachgelassen, da ist zu viel Basta-Politik gemacht worden, bei der Wehrpflicht zum Beispiel oder in der Frage der Energiewende.

Paul Nolte lehrt Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der FU Berlin und ist Herausgeber der Zeitschrift "Geschichte und Gesellschaft".
Sie waren gerade für ein Jahr in den USA. Wie geht es den Konservativen dort?
Sie sind unglaublich stark. Aber die USA haben eine ganz andere Entwicklung genommen seit den 1970er und 80er Jahren, eine Entwicklung zu einer sehr viel stärker polarisierten Gesellschaft. Das ist uns in Europa erspart geblieben, weil die Konservativen hier mit der Zeit gehen. Gerade der Vergleich mit den USA zeigt, dass diese Strategie vielleicht nicht die schlechteste ist.
Mit Paul Nolte sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de