Linkspartei gegen Rechtsradikale "Wir können ruhig populistischer werden"
18.09.2016, 15:19 Uhr
Neonazis und "besorgte Bürger" am vergangenen Donnerstag auf dem Bautzener Kornmarkt.
(Foto: imago/Christian Mang)
Was kann die Linke im Kampf gegen Rechtsradikalismus tun? "Wir müssen wieder ansprechbarer für Protestwähler sein", sagt die stellvertretende Parteichefin Caren Lay.
n-tv.de: Der Konflikt in Bautzen hatte offenbar eine monatelange Vorgeschichte. Hätte der Zusammenstoß von Flüchtlingen und Rechtsradikalen nicht verhindert werden können?

Caren Lay ist Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Linken-Vorsitzende. Bautzen liegt in ihrem Wahlkreis.
(Foto: picture alliance / dpa)
Caren Lay: Kann es verhindert werden, wenn organisierte Neonazis sich vornehmen, Flüchtlinge von den öffentlichen Plätzen einer Stadt zu vertreiben? Ein Teil der Eskalation hätte sicher verhindert werden können. Die ersten Ausschreitungen in Bautzen gab es vor einer Woche, laut Augenzeugen schaukelte sich die Situation danach Tag für Tag hoch. Deshalb ist mir völlig unverständlich, warum am Mittwochabend zunächst nur acht Polizisten auf dem Kornmarkt waren, als sich dort zahlreiche Rechte versammelten. Mir fehlt auch jedes Verständnis dafür, dass die acht Polizisten die Flüchtlinge gebeten haben, den Platz zu verlassen, statt den Rechten und den Neonazis einen Platzverweis zu erteilen.
Waren die Zusammenstöße in der Nacht zum Donnerstag die Folge einer falschen Polizeistrategie?
Sie waren die Folge einer falschen Polizeistrategie, aber auch die Folge einer Politik, die in Sachsen sehr lange praktiziert wurde – eine Politik, die rechte Gewalt nicht wahrhaben will und die auf dem rechten Auge blind ist.
Die Polizei und der Oberbürgermeister von Bautzen haben gesagt, die Gewalt sei zunächst von den Flüchtlingen ausgegangen. Dagegen sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am Freitag: "Ich weiß nicht belastbar, ob diese Dinge von den Asylsuchenden ausgegangen sind oder nicht."
Alles fing damit an, dass rechte Kräfte nach Bautzen mobilisiert haben, weil sie sich daran stören, dass unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Stadt sind. Daraufhin war die rechte Szene in starker Überzahl in Bautzen vertreten, sie haben Flüchtlinge und Flüchtlingshelfer provoziert. Es mag so gewesen sein, dass am Mittwochabend der erste Gewaltakt von Flüchtlingen ausging. Aber der Kontext war ein Angriff die Existenz der Flüchtlinge in Bautzen und auf dem Kornmarkt. Insofern ist es mindestens einseitig zu sagen, die Gewalt sei von Flüchtlingen ausgegangen.
War diese Entwicklung vorhersehbar?
Die Rechts-Entwicklung von Bautzen kann man seit vielen Jahren beobachten. Vor einigen Jahren gab es einen Fackelmarsch von hunderten Neonazis durch die Stadt, es gab massiven Widerstand gegen die Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften, das Bündnis "Bautzen bleibt bunt" ist attackiert worden, mein Büro ist schon neun Mal angegriffen worden, ohne dass es je eine Festnahme gegeben hätte. Linke Jugendliche fühlen sich in der Stadt nicht mehr sicher. Insofern: Ja, diese Entwicklung war vorhersehbar. Inzwischen gibt es positive Entwicklungen durch engagierte Bürger und den neuen Oberbürgermeister. Gerade jetzt erst fand in Bautzen eine Woche der Demokratie statt, mit dem Ziel, Politik erfahrbar und mitgestaltbar zu machen. Das sind richtige Ansätze, aber damit konnte die rassistische Grundstimmung nicht eingefangen werden, die sich dort seit Jahren aufbaut.
In Sachsen gibt es vergleichsweise viele Übergriffe auf Flüchtlinge und Flüchtlingsheime. Warum ist das so?
Ich glaube, es hängt stark damit zusammen, dass die CDU, die in Sachsen seit mehr als 25 Jahren regiert, gegen rechte Gewalt und rechte Umtriebe auf eine Vogel-Strauß-Politik setzt. Sie haben das Problem negiert, anstatt offen damit umzugehen. Leute, die gesagt haben, dass es in Sachsen ein Problem mit Neonazis und mit Rassismus gibt, wurden als Nestbeschmutzer beschimpft. In einem solchen Klima können Rassismus und Ausländerfeindlichkeit gedeihen, dann fühlen sich die Rechten sicher. Sie haben jahrelang erfahren, dass sie Polizei und Justiz nicht fürchten müssen. Solange es keine klare Ansage von oben gibt, solange man das Gefühl hat, dass Forderungen von Pegida und der AfD inzwischen auch von der CDU übernommen und umgesetzt werden, haben wir ein Problem.
Wie erklären Sie, dass es in Ostdeutschland mehr ausländerfeindliche Gewalt gibt als in Westdeutschland?
Rechtsextremismus ist ein bundesweites Problem, aber alles deutet darauf hin, dass er im Osten stärker ausgeprägt ist. Vielleicht hat es damit zu tun, dass es im Westen schon länger Zuwanderung gegeben hat. Rassismus ist da besonders stark, wo es die wenigsten Ausländer gibt. Offenbar führt Begegnung zum Abbau von Vorurteilen.
Die Linke sieht sich vor allem in Ostdeutschland als Volkspartei und konnte dort lange Protestwähler für sich gewinnen. Warum klappt das nicht mehr?
Die Linke ist in Ostdeutschland sehr aktiv im Kampf gegen Rechts, auch bei der Unterstützung von Flüchtlingen. Das ist ein Teil der Ursachen, warum wir derzeit in den Wahlen und bei Umfragen verlieren. Ich glaube, dass wir in den ostdeutschen Ländern unsere Strategie überdenken müssen. Wir müssen wieder ansprechbarer für Protestwähler sein – nicht, indem wir ausländerfeindliche und rassistische Positionen übernehmen, sondern indem wir ganz klar soziale Politik machen, indem wir deutlich machen, dass es niemandem durch die Anwesenheit von Flüchtlingen schlechter geht, aber dass wir in Deutschland ein riesiges Problem mit einer ungerechten Reichtumsverteilung haben. Mit diesen Inhalten könnten wir ruhig wieder ein bisschen populistischer werden.
Mit Caren Lay sprach Christian Rothenberg
Quelle: ntv.de