Zweifel an Läuterung der Taliban "Wir sehen das angekündigte islamische Emirat"
16.08.2021, 15:29 Uhr
Die neue Generation der Taliban - ist sie aufgeschlossener gegenüber Andersdenkenden?
(Foto: imago images/SNA)
Nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan schlagen die Taliban versöhnliche Töne an. Doch kann es nach dem militärischen Erfolg der radikalen Islamisten wirklich einen Dialog in Afghanistan geben? Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik äußert gegenüber ntv Zweifel an den Absichtsbekundungen.
ntv: Nach außen hin geben sich die Taliban gemäßigt. Man sei zum Dialog mit allen afghanischen Persönlichkeiten bereit und werde ihnen Schutz garantieren, sagen sie. Mit der internationalen Staatengemeinschaft wolle man einen Dialog. Ist das ernst gemeint oder eine rhetorische Nebelkerze?
Markus Kaim: Ich würde auf das zweite tippen, denn wir haben ja einige Erfahrungen aus den letzten Tagen und Wochen, wie es in den Gebieten ausgesehen hat, die sie bereits vor Kabul erobert haben. Und das sah mir nicht nach einer westlichen Demokratie aus, sondern es war das islamische Emirat, wie angekündigt, mit den entsprechenden Folgewirkungen für die Dinge, die dem Westen besonders wichtig gewesen sind, nämlich Mädchenbildung, Frauenrechte, freie und faire Wahlen, Rechtsstaatlichkeit und vieles andere mehr. Es hat eine Reihe von Übergriffen gegenüber Zivilisten gegeben. Also anders formuliert, ich glaube diejenigen haben einen Punkt, oder einen berechtigten Punkt, die sich vor der Machtübernahme der Taliban gefürchtet haben.
Haben sich die Taliban in den vergangenen 20 Jahren verändert, was Positionen und Ziele betrifft? Und: Unterscheiden sie sich die Talibanführer heute von denen der Jahrtausendwende?
In der Tat. Wir haben uns angewöhnt, von den Taliban zu sprechen, was nicht ganz korrekt ist. Es gibt natürlich Gruppierungen oder Flügel. Von einer ganz homogenen Gruppe ist da nicht auszugehen. Aber das einigende Band ist die Ordnungsvorstellung eines islamischen Emirates und das hat bestimmte konstitutive Elemente, nach dem sich alle politische Macht aus dem Islam ableitet und diejenigen, die dem nicht zustimmen, eben als Abtrünnige zu betrachten sind. Und das hat Folgewirkungen für die politischen Ordnungsvorstellungen. Von daher bin ich nicht so an dem Punkt, zu denken, es wird einfach eine Rückkehr zu 2001 geben, oder in den Jahren davor. Aber ich glaube, man darf sich keinen Illusionen hingeben. Das ist eine islamische Herrschaftsform mit den entsprechenden Folgewirkungen, auch für terroristische Gruppierungen.
Thema Flüchtlinge. Teilen Sie die Befürchtung, dass sehr viele Afghanen fliehen werden?
Ich warne ein wenig vor Alarmismus. Die Erfahrung zeigt, dass bei solchen Krisen die Flüchtlinge zuallererst im eigenen Land bleiben. Und es wird immer schwieriger für die 400.000 bis 500.000 Afghanen, die sich bereits auf den Weg gemacht haben. Dann werden sie das Land verlassen, aber sie bleiben in der Regel in der Region. Im afghanischen Fall sind das zwei Länder, nämlich Iran und Pakistan. Und von daher finde ich es sehr begrüßenswert und weitsichtig, die Initiativen, die heute Morgen vorgeschlagen worden sind, zur Unterstützung gerade dieser beider Länder, weil es ist offensichtlich ein Anliegen deutscher und europäischer Politiker, die Flüchtlinge dort zu halten, wo sie sind. Also zu verhindern, dass sie nach Europa kommen. Und das kann nur gelingen, wenn man diese beiden Länder, Iran und Pakistan, trotz aller existierenden Differenzen bei der Bewältigung der Flüchtlingsanforderungen unterstützt.
Ist das eine realistische Vorstellung: Dass Iran, Pakistan, Tadschikistan, Turkmenistan oder gar China sich der Flüchtlinge in angemessener Weise annehmen?
Also, ob die alle mitmachen sei dahingestellt. Das wird sicher nicht einfach werden. Aber ich glaube, politisch ist Afghanistan für den Westen, zumindest auf absehbare Zeit, verloren. Das heißt ja aber nicht, dass man sich nicht anderweitig engagieren kann und eine Ordnungsvorstellung entwickelt, wie es in der Region weitergehen könnte. Und gerade gegenüber Iran hätte das Ganze eine charmante Note, wenn ich das so sagen darf. Dass trotz der stockenden Verhandlungen zum Nuklearprogramm in Wien, trotz der Differenz zur Unterstützung für terroristische Gruppen durch den Iran der Westen signalisieren würde, trotz aller politischen Differenzen unterstützen wir euch bei einer humanitären Aufgabe. Das wäre nicht zum ersten Mal ein Anknüpfungspunkt für weitergehende, politische Schritte.
Quelle: ntv.de