Politik

Thorsten Schäfer-Gümbel, Hoffnungsträger der SPD "Wir sind nicht bereit, so etwas hinzunehmen"

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Thorsten Schäfer-Gümbel will Ministerpräsident von Hessen werden.

(Foto: dpa)

Der SPD geht es schlecht, doch einer schafft es, die Sympathie-Rankings in seinem Land anzuführen: Thorsten Schäfer-Gümbel, Spitzenkandidat in Hessen. Mit n-tv.de spricht er über die Lage seiner Partei und darüber, wie er Steuerhinterziehung und Überwachung bekämpfen will.

n-tv.de: Herr Schäfer-Gümbel, lange sah es so aus, als wären Sie der nächste Ministerpräsident von Hessen. Jetzt wird es laut Umfragen wieder knapp, obwohl Ihre Beliebtheitswerte steigen. Erklären Sie uns doch mal, was los ist in Hessen.

Thorsten Schäfer-Gümbel: Wir wollen keine Umfragen gewinnen, sondern Wahlen. Die Gesamtlage ist für die SPD nicht einfach. Wir werden hart kämpfen und es wird am Ende genau das passieren, was bis auf das Jahr 2009 immer passiert ist in Hessen: Es wird eng.

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Thorsten Schäfer-Gümbel ist Nachfolger der gescheiterten Andrea Ypsilanti. 2009 trat er als Spitzenkandidat an, unterlag aber einer schwarz-gelben Mehrheit.

(Foto: picture alliance / dpa)

Mit "Gesamtlage" meinen Sie, dass die Bundespolitik den Landtagswahlkampf stört?

Die aktuelle Umfrage zeigt: Wir liegen in Hessen mit Rot-Grün vorne und haben gute Chancen, es aus eigener Kraft zu schaffen. Es ist unser Ziel, der Bundeskampagne damit Rückenwind zu geben. Wir sind aber eine Partei und haben schwache Umfragewerte im Bund. Natürlich gibt es da Zusammenhänge.

Was machen Sie in Hessen besser als die SPD im Bund?

Ich weiß nicht, ob es um "besser" geht. Wir hatten in Hessen einen längeren Anlauf als im Bund. Ich bin ja nun seit über 20 Monaten Spitzenkandidat. Wir haben sehr systematisch Themen vorbereiten können. Wir haben auch mehr Möglichkeiten, weil der politische Betrieb nicht ganz so hektisch ist wie auf Bundesebene. Dazu kommt, dass Hessen immer ein starkes SPD-Land war. Wir fangen gerade an, wieder normale Verhältnisse herzustellen.

Was sind die Themen?

Unsere Topthemen sind Bildung und Familie, Arbeit und soziale Gerechtigkeit. Die schwarz-gelbe Landesregierung hat ein Kinderförderungsgesetz auf den Tisch gelegt, das den Namen nicht verdient. Darüber hinaus brauchen wir mehr Ganztagsschulen, um Menschen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen. Nur drei Prozent der Grundschulen in Hessen sind echte Ganztagsschulen. Gegen die verkorkste Schulzeitverkürzung G8 hat die Abstimmung mit den Füßen begonnen. Es gibt enorme Proteste. Und die hat die schwarz-gelbe Landesregierung unangemessen beantwortet. Unser Ziel ist klar: Wir wollen diesen Großversuch auf dem Rücken der Kinder beenden.

Sie haben den Bundestrend angesprochen. Wie wichtig ist den Menschen bei der Landtagswahl eigentlich die Landespolitik?

Ich denke, sie ist sehr wichtig. Letztlich müssen Sie das aber die Meinungsforscher fragen. Uns ist wichtig, dass wir die Gerechtigkeitslücke schließen, und zwar im Bund und im Land. Wir wollen, dass Peer Steinbrück Kanzler wird. Dann wird es im Fall eines Wahlsiegs der SPD in Hessen auch einfacher, durch eine gerechtere Steuerpolitik die Investitionen in Familie, Bildung und Infrastruktur zu sichern. Und wir wollen dafür sorgen, dass Menschen von ihrer Arbeit ordentlich leben können. Dafür ist der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn nur der Einstieg. Und ein weiteres Thema: Wer möchte, dass Steuerhinterziehung entschlossen bekämpft wird, der muss dafür sorgen, dass Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten die politische Verantwortung übernehmen. Denn Schwarz-Gelb wird immer ein Teil der Steuerhinterzieher schützen, so wie wir das bei dem Abkommen mit der Schweiz erlebt haben.

Inwiefern setzten Sie auf Peer Steinbrück als Person im Landtagswahlkampf?

Peer Steinbrück wird eine Reihe von Auftritten in Hessen haben. Er war ja schon mehrfach bei uns. Wir werden gemeinsam Wahlkampf machen.

Im Land unterstützt er Sie, bundespolitisch sind Sie sein finanzpolitischer Berater. Wie füllen Sie diese Rolle aus?

Frankfurt ist der zentrale Finanzplatz in Kontinentaleuropa, dort spielt die Musik. Es ist gut, wenn man nah dran ist. Das bin ich. Peer und ich tauschen Einschätzungen aus. Wir müssen die Finanzmarktregulierung weiter vorantreiben, weil die Placebos, die Schwarz-Gelb auf den Tisch gelegt hat, nichts helfen. Die Finanz- und Wirtschaftskrise ist nicht vorbei. Sie schwelt weiter. Dazu kommt, dass einer der größten Skandale weiterhin unaufgeklärt ist: die Zinsmanipulation rund um den Libor. Da gibt es ein Organisationsversagen der beteiligten Banken. Da haben Leute systematisch betrogen und auf Kosten der Allgemeinheit richtig Geld verdient. Ich erwarte, dass es Konsequenzen gibt – auch strafrechtlicher Art.

Was hören Sie aus den Banken, wenn Sie diese Themen ansprechen?

Die ehrbaren Kaufleute dort – das ist die große Mehrzahl der Akteure – sucht die Unterstützung der Politik. Denen, die auf dem Rücken der Branche in ihre eigene Tasche gewirtschaftet haben, gehört das Handwerk gelegt. Und die Debatte, die wir in der Gesellschaft haben, wird auch am Finanzplatz geführt. Es gibt da unterschiedliche Einschätzungen zu einzelnen Instrumenten. Zum Beispiel war ich neulich auf einer Konferenz zum Trennbankensystem. Da hat sich etwa eine knappe Mehrheit der Bankenvertreter gegen eine Trennung von Investment- und Geschäftsbanken ausgesprochen.

Nur eine knappe Mehrheit?

Ja. Und eine große qualifizierte Minderheit hat gesagt: Das Trennbankensystem ist richtig. Eine andere Frage ist, wie man mit dem Grauen Markt umgeht, dem außerbörslichen Handel in Hinterzimmern. Meine Sicht ist: Wir müssen alle Geschäfte an die Börse bringen. Denn die ist der Garant für Transparenz und Sicherheit. Das freut natürlich diejenigen Marktteilnehmer nicht, die damit Geld machen.

Je mehr Geschäfte verboten werden, desto größer könnte der Graue Markt werden.

Ein Teil der Geschäfte, die im Moment in Hinterzimmern ohne Öffentlichkeit und Sicherungsregelungen stattfinden, müssen zukünftig über die Börse abgewickelt werden. Dann allerdings nach klaren Regeln. Ein anderer Teil findet dann nicht mehr statt und das ist auch gut so. Diese Form der Regulierung stärkt sogar den Finanzplatz.

Wie wollen Sie verhindern, dass verbotene Geschäfte in den Grauen Bereich verschoben werden?

Wer sich nicht an die Regeln hält, muss mit Konsequenzen rechnen, auch strafrechtlich, und verliert unter Umständen die Banklizenz.

Sie wollen mit deutschem Strafrecht Finanzgeschäfte im Ausland verhindern?

Das funktioniert etwa, wenn man das Wohnortprinzip einführt, wie das auch bei der Finanztransaktionssteuer angelegt ist. Banken, die ihr Geschäft einfach verlagern, werden wir nachgehen. So wie wir auch Steuerhinterziehung deutlich stärker nachgehen werden. Es ist nicht akzeptabel, dass Unternehmer aber auch normale Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brav ihre Steuern zahlen und andere glauben, sie könnten ihr Vermögen am Fiskus vorbei ins Ausland schaffen. Die Zeche zahlen ehrliche Arbeitnehmer und Unternehmer.

Die Finanztransaktionssteuer soll kommen, aber es gab zuletzt Änderungen am Entwurf. Ist zu befürchten, dass davon nicht viel übrig bleibt?

Wir werden sicher mit dieser Bundesregierung keine ordentliche Finanztransaktionssteuer bekommen. Sie ist insbesondere bei der FDP überhaupt nicht gewollt. Der Grundsatz muss doch sein, dass sich die Marktakteure an den Kosten beteiligen, die sie selbst verursacht haben. Deswegen ist die Finanztransaktionssteuer eines von verschiedenen Instrumenten. Sie muss trotzdem ordentlich umgesetzt werden. Und deswegen wird die Diskussion darüber noch einige Zeit andauern.

Sie waren vor Kurzem in Berlin im Technikmuseum ...

Sie haben meine Tweets gesehen.

Haben Sie angesichts des Computers, den Sie dort besichtigt haben, an die Serverfarmen der NSA gedacht?

Nein, an die NSA habe ich in dem Moment nicht gedacht. Ich fand es erst einmal spannend, dieses Ungetüm zu sehen: die Mutter aller Rechner. Und daneben ein Smartphone, das tausendmal mehr kann. Aber die Anfänge lagen in dieser Maschine. Zum Thema NSA: Ich habe mit Interesse gelesen, dass der österreichische Geheimdienstchef von dem amerikanischen Programm wusste. Wenn er es weiß, kann ich mir nicht vorstellen, dass die deutsche Seite so ahnungslos war, wie sie sich gerade gibt. Den Satz der Kanzlerin "Unter Freunden hört man sich nicht ab" finde ich im Übrigen wirklich unangemessen und verharmlosend angesichts der Tatsache, dass zigmillionenfach Daten abgesogen wurden. Die Kontrolle der Geheimdienste muss insgesamt verbessert werden.  Wir haben dazu einen Gesetzesvorschlag vorgelegt, schon vor der NSA-Affäre.

Was kann man tun?

Man muss der amerikanischen Seite klipp und klar sagen: Wir sind nicht bereit, so etwas hinzunehmen. Wir werden sicher auch zu klären haben, was davon angeblich sicherheitsrelevant und was davon Wirtschaftsspionage ist. Ich bin sehr gespannt, wo wir am Ende landen.

Die Geheimdienste sammeln alle Daten, die sie kriegen können ...

Das Bild entsteht gerade.

War das nicht schon immer so? Erstaunt es Sie jetzt?

Was mich erstaunt, ist die unglaubliche Masse und Undifferenziertheit. Wenn mit dem Datenstaubsauger überall drübergegangen wird, ist das nicht mehr hinnehmbar.

Es gibt erste Stimmen, unter anderem aus der Linkspartei, die sagen: Man sollte nun die Verhandlungen über die Freihandelszone mit den USA aussetzen. Sehen Sie das auch so?

Die Linkspartei ist für mich kein Maßstab.

Trotzdem: Sehen Sie es auch so?

Ich finde es schwierig, in einer Phase, in der nicht klar ist, wie die Freiheitsrechte des Einzelnen in Deutschland gewahrt werden, über wirtschaftliche Abkommen zu reden. Insbesondere, wenn im Raum steht, dass Wirtschaftsspionage betrieben wurde. Ich erwarte darum sehr komplizierte Verhandlungen.

Aber das heißt nicht, dass die Delegation wieder aus Washington abreisen sollte?

Nein. Es ist immer richtig, miteinander zu reden. In dem Moment, wo wir sprachlos werden, wird sich nichts verändern. Sprachlosigkeit ist nie eine Antwort.

Zum Stichwort Linkspartei: Sollte es in Hessen nicht für Rot-Grün reichen – würden Sie sich auch von der Linkspartei wählen lassen?

Es reicht für Rot-Grün.

Und sollte es nicht reichen?

Es wird reichen.

Und wenn es im Bund nicht reicht?

Es reicht.

Mit Thorsten Schäfer-Gümbel sprachen Christoph Herwartz und Issio Ehrich

Quelle: ntv.de

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