Politik

Wohin steuert Frauke Petry? "Wir wollen keine AfD-Abspaltung werden"

Frauke Petry mit Sohn Ferdinand: Die Zielgruppe ihrer neuen Partei sieht sie nicht primär in AfD-Kreisen.

Frauke Petry mit Sohn Ferdinand: Die Zielgruppe ihrer neuen Partei sieht sie nicht primär in AfD-Kreisen.

(Foto: imago/Max Stein)

Die Zahl der AfD-Austritte steigt. Die Zahl der Überläufer zu Frauke Petrys Blauer Partei auch. Im nordrhein-westfälischen Iserlohn etwa tritt gleich eine ganze AfD-Stadtratsfraktion in die neue Partei ein. Glaubt man Frauke Petry, wird diese Zahl noch steigen. Doch was unterscheidet die Blaue Partei von der AfD? Wo verläuft die Grenze nach rechts? Und welche Wähler will Petry ansprechen? Im Gespräch mit n-tv.de erklärt die Ex-Parteichefin, wo die AfD zu radikal ist, wie sie sich abgrenzen will und warum sie für ein Grundeinkommen steht.

n-tv.de: Wenn man sich in der AfD umhört, sagen viele Mitglieder, dass sie Ihre Entscheidung bewundern, aus der Partei ausgetreten zu sein. Hoffen Sie, dass Ihrem Vorbild noch mehr AfD-Mitglieder folgen werden?

Frauke Petry: Ich bin überzeugt, dass es im Laufe der Zeit weitere Austritte geben wird. Aber das Anliegen der Blauen Partei oder eines Bürgerforums zielt primär auf Externe und gar nicht darauf, ehemalige AfD-Mitglieder mitzunehmen. Ich weiß aber, dass einige nur ausharren, um noch an dem Parteitag im Dezember teilzunehmen.

Haben Sie Zahlen?

Wir wissen von zahlreichen Austritten, die genauen Zahlen sind aber gar nicht so interessant. Wir wollen keine AfD-Abspaltung werden, was ja oft geschrieben wird. Wir werden vielmehr das Potenzial nutzen, das die AfD nie erreichen konnte und immer mehr aus dem Blick verloren hat - diejenigen anzusprechen, die politisch heimatlos sind: Konservative, ehemalige FDP- oder CDU-Mitglieder oder eben Parteilose - denen die AfD nicht mehr das anbietet, was sie 2013 versprochen hat.

Es sind etwa 20 relativ bekannte AfD-Mitglieder in den letzten Wochen ausgetreten. Kommen die alle zu Ihnen?

Ja. Da die Blaue Partei aber anders agieren wird als andere Parteien, ist die Parteizugehörigkeit nicht entscheidend.

Sondern?

Kölner Parteitag: Spätestens seit dem Treffen im April 2017 war für Frauke Petry klar, dass es für sie sehr schwierig wird in der Partei.

Kölner Parteitag: Spätestens seit dem Treffen im April 2017 war für Frauke Petry klar, dass es für sie sehr schwierig wird in der Partei.

(Foto: picture alliance / Michael Kappe)

Die politische Arbeit wird im Wesentlichen im Rahmen des Bürgerforums "Blaue Wende" erfolgen. Wir werden politisch aktive Menschen mit anderem oder ohne Parteibuch ansprechen. Wir arbeiten mit der Fraktion in Mecklenburg-Vorpommern zusammen. Wir haben auf kommunaler Ebene die erste Fraktion in Iserlohn, wir haben eine blaue Gruppe im sächsischen Landtag und eine kleine Gruppe in NRW, die blau werden wird.

Der Übertritt einer gesamten Fraktion im Stadtrat von Iserlohn - war das von Ihnen koordiniert?

Ja.

Und werden noch weitere Fraktionen in Gänze zur Blauen Partei übertreten?

Da wird es noch einige geben. Ob es ganze Fraktionen sein werden oder einzelne Abgeordnete, lässt sich jetzt noch nicht sagen. Die persönlichen Schmerzgrenzen sind da sehr unterschiedlich. Aber es gibt eine Menge AfD-Mitglieder, die kurz vorm Absprung stehen.

Inhaltlich ist die Programmatik der Blauen Partei dem AfD-Programm recht ähnlich. Wie wollen Sie es schaffen, sich von Union und AfD abzugrenzen?

Die CDU hat viele konservative Positionen schon vor Jahren aufgegeben. Da fällt die Abgrenzung also leicht. Bei der CSU stellen wir fest: Im Wahlkampf wird viel gegrölt und am Ende wenig umgesetzt. Das beste Beispiel ist die sogenannte Obergrenze für Flüchtlinge, die mit einer echten Obergrenze nichts zu tun hat. Und die Unterscheidung zur AfD von 2017 ist deutlich. Zum Beispiel bei der Stellung zum Mindestlohn, den die AfD entgegen der ursprünglichen Ausrichtung von 2013 nun bejaht. Damit hat sie viele konservative und liberale Wähler verschreckt. Wir halten den Mindestlohn für eine Krücke, die es zu überwinden gilt. Wir glauben, dass der Mindestlohn in seiner derzeitigen Form den Geringverdienern nicht hilft. Außerdem fehlt die Aktivierungsfunktion, die es im Mindestlohnsektor braucht. Und deswegen schlagen wir eine negative Einkommenssteuer oder ein Grundeinkommen vor.

Frauke Petry steht also für ein bedingungsloses Grundeinkommen?

"Bedingungslos" suggeriert, dass man damit glücklich werden kann. Das aktivierende Grundeinkommen soll nicht auskömmlich sein, damit der Anreiz zur Arbeit da ist. Genau diesen Anreiz bietet Hartz IV ja nicht, weil das, was man in Teilzeit dazuverdient, durch die Anrechnung fast komplett wieder aufgefressen wird. So ein Grundeinkommen würde auch den gigantischen administrativen Aufwand für die Kontrolle der Sozialleistungen einsparen.

Und wie hoch soll dieses Grundeinkommen sein?

Es ist noch nicht völlig durchgerechnet. Aber ich schätze, ungefähr 800 Euro - vielleicht 200 Euro mehr, vielleicht 200 weniger. Jedenfalls nicht auskömmlich.

Wo sind weitere Unterscheidungspunkte?

Bei der Frage der Kultur ist es uns wichtig, dass wir ein klares Signal gegen einen zunehmenden Ethnopatriotismus setzen. Wir brauchen Kulturpatriotismus, der die Grenze zum Nationalismus nicht überschreitet. Da sehe ich bei der AfD deutliche Tendenzen. Und außenpolitisch grenzen wir uns zur AfD ab, indem wir sehen, dass gute Verbindungen zu Russland zwar wichtig sind. Aber der deutlich wichtigere Bündnispartner sind unserer Meinung nach die USA. Und wir brauchen eine strategische Allianz mit Israel.

Wie nah sind Sie beim Thema Islam bei der AfD?

Auch wir üben Islamkritik, die nicht als Religionsphobie verstanden werden soll. Aber anders als der radikale Teil der AfD, der jeden Dialog ablehnt und jede Entwicklungsmöglichkeit von Muslimen in Deutschland ausschließt, sehen wir, dass es viele integrierte Muslime hierzulande gibt, die keinen religiös-politischen Anspruch haben. Die Muslime, die verstehen, dass Integration und teilweise auch Assimilation notwendig sind, die wollen wir mitnehmen.

Assimilation ist ja ein umstrittenes Wort.

Ich weiß.

Und Sie sagen nicht nur Integration.

Frauke Petry verlässt die Bundespressekonferenz - und die AfD. Seither sind ihr rund 20 bekannte AfD-Gesichter gefolgt.

Frauke Petry verlässt die Bundespressekonferenz - und die AfD. Seither sind ihr rund 20 bekannte AfD-Gesichter gefolgt.

(Foto: picture alliance / Michael Kappe)

Es sind zwei verschiedene Dinge. Integration ist die Vorstufe zu Assimilation. Und jeder, der auswandert, um andernorts seine Heimat zu finden, wird sich immer ein Stück weit assimilieren müssen. Mit der bloßen Anerkennung der Gesetze ist es nicht gemacht. Die kulturelle Ebene findet daneben statt.

Neben Ihrer Position zum Islam hat sich die AfD ja vor allem über Zuwanderung und Euro-Kritik profiliert. Wie steht die Blaue Partei zu diesen Punkten?

Die Euro-Kritik wird weiterhin eine Rolle spielen. Wir müssen anerkennen, dass der Mittelstand, um den wir uns besonders kümmern wollen, damit Bauchschmerzen hat.

Im Programm der Blauen Partei steht "Austritt aus der Transferunion" und nicht "Austritt aus dem Euro".

Ja, denn die Transferunion ist das Symptom eines nicht funktionierenden Euro. Die Transferunion verschiebt die Lasten einseitig auf einen Staat und die Steuerzahler. Der Euro bleibt weiterhin ein Riesenproblem, das gelöst werden muss.

In dem Programm stehen die Themen Zuwanderung, Islam und Eurokritik nicht an erster Stelle. Ist das ein Zufall?

Zuerst steht dort die Außen- und Sicherheitspolitik, dann kommt Innere Sicherheit, dann die Finanzpolitik. Damit wollen wir deutlich machen, welche Probleme zuerst gelöst werden müssen. Ja, es soll deutlich machen, dass wir andere Schwerpunkte setzen als die AfD.

Die Blaue Partei - ist das jetzt ein Bürgerforum oder eine Partei? Wie soll die politische Einflussnahme funktionieren?

Mit der Schaffung eines Bürgerforums als Vorfeldorganisation einer Partei wollen wir die politische Auseinandersetzung, die Diskussion, die Möglichkeit, sich zu vernetzen und Know-How-Träger zu finden, nicht erst im Rahmen einer Parteimitgliedschaft ermöglichen. In dem Bürgerforum kann man eine Programmatik mitentwickeln. Wir haben festgestellt, dass sich Know-How-Träger in dieser Gesellschaft selten an Parteien binden möchten, weil sie die hierarchischen Mühlen zu Recht scheuen. Ein weiterer Vorteil ist, dass man Personen fernhalten kann, die verrückte Ideen haben. Das deutsche Parteiengesetz sieht nicht vor, jemanden wieder auszuschließen. Und mit dem Bürgerforum lässt sich steuern, wer in die Partei kommt.

Eine Art Firewall für die Partei also?

Genau.

Wünschen Sie sich denn eine Massenbewegung raus aus der AfD wie beim Austritt von Bernd Lucke?

Nein. Das unerreichte Potenzial außerhalb der AfD ist viel größer. 13 Prozent haben bei der Bundestagswahl die AfD gewählt, aber laut Umfragen wünschen sich 30 Prozent, konservativ zu wählen. Wenn trotzdem nur 13 Prozent erreicht werden, zeigt sich, wo die Lücke ist. Eine Zeit lang war in der AfD die 20-Prozent-Marke in Sicht, wir hatten große Möglichkeiten, uns zu vernetzen. Aber nach der Gedeon-Affäre in Baden-Württemberg war das schlagartig vorbei. Und ab Januar 2017 (zu dieser Zeit hielt Björn Höcke seine umstrittene Dresdner Rede, Anm. d. Red.) wurde es richtig schlimm, wir verloren viele Verbindungen und Spender. Daher liegt unser Fokus ganz klar auf Nicht-AfDlern. Aber wenn es Vernünftige gibt, die mitkommen wollen, sind wir dafür offen.

Wann haben Sie gemerkt, dass es für Sie möglicherweise keine Zukunft in der AfD mehr gibt?

Ab Ende 2016 haben wir gemerkt, dass es immer schwieriger wurde, gemäßigte Mehrheiten zu finden. Gefühlt waren die immer da. Aber wenn Mitglieder davor Angst haben, diese gemäßigten Positionen auch zu beziehen, dann sagt das schon eine Menge aus.

Sie sprechen über radikale Kräfte in der AfD und darüber, dass sich die Partei in eine falsche Richtung entwickelt habe. Mussten Sie sich verstellen, um weiterhin in der Partei zu funktionieren? Gehörten Sie auch zu den Parteimitgliedern, die sich mit ihrer Position zurückgenommen haben?

Ganz und gar nicht. Weil ich mich nicht verstellen wollte, musste ich nur nach der Bundestagswahl meine persönliche Konsequenz ziehen. Mit den Problemen bin ich offen umgegangen, genau das hat mich ja intern auch zunehmend Mehrheiten gekostet.

Kann Sebastian Kurz ein Vorbild für Sie sein?

Er hat zumindest eines geschafft: Eine unbewegliche Parteistruktur beiseitezuschieben und seine Liste aufzustellen. Er hat die ÖVP gewissermaßen gekapert. Und seinen Ansatz, dass der politische Diskurs im Grunde die Parteigrenzen verlassen muss, verfolgen wir auch. Weil Parteien durch die Unfähigkeit externes Know-How aufzugreifen, nie eine breite gesellschaftliche Mehrheit repräsentieren können.

Haben Sie einen Plan B, wenn es in der Politik nicht mehr klappt?

Wir werden bis zu den Wahlen 2019 viel Aufbauarbeit leisten müssen. Und wir werden uns im Gegensatz zur AfD dazu auch die Zeit nehmen. Wenn ich sehe, dass die AfD in den nächsten vier Jahren ihre internen Kämpfe vor die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner stellen muss, um überhaupt eine Linie zu finden, dann haben wir einen deutlichen Vorsprung und können gleich Politik machen. Und nach 2019 werden wir sehen, ob das Projekt Erfolg hatte.

Mit Frauke Petry sprachen Benjamin Konietzny und Hubertus Volmer.

Quelle: ntv.de

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