Auf die Swing States kommt es an Wo die US-Wahl entschieden wird
29.09.2016, 18:32 Uhr
Hillary Clinton in North Carolina. In den Umfragen liegt sie hier zurück.
(Foto: REUTERS)
Nur rund ein Dutzend Bundesstaaten entscheidet, wer die Präsidentschaftswahl in den USA gewinnt. Diese Staaten spiegeln wider, wie verhärtet die Fronten zwischen Demokraten und Republikanern sind.
North Carolina ist nicht nur einer von 50 Bundesstaaten der USA, sondern auch einer der "Swing States", die im Kampf um das Weiße Haus eine wichtige Rolle spielen. Swing States, wörtlich übersetzt "schwingende Staaten", werden so genannt, weil in ihnen keine der beiden großen Parteien bei Präsidentschaftskandidaten mit einer sicheren Mehrheit rechnen kann. Sie können also leicht von einem politischen Lager ins andere schwingen.
Durch das amerikanische Wahlsystem, in welchem die Wahlmänner und -frauen der einzelnen Staaten den zukünftigen Präsidenten bestimmen, kommt den Swing States eine besondere Bedeutung zu. Ihre Ausnahmestellung zeigte sich am Tag nach der ersten Fernsehdebatte, die mit 84 Millionen Zuschauern einen neuen Rekord aufstellte. Hillary Clinton und Donald Trump machten sich beide auf den Weg zu Wahlkampfveranstaltungen in die Swing States. Trump zog es nach Florida, Clinton schlug in North Carolina auf.
Wer die Präsidentschaftswahl am 8. November gewinnen will, braucht mindestens 270 Wahlmänner-Stimmen. North Carolina, wo es um 15 Stimmen geht, kämpft mit vielen Problemen, die auch in anderen Regionen des Landes zu spüren sind: soziale Ungleichheit und Perspektivlosigkeit in den ländlichen Gegenden, aber auch mit dem demographischen Wandel in der Gesellschaft. Über 9,5 Millionen Menschen leben in dem südöstlich gelegenen Staat auf einer Fläche, die knapp zweimal so groß ist wie Bayern. Die größte Stadt, Charlotte, sowie die Hauptstadt Raleigh gehören durch dort ansässige Finanzinstitutionen, Technologieunternehmen und Universitäten zu den am schnellsten wachsenden Metropolregionen in den USA.
Bürger fühlen sich im Stich gelassen
Im Rest des Staates sehen die Dinge jedoch etwas anders aus. Mit dem Abwandern der Textil- und Möbelproduktion im Laufe der 90er Jahre in Billiglohnländer ist innerhalb von 20 Jahren einer der wichtigsten Industriezweige des Staates fast komplett weggebrochen. 1992 waren noch 289.000 Menschen in der Textil und Möbelindustrie angestellt, danach fiel die Beschäftigungszahl rapide ab. Mehr als 80 Prozent der Arbeitsplätze gingen verloren. Im Jahr 2012 brachte es der Sektor gerade einmal auf 52.000 Beschäftigte. Ein Großteil der Arbeiternehmer musste einen gut bezahlten Arbeitsplatz gegen eine Stelle im Niedriglohnbereich eintauschen.
"Eine Vielzahl der Arbeitsplätze, die im produzierenden Gewerbe abhandengekommen sind, erforderten bestimmte Fähigkeiten. Jedoch bedarf es in den Industriezweigen, in denen neue Stellen geschaffen werden, komplett anderer Qualitäten", sagte Mark Vitner, der für die amerikanische Wells Fargo Bank arbeitet, während eines Wirtschaftsforums in Charlotte. Um diese neuen Fähigkeiten zu erwerben, sind viele dazu gezwungen, wieder die Schulbank zu drücken und sich bei Community Colleges oder Universitäten einzuschreiben, was in den USA mit hohen Kosten verbunden ist.
Viele Bürger fühlen sich daher von den Politikern in Raleigh und Washington im Stich gelassen. In den letzten Umfragen in North Carolina, die noch vor dem ersten Fernsehduell durchgeführt wurden, lagen beide Kandidaten gleichauf. Trump brachte es auf 44 Prozent, Clinton auf 43,2 Prozent.
Auf dem Land tendiert die Mehrheit zu Trump
Der wirtschaftliche Umschwung in North Carolina, weg von Industrie und Landwirtschaft, hin zu Technologie und Finanzen, spiegelt sich in vielen Staaten wider. Dadurch, dass die größten Verlierer in diesem wirtschaftlichen Wandel in den ländlichen Gegenden zu finden sind, wo konservative Werte eine große Rolle spielen, haben die Republikaner und Trump dort die Nase vorne. "Der Großteil der Menschen tendiert zu Trump", sagte der frühere Marineoffizier Bill Link, der im 1300-Seelen-Dorf Beulaville lebt, der Zeitung "Christian Science Monitor". "Wir sind alles stinknormale Arbeiter. Wir arbeiten für unseren Lebensunterhalt. Wir sind alles Fabrikarbeiter und wir glauben, dass sich unser Land in die falsche Richtung bewegt."

Trump in Florida. Der Staat entschied die Wahl im Jahr 2000. In den Umfragen liegt Clinton hier derzeit leicht vorn.
(Foto: REUTERS)
Das Gefühl vieler Amerikaner, dass es mit ihrem Land abwärts geht, schlägt sich nicht nur auf wirtschaftliche, sondern auch auf soziale Fragen nieder. Ein sozialgesellschaftliches Thema, das in North Carolina seit Monaten für Unruhen sorgt, ist die sogenannte House Bill 2. Das Gesetz, das mit Unterstützung des republikanischen Gouverneurs Pat McCrory im Eilverfahren durch den Staatssenat und das Repräsentantenhaus gelangte, war die Reaktion der Regierung von North Carolina auf eine in Charlotte beschlossene Stadtverordnung. Die Stadt hatte im Februar dieses Jahres eine Regelung erlassen, die homosexuelle und transsexuelle Menschen stärker vor Diskriminierung in der Gesellschaft schützen sollte. Ein Bestandteil dieser neuen Regelung erlaubt es Transsexuellen, die Toiletten und Umkleidekabinen zu benutzen, die mit ihrer sexuellen Identität übereinstimmen. Gegner dieser Verordnung befürchten jedoch, dass Männer diese Regelung ausnutzen und somit eine Gefahr für Mädchen und Frauen darstellen könnten. "HB2" untersagt daher die Benutzung von Toiletten und Umkleiden in öffentlichen Einrichtungen, beispielsweise in Schulen, anhand der sexuellen Identität einer individuellen Person.
Eine Folge des Gesetzes war, dass North Carolina Einnahmen im dreistelligen Millionenbereich durch die Lappen gingen. Eine Vielzahl von Musik- und Sportveranstaltungen wurden aufgrund des Gesetzes abgesagt. Charlotte verlor unter anderem das NBA All-Star Game, das 2017 in der Stadt stattfinden sollte. North Carolinas Justizminister Roy Cooper beschrieb das Gesetzt als "nationale Peinlichkeit". Trotz des gewaltigen Imageschadens, den North Carolina gerade erlebt, gibt es keine Anzeichen aus Raleigh, das Gesetzt zu widerrufen. Letzte Umfragewerte zeigen, dass 49,5 Prozent das Gesetzt gern abschaffen würden. Dem gegenüber stehen 39,5 Prozent, die HB2 unterstützen.
Das Ganze ist auch ein Schlagabtausch zwischen einer demokratischen Bürgermeisterin, Jennifer Roberts, und einem republikanischen Gouverneur, denen es nicht gelingt, in der Sache zusammen zu arbeiten. Trotzdem ist dies nicht nur von lokaler Relevanz. In fast allen Swing States gibt es ähnliche Geschichten über den Verlust von Kernindustrien. In Michigan ist es die Autoindustrie, in Pennsylvania Stahl, in Virginia die Kohle. In Staaten, die solcherart von sozialer Unsicherheit betroffen sind, gibt es zugleich auch immer wieder Streit um die Diskriminierung von Minderheiten.
Einer der genannten Staaten könnte – wie vor 16 Jahren Florida – am 8. November das Zünglein an der Waage sein. Insgesamt gibt es im aktuellen Wahlzyklus knapp ein Dutzend Swing States. Diese Bundesstaaten geben einen Einblick in den Gemütszustand des gesamten Landes. In ihnen zeigen sich die Unterschiede zwischen Land und Stadt, Arm und Reich, liberalen und konservativen US-Bürgern. Ihre Strukturen, demographischen Begebenheiten und Wirtschaftssektoren repräsentieren oftmals den Wandel, den Regionen des Landes durchlaufen. Sie zeigen aber auch, wie verhärtet die Fronten zwischen Demokraten und Republikanern sind. Denn die Polarisierung nimmt zu, nicht ab – was man schon daran erkennt, dass es immer weniger Swing States gibt. 1992 gab es noch 32 Swing States. Weiterhin gültig ist allerdings die alte Regel: Entschieden werden die Wahlen in den Swing States.
Quelle: ntv.de