Asyl-Diskussion am Stadtrand Wo jeder dumpfe Spruch erlaubt ist
02.09.2015, 16:20 Uhr
Hoyerswerda gehört zu den am stärksten schrumpfenden Städten in Deutschland.
(Foto: imago stock&people)
Die Mitarbeiter der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung arbeiten daran, Rechtsradikalen die Unterstützung zu entziehen. Dabei müssen sie sich viele dumpfe Sprüche anhören. Zu Besuch bei einer Bürgerversammlung.
Die Stadt, in der diese Reportage spielt, sieht aus wie viele Städte im Osten: Es gibt ein gepflegtes Einkaufszentrum, eine restaurierte Altstadt und Cafés an Kopfsteinpflasterstraßen. Weiter draußen bestehen die Straßen aus Betonplatten und versanden irgendwann im Nichts. Die Bauten am Rande dieser Straßen werden nach und nach abgerissen. Das Schulgebäude in der Liselotte-Herrmann-Straße steht noch, wird aber nur noch teilweise genutzt. In den ungenutzten Teil sollen bald bis zu 150 Asylbewerber einziehen.
In einer Aula, nicht weit entfernt, schlägt sich eine ältere Frau mit der flachen Hand an die Stirn: "150!" Sie lacht laut und, schüttelt heftig den Kopf. 150 Ausländer. Und das, obwohl in der Nähe bereits Asylbewerber wohnen, obwohl direkt daneben eine Berufsschule ist, obwohl es im Westen neulich zu einer Massenschlägerei an einer Hauptschule kam. "Wollen wir so etwas hier auch haben?", ruft sie ins Mikrofon. Die Antwort ist Applaus.
Der Landkreis Bautzen hat die Anwohner in die Aula eingeladen, um über das neue Flüchtlingsheim zu informieren. Ein Beigeordneter aus dem Landratsamt ist da, der Chef der Ausländerbehörde, zwei Polizisten und der Oberbürgermeister der Stadt. Damit sich die Stimmung nicht aufschaukelt, ist Andreas Tietze von der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung mitgekommen und moderiert die Veranstaltung. Er spricht ruhig und weist immer wieder auf die Regeln hin: aussprechen lassen, niemanden beleidigen. Etwa 130 Menschen sind gekommen.
"Nur Ärger mit den Ausländern"
Ein Mann sagt, wer sich gegen Flüchtlingsheime wende, werde gleich als Nazi verunglimpft. Titze entgegnet, keiner werde hier "Nazi" genannt. Nicht von ihm, nicht von den Leuten vom Landkreis. Er schaut dabei zwei junge Männer an, die ihre Haare abrasiert haben. Der eine trägt ein "ACAB"-Tattoo im Nacken, was für "All Cops Are Bastards" steht. "Schiebt die doch alle ab", murmelt er ab und zu. Der andere trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift: "Wir wissen, wen wir hassen." Die ältere Frau haben sie in ihre Mitte genommen. Sie ist die Wortführerin der Skinheads, von denen es vielleicht 15 im Saal gibt.
Die Frau zetert weiter: Nur Ärger gebe es mit den Ausländern in ihrem Haus. Die Kinder würden bis Mitternacht Krach machen. "Meine Nachbarin schläft nur noch mit der Waffe in der Hand." Sie selbst sei in den Garten gezogen, weil sie es nicht mehr ausgehalten habe. Und immer wieder habe sie beim Amt angerufen, aber es passiere nichts. Der Polizist sagt, ihm seien keine größeren Beschwerden aus dem Wohnblock bekannt. Tietze, der Mann von der Landeszentrale, sagt: "Ich komme gerne vorbei, wenn Sie einen Ansprechpartner brauchen."
Tietze ist es wichtig, dass auch die wütende Frau ausreden darf – auch wenn sie andere öfter unterbricht. Er will die negative Stimmung auffangen, bevor sie in Gewalt umschlägt. Gerade in Sachsen greifen Menschenfeinde immer wieder Flüchtlingsunterkünfte an. Der Landeszentrale geht es darum, Gewalttätern den Rückhalt in der Bevölkerung zu entziehen. Sie versucht das, indem sie erst einmal jede Kritik ernst nimmt. Auch der dumpfeste Spruch muss erlaubt sein. Wer Tabus aufbaut, bestätigt nur das Vorurteil der Rassisten, dass man sich in Deutschland nicht mehr frei äußern dürfe. Stattdessen gehen Tietze und die Beamten sachlich auf alle Fragen ein. Es wird viel über Sicherheit gesprochen, über Erfahrungen mit anderen Unterkünften, über die Möglichkeiten, Vorfälle zu melden.
In Hoyerswerda haben sie schlechte Erfahrungen gemacht
Den gewalttätigen Kern identifizieren und ächten, alle anderen aufklären, ernst nehmen und in ihren Vorurteilen verunsichern – das ist die Strategie. Seit Monaten reisen Tietze und seine Kollegen durch Sachsen und begleiten Versammlungen wie diese. Nach eigener Aussage haben sie damit Erfolg. Manchmal drehen sie mit ihrer Aufklärungsarbeit die Stimmung in einem ganzen Stadtteil, sagen sie.
Diese Reportage könnte also in vielen sächsischen Städten spielen. Zufällig spielt sie in Hoyerswerda, einer Stadt, die besonders unter der Wende zu leiden hatte. 1991 jagten Neonazis Ausländer durch die Stadt, warfen Steine auf die Wohnheime von Flüchtlingen und Vertragsarbeitern. Der Staat hatte dem nichts entgegenzusetzen. Schließlich wurden die Ausländer mit Bussen weggebracht, die Anwohner klatschten Applaus. Seitdem ist Hoyerswerda ein Beispiel für Zustände, die es nie wieder geben darf.
Die Geschichte von 1991 erzählen viele Menschen in Hoyerswerda allerdings ganz anders, als man sie in den Medien nachlesen kann. Sie sagen, dass es im Flüchtlingsheim ständig zu Schlägereien zwischen verfeindeten Volksgruppen vom Balkan gekommen sei. Bewohner hätten bis tief in die Nacht gefeiert oder Schafe geschlachtet. Am Haus habe ein Transparent gehangen: "We want Party, we want Fun." Die wenigen Deutschen im Haus hätten ein schreckliches Leben gehabt. Eines Tages hätten vier Bewohner im Haus eine Deutsche vergewaltigt. Erst danach sei es zu den Ausschreitungen gekommen.
Die Angst sitzt tief
Kein Wunder sei es, dass sich die Hoyerswerdaer freuten, als das "Affentheater" ein Ende hatte. In dieser Überlieferung haben nicht die Ausländer schlechte Erfahrungen mit den Hoyerswerdaern gemacht, sondern andersherum.
Ob mal jemand an die vielen Rentner im Block gegenüber gedacht habe, fragt eine Frau. Dort lebten viele Hochbetagte, die sich einen ruhigen Lebensabend wünschten. Zustände wie 1991 wolle man nicht mehr erleben, sagt ein anderer. Und damit meint er das Verhalten der Ausländer, nicht das der Deutschen.
Andreas Tietze bekommt Hilfe. Einige Engagierte aus einer Bürgerinitiative melden sich nun. Sie kümmern sich darum, dass Asylbewerber in Hoyerswerda gut aufgenommen werden, organisieren Betreuung für Minderjährige und Spenden. Sie erzählen von ihrem Begegnungscafé und vom Heimfest, bei dem man mit den Flüchtlingen ins Gespräch kommen könne. Danach habe man keine Angst mehr, sagt eine Frau, die Deutschkurse gibt.
Doch die Angst sitzt tief. Einigen Anwohnern ist es nicht geheuer, dass Menschen von weit her kommen, um hier zu leben. Einige glauben, dass jemand aus dunklen Motiven die Migrationsströme anheizt. Wenn in Berlin über Flüchtlinge debattiert wird, hört man oft: "Wir würden an deren Stelle auch unser Land verlassen." Doch das passt nicht in das Weltbild der Menschen am Rand von Hoyerswerda, die in den Plattenbauten neben den kaputten Straßen leben. Sie sind immer geblieben, wo sie waren.
Quelle: ntv.de