Politik

"Gespart werden muss überall" Zähes Gefeilsche im Kanzleramt

Das Bundeskanzleramt in Berlin.

Das Bundeskanzleramt in Berlin.

(Foto: REUTERS)

Vor allem mit Einschnitten im Sozialbereich will die schwarz-gelbe Bundesregierung einen radikalen Kurswechsel in der Haushaltspolitik einleiten. Die Verkündung der Details lässt jedoch auf sich warten - die Minister Guttenberg und Ramsauer legen sich offenbar quer. Für die Opposition ist schon jetzt klar, dass der Sparkurs unsozial ist.

Nach elfstündigen Beratungen hat sich das Bundeskabinett in der Nacht zum Montag auf eine Reihe von Sparmaßnahmen zur Sanierung des Bundeshaushalts geeinigt. Weite Teile des Sparpakets stünden, verlautete nach dem Ende der Gespräche im Kanzleramt aus Regierungskreisen.

Es geht um das größte Sparpaket in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Weitere Gespräche mit einzelnen Ministern über zusätzliche Einsparungen zogen sich länger hin als geplant. Die Sitzung des Bundeskabinetts wurde daher um eine Stunde auf 12.00 Uhr verschoben. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Guido Westerwelle (FDP) wollen die Ergebnisse der zweitägigen Sparklausur um 15.00 Uhr präsentieren. n-tv überträgt die Pressekonferenz live.

"Jetzt wird die Handschrift der Koalition sichtbar", sagt Merkel mehr als acht Monate nach der Bundestagswahl.

"Jetzt wird die Handschrift der Koalition sichtbar", sagt Merkel mehr als acht Monate nach der Bundestagswahl.

(Foto: dpa)

Nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa wurden am Morgen Arbeits- und Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU), Verkehrsminister Peter Ramsauer und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (beide CSU) zu Beratungen geladen. Sie müssten noch höhere Sparsummen in ihren Ressorts anbieten als vorgeschlagen. Vor allem Guttenberg und Ramsauer legen sich offenbar quer. Guttenberg lässt nach Angaben aus Koalitionskreisen nicht locker mit seiner Forderung, die Wehrpflicht im Zuge der Haushaltskürzungen auszusetzen.

Bei dem Treffen im Kanzleramt sollen sowohl die Eckdaten für den Bundeshaushalt 2011 als auch die Rahmendaten für die Haushalte der Folgejahre festgelegt werden. Ab 2013 muss Deutschland wieder den Euro-Stabilitätspakt einhalten, zudem greift ab 2011 die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse.

"Jetzt wird Handschrift sichtbar"

Merkel und Westerwelle hatten am Sonntag deutlich gemacht, dass der Schwerpunkt auf Ausgabenkürzungen und nicht auf Steuererhöhungen liegen soll. Steuererhöhungen hatte Merkel nicht ausgeschlossen, die FDP dies aber abgelehnt. Merkel sagte: "Jetzt wird die Handschrift der Koalition sichtbar." Die Koalition streitet seit Monaten um Steuersenkungen, Gesundheitsreform und andere Politikfelder und muss nun Handlungsfähigkeit beweisen, um aus dem anhaltenden Umfragetief herauszukommen.

Ursula von der Leyen verwaltet den größten Posten im Bundeshaushalt. Ihr wird die Aufgabe zufallen, die Sparpolitik als sozial gerecht zu verkaufen.

Ursula von der Leyen verwaltet den größten Posten im Bundeshaushalt. Ihr wird die Aufgabe zufallen, die Sparpolitik als sozial gerecht zu verkaufen.

(Foto: dpa)

Insgesamt peilt die Regierung Einsparungen für den Haushalt 2011 von rund 11 Milliarden Euro an. In den Folgejahren sollen bis 2016 jeweils etwa 8 Milliarden Euro folgen. Das größte Sparpaket in der bundesdeutschen Geschichte umfasst damit nach bisherigen Informationen etwa 51 Milliarden Euro. Nach der knapp elfstündigen Auftaktrunde vom Sonntagnachmittag bis zum frühen Montagmorgen soll nach dpa-Informationen noch ein Sparvolumen von 3,5 Milliarden Euro offen gewesen sein.

"Gerecht und ausgewogen"

Unionsfraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier wehrte sich bei n-tv gegen den Vorwurf, die Koalition spare unsozial. "Gespart werden muss überall", sagte Altmaier. "Wir haben gesagt, nicht im Bereich Bildung. Wir wollen auch im Bereich Familienpolitik und im Bereich Umweltpolitik eher schonend vorgehen und das heißt dann, in allen anderen Bereichen muss gespart werden, auch im Sozialhaushalt." Die Koalition wolle das "aber gerecht und ausgewogen tun". Sozialleistungen sollten "treffender und zielgenauer" werden. Eine Ausnahme für den Sozialetat könne es aber "schon deshalb nicht geben, weil es einer der größten Posten im Bundeshaushalt ist".

Altmaier ergänzte, dass die Bundesregierung sich auf internationaler "oder notfalls auch auf europäischer Ebene" für eine Finanztransaktionssteuer einsetzen werde.

Abstriche beim Elterngeld geplant

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg will nicht sparen. Er droht damit, die Wehrpflicht auszusetzen.

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg will nicht sparen. Er droht damit, die Wehrpflicht auszusetzen.

(Foto: REUTERS)

Dem Vernehmen nach plant die Bundesregierung unter anderem Kürzungen im Sozialbereich, massive Stellenstreichungen bei Bundesbehörden sowie einen Abbau von Steuervergünstigungen und anderen Subventionen. Abstriche sind beim Elterngeld geplant. Einschnitte soll es auch bei Rentenbeiträgen für Langzeitarbeitslose und anderen Hilfen für Erwerbslose. Strittig waren zuletzt auch Steuererhöhungen zur Sanierung der Staatsfinanzen.

Linke kündigt "Riesenproteste" an

Bereits vor Bekanntwerden der Details kündigte die Linke ein "breites Widerstandsbündnis" gegen die Sparpläne an. "Jetzt werden die Arbeitnehmer, Rentner und Familien für die Zockerei der Banken zur Kasse gebeten", sagte Parteichef Klaus Ernst. "Dagegen wird es Riesenproteste geben." Wenn die Regierung gegen das Volk regiere, dann hätten die Bürger das Recht, sich zu wehren.

Ernst nutzte den Anlass, den Kandidaten von SPD und Grünen für die Bundespräsidentenwahl zu attackieren. Der frühere Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen Joachim Gauck sei keine moralische Instanz, wenn es um den Kampf gegen den Sozialabbau gehe. Deswegen hätten die Sozialdemokraten mit seiner Nominierung einen Fehler gemacht. "Gauck muss Stellung zu den Sparplänen beziehen", forderte Ernst.

"Wie der Teufel das Weihwasser"

Auch SPD und Gewerkschaften kündigten Widerstand gegen zu drastische Sozialkürzungen an. Das Hauptproblem seien die geplanten Kürzungen bei denen, die sich kaum wehren könnten, sagte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles dem NDR: "Wir werden diese soziale Unwucht, die sich abzeichnet, nicht akzeptieren können." Auf der anderen Seite traue sich die Bundesregierung nicht, schärfer gegen Spekulanten vorzugehen, umso die Einnahmesituation zu verbessern.

Die Grünen kritisierten, die Handschrift der Koalition sei die Kürzung bei den Schwachen. Eine höhere Belastung der Vermögenden in Deutschland scheue Schwarz-Gelb wie der Teufel das Weihwasser, sagte Fraktions-Geschäftsführer Volker Beck.

Die Gewerkschaft Verdi warnte, mit einer Rotstift-Politik die soziale Schieflage zu verschärfen. "Die Bundesregierung belastet einseitig die Schwachen in der Gesellschaft, statt starke Schultern angemessen zur Finanzierung des Gemeinwesens heranzuziehen", sagte Verdi-Chef Frank Bsirske. Wer ausgerechnet bei den Schwächsten streiche, gefährde den sozialen Zusammenhalt. Stattdessen sollten große Vermögen und reiche Erben stärker belastet werden.

Am 7. Juli - unmittelbar vor der parlamentarischen Sommerpause - will die Regierung den Entwurf für den Sparhaushalt 2011 und den Finanzplan bis 2014 verabschieden. Merkel und Westerwelle hatten vor der Klausur die Deutschen auf mehrere Jahre des Sparens eingestimmt.

Laufzeitenverlängerung durch die Hintertür

Mit einer Brennelementesteuer will die Bundesregierung bei längeren Atomlaufzeiten Zusatzgewinne der Energiekonzerne in die Staatskassen umleiten. dabei geht es um jährlich 2,3 Milliarden Euro. Die Frage ist allerdings, ob dann nicht künftig Laufzeitverlängerungen mit ökonomischen Zwängen begründet werden können.

Schwarz-Gelb wird auch die Ausnahmeregelungen für die Ökosteuer überprüfen. Allgemein soll es keine neuen Subventionen mehr geben oder bestehende Subventionen sollen nicht erhöht werden. Auch die Bundeswehr soll ihre Ausgaben im Milliardenbereich reduzieren. Zusätzliche Einnahmen soll eine neue Abgabe für Finanzinstitute ab 2012 bringen.

Sparen auf Kosten der Schwächsten

Weitgehend einig war sich die Runde am späten Abend dem Vernehmen nach über die Streichung der Rentenbeiträge des Bundes für Hartz-IV-Empfänger. Einvernehmen soll es auch gegeben haben bei der Streichung der Ausgleichszahlungen für Erwerbslose beim Übergang vom Arbeitslosengeld I zum Arbeitslosengeld II. Nach bisherigen Plänen soll für Hartz-IV-Empfänger das Elterngeld gestrichen werden. Die Bemessungsgrundlage zur Berechnung des Elterngeldes soll von 2700 auf 1800 Euro zurückgenommen werden.

Wegfallen soll der Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger, weil sich Energiekosten normalisiert hätten. Die Wohnungsbauprämie von 45 Euro bei Alleinstehenden und 90 Euro pro Jahr bei Ehegatten soll auslaufen. Die Bundesbeamten müssen mit einer Kürzung ihrer Bezüge um 2,5 Prozent rechnen. Dies soll durch den Verzicht auf die geplante Erhöhung des Weihnachtsgeldes im Jahr 2011 erreicht werden.

Quelle: ntv.de, hdr/dpa/AFP/rts

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