Politik

Der Zweckfrieden zwischen Steinbrück und Stegner Ziemlich beste Feinde

Gruppenbild mit Kontrahenten: Steinbrück und Stegner.

Gruppenbild mit Kontrahenten: Steinbrück und Stegner.

(Foto: picture alliance / dpa)

Rechter Kandidat und linkes Programm: So will die SPD im September Kanzlerin Merkel aus dem Amt kippen. Hinter den Kulissen zieht bei den Genossen ausgerechnet ein Mann die Strippen, der seit Jahren als einer der größten Feinde von Kanzlerkandidat Steinbrück gilt.

Ralf Stegner mag es gern poppig. Bei Twitter gibt der SPD-Landeschef aus Schleswig-Holstein jeden Tag musikalische Tipps. In dieser Woche empfahl er unter anderem Kris Kristoffersons "Sunday Morning coming down" und "Don't let the sun go down on me" von George Michael und Elton John, jeweils verbunden mit den besten Wünschen für den Tag. Der Politiker scheint eine vergnügliche Woche gehabt zu haben, unterwegs zwischen Wahlkreisbesuchen in Eckernförde und Rendsburg sowie seinem Kieler Büro.

So sehr die Genossen sich durch die Umfragetiefs quälen - Stegners Laune könnte vor dem Sonderparteitag der SPD in Augsburg kaum besser sein. "Viele überrascht das ja: Aber in den letzten Jahren waren wir noch nie so geschlossen. Wir lassen uns nicht auseinandertreiben", sagt der 53-Jährige im Gespräch mit n-tv.de. Wenn seine Partei an diesem Wochenende ihr Wahlprogramm verabschiedet, ist es für ihn ein ganz persönlicher Triumph. Ob Mindestlohn oder höherer Spitzensteuersatz: Die Inhalte, mit denen die SPD in den Wahlkampf zieht, tragen seine Handschrift. Es ist ein cleverer Deal für die Parteilinke, und für Stegner, ihren Sprecher, der vorzeitige Höhepunkt einer Rückkehr, die ihm wenige zugetraut haben. Schließlich waren sich Steinbrück und Stegner bis vor kurzem spinnefeind.

Harvard-Absolvent, Rambo und Kotzbrocken

Beide begegneten sich erstmals Anfang der 90er in der schleswig-holsteinischen Landespolitik. Stegner ist Pressesprecher im Sozialministerium, Steinbrück Staatsekretär und Wirtschaftsminister, bevor er als Ministerpräsident nach NRW geht. Stegner bleibt im Norden. Lange gilt er als Kronprinz von Ministerpräsidentin Heide Simonis. Er hat den Ruf des roten Rambos, Provokateurs und Kotzbrockens. 2009 zerbricht die Große Koalition, Stegner ist nach einem Streit mit CDU-Ministerpräsident Peter Harry Carstensen schon ein Jahr zuvor zurückgetreten. Bei den Neuwahlen holt er als Spitzenkandidaten das schlechteste Ergebnis der Landespartei. Aber es wird noch schlimmer: Der Harvard-Absolvent will nochmal antreten, doch er unterliegt deutlich in der Kampfkandidatur gegen Torsten Albig, den ehemaligen Pressesprecher Steinbrücks.

Wer zieht hier die Strippen?

Wer zieht hier die Strippen?

(Foto: picture alliance / dpa)

In der Art sind sie sich nicht unähnlich: schnoddrig und norddeutsch kühl. Doch Steinbrück und Stegner verbindet inzwischen vor allem herzliche Abneigung. 2008 kritisiert der Parteilinke den damaligen Finanzminister öffentlich, er verhalte sich illoyal gegenüber Parteichef Kurt Beck. Ein Jahr später schlägt Steinbrück zurück. In seiner Abschiedsrede aus dem Parteivorstand spricht er Stegner direkt an und gibt ihm die Schuld an der verlorenen Landtagswahl. Jahrelang herrscht Eiszeit zwischen den beiden. Doch seit 2011 wird Steinbrück plötzlich als Kanzlerkandidat gehandelt, die Parteilinke rebelliert.

Ein Jahr später fällt die Entscheidung, Steinbrück macht's. Doch der Start misslingt: Kaum verkündet Parteichef Sigmar Gabriel die Entscheidung, bricht eine wochenlange Debatte um Steinbrücks Nebeneinkünfte aus. Vor dem Nominierungsparteitag im Dezember steht der Kandidat heftig in der Kritik. Doch auf die Linken um Stegner ist Verlass. Sie verhelfen ihm zu einem starken Ergebnis von 93,5 Prozent. Der Neustart ist geglückt, Partei und Kandidat versöhnt. Intern machen die Linken fortan Druck. Sie fordern Gegenleistungen für ihre Treue, mehr Einfluss, zum Beispiel auf das Wahlprogramm. Dass sie Steinbrück durchgewunken und der Partei eine Katastrophe erspart haben, verschafft ihnen eine gute Ausgangssituation. Gabriel hat keine andere Wahl.

"Nicht rufschädigend"

In Augsburg streichen Stegner & Co. nun den Lohn ein. Rechter Kandidat, linkes Programm: Es ist ein kongenialer Schachzug für den Frieden zwischen den Parteiflügeln. Ob die Strategie wahltaktisch aufgeht? Die Meinungsforscher sehen die SPD bei mageren Werten um die 25 Prozent. Die "heiße Phase" des Wahlkampfes beginnt aus Sicht vieler Sozialdemokraten ja erst im Sommer. Die beiden Widersacher Steinbrück und Stegner haben sich jedenfalls arrangiert und alle Eitelkeiten dem gemeinsamen Ziel untergeordnet. Sie wollen im Herbst die schwarz-gelbe Regierung ablösen.

Vor allem Stegner hat an Macht gewonnen, in der Parteispitze wird er für seine Kompromissbereitschaft als wichtiger Strippenzieher geschätzt. Im Gegenzug akzeptiert er den ungeliebten Kontrahenten. Das macht er seit Monaten deutlich. Immer wieder stellte sich Stegner vor den kritisierten Kanzlerkandidaten: "Steinbrück kann im Moment sagen, was er will. Er kann die Wettervorhersage lesen oder aus der Bibel vortragen, er würde öffentlich in Schwierigkeiten gebracht." Als der Berliner SPD-Chef Jan Stöß, wie Stegner ein Parteilinker, kürzlich eine Minderheitsregierung unter Tolerierung der Linkspartei ins Gespräch brachte, pfiff er ihn zurück.

So mager die Aussichten der SPD derzeit auch sind: Stegners Einsatz könnte sich auch ein weiteres Mal lohnen. Führende Genossen rechnen damit, dass Steinbrück ihn in sein Schattenkabinett beruft. Wie Stegner das findet? "Dass Leute einen ins Spiel bringen, ist ja nicht rufschädigend", sagt er. Bis dahin wartet jedoch noch viel Arbeit: "Das klappt nur, wenn wir die Wahl gewinnen, und bevor der Bär erlegt wird, verteilen wir keine Felle."

Quelle: ntv.de

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