Debakel bei Europawahl SPD im historischen Tief
08.06.2009, 07:29 UhrDie SPD rutscht bei der Europawahl auf ein neues historisches Tief. Die Union kann sich trotz erheblicher Verluste als Gewinner fühlen und entsendet die meisten Abgeordneten in das EU-Parlament. Als drittstärkste Partei behaupten sich die Grünen, gefolgt von FDP und Linkspartei.
Dreieinhalb Monate vor der Bundestagswahl am 27. September hätten Union und FDP damit eine Mehrheit. Zusammen kommen sie auf rund 49 Prozent. Nach dem vorläufigen Endergebnis erhielten CDU und CSU 37,9 Prozent nach 44,5 Prozent 2004. Die CSU kam auf 7,2 Prozent und übersprang damit die Fünf-Prozent-Hürde. Die SPD verschlechterte sich gegenüber 2004 nochmals leicht auf 20,8 (2004: 21,5) Prozent. Der Unions-Wunschpartner für die Bundestagswahl FDP verbesserte sich um 4,9 Punkte auf 11,0 Prozent. Die Grünen blieben mit 12,1 Prozent zweistellig und nahezu unverändert zu 2004. Die Linkspartei legte leicht auf 7,5 (2004: 6,1) Prozent zu.
SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier sprach von einem enttäuschenden Ergebnis und machte dafür vor allem die schwache Wahlbeteiligung verantwortlich. "Ganz offensichtlich ist es uns nicht gelungen, unsere Wähler, unsere Wählerschichten wirklich an die Urnen zu bringen", sagte Steinmeier in der ARD. Von Rückschlüssen auf die Bundestagswahl rate er aber ab. Kritik am Kurs der SPD bei der Bekämpfung der Wirtschaftskrise wies er zurück. Gerade jetzt dürften industrielle Kapazitäten und Arbeitsplätze nicht preisgegeben werden. "Glauben wir doch bitte nicht, dass eine Pleite von Opel uns billiger gekommen wäre."
Union: Signal für Regierungswechsel

Wahlgewinner: Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel gratuliert ihrem Spitzenkandidaten und EU-Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering.
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Die Union wertete ihr Abschneiden als Signal für einen Regierungswechsel im Bund. "Das gibt jetzt Anlass zur Zufriedenheit, aber wir müssen in den verbleibenden dreieinhalb Monaten weiter energisch kämpfen, für unsere Positionen werben, und dann ist unser Wahlziel von vierzig Prozent plus x erreichbar.", sagte CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla bei n-tv. "Die guten zwei Prozent, die jetzt noch fehlen, da bin ich sehr zuversichtlich, können erreicht werden. Mit Angela Merkel werden wir die Bundestagswahl gewinnen."
Nach Ansicht von Saarlands Ministerpräsident Peter Müller (CDU) ist die SPD keine Volkspartei mehr. "Nach dieser Europawahl können wir feststellen, dass es in Deutschland nur noch eine Partei gibt, die den Anspruch erheben kann, Volkspartei zu sein", sagte Müller vor einer Sitzung der CDU-Spitze in Berlin. "Deshalb ist die Union diejenige Partei, die Regierungsverantwortung in Deutschland tragen muss."

Wieder drin: CSU-Spitzenkandidat Markus Ferber freut sich im Beisein von Parteichef Seehofer über den Wahlerfolg seiner Partei.
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CSU-Chef Horst Seehofer zeigte sich erleichtert: "Die Christlich-Soziale Union ist wieder da", sagte er in München. Für Seehofer war es die erste Wahl als CSU-Vorsitzender. Er hatte das Ruder übernommen, nachdem die Partei bei der Landtagswahl im Oktober die absolute Mehrheit verloren hatte. FDP-Chef Guido Westerwelle verwies darauf, dass seine Partei die Verluste der Union aufgefangen habe.
Europa wird grüner
Die deutschen Grünen nehmen nach den Worten ihrer Chefin Claudia Roth von der Europawahl "sehr viel Rückenwind" mit in die Bundestagswahl. "Wir haben Europa-Wahlkampf gemacht", sagte Roth bei n-tv. "Die anderen haben von Europa herzlich wenig geredet und sie haben eher gesagt: Wenn die Sonne scheint, dann ist Berlin dafür verantwortlich und wenn es regnet, dann ist Brüssel schuld."
Zwar sei die Bundestagswahl "keinesfalls entschieden", so Roth. "Wir kämpfen darum, dass Inhalte an die Macht kommen und ich denke, wir können noch sehr, sehr viel reißen bis zum 27. September."
Die Mitte profitiert
Die Europawahl habe deutlich gemacht, dass "von den Oppositionsparteien vor allen Dingen die Mitte stark gemacht worden ist", sagte FDP-Vize Andreas Pinkwart bei n-tv.

Freude bei der FDP: Spitzenkandidatin Koch-Mehrin haben die Spekulationen über ihre Arbeitsweise in den vergangenen Tagen offenbar nicht geschadet. Sehr zur Freude des Parteichefs Westerwelle.
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Es seien die Parteien von den Wählern unterstützt worden, "die sich für wirtschaftliche Vernunft in Deutschland einsetzen, für die Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft". Das sei auch das Signal, das die Liberalen "in Richtung Bundestagswahl senden sollten: Deutschland kann viel mehr, wenn wir uns für die Zukunft fit machen". Es sei "viel zu lange geredet worden über die ganz oben und die unten", so Pinkwart weiter. "Die Mitte ist viel zu kurz gekommen bei der Großen Koalition. Das ist die Thematik der FDP."
Linke leicht enttäuscht
Der Fraktionschef der Linken im Bundestag, Gregor Gysi, bekräftigte in der ARD das Ziel von zehn Prozent Stimmenanteil am 27. September. Spitzenkandidat Lothar Bisky räumte ein, dass die Linke nicht so stark abgeschnitten habe wie erhofft, sei auch Folge von "Parteiquerelen". Deutschland entsendet als größtes EU-Mitgliedsland 99 der 736 Abgeordneten in das Straßburger Parlament.
Streit um EU-Kommissar
Die CDU bekräftigte ihren Anspruch, den deutschen Kommissar in der nächsten EU-Kommission zu stellen. Die SPD habe ein Fiasko erlebt und könne "nicht mal mehr ernsthaft den Anspruch erheben, den Kommissar weiter zu stellen", sagte Pofalla bei n-tv. "Wir haben seit 20 Jahren keinen Kommissar mehr in Europa gehabt und deshalb werden wir den Anspruch weiter aufrecht erhalten und wir werden es am Ende auch durchsetzen. Der nächste Kommissar kommt aus der CDU."
Der derzeitige deutsche Kommissar und SPD-Mann Günter Verheugen widersprach dieser Auffassung im ARD-Morgenmagazin. "Es gibt überhaupt keine Regel dafür", sagte er. Die jeweilige nationale Regierung entscheide darüber unter Berücksichtigung der Aufgabenverteilung und des Einflusses, den der eigene Kandidat haben soll, sagte der scheidende deutsche Industrie-Kommissar.
SPD-Chef Franz Müntefering hatte noch am Wahlabend bekräftigt, dass der SPD-Europapolitiker Martin Schulz nach wie vor Kandidat für die nächste EU-Kommission sei. Die Entscheidung über diese Personalie wird vermutlich erst nach der Bundestagswahl im September fallen. Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel hatte zuvor für Deutschland die wirtschaftsnahen Brüsseler Ressorts für Industrie, Wettbewerb oder Binnenmarkt beansprucht.
Die nächste EU-Kommission tritt im Herbst ihr Mandat an. Der Präsident der Behörde und die Zusammensetzung der Kommission insgesamt müssen vom Europäischen Parlament bestätigt werden.
Quelle: ntv.de, ghö/hdr/dpa/AFP