Zwischenruf "Bild" vs. Wulff: Volk sollte siegen
05.01.2012, 13:16 Uhr
Das Amt ist beschädigt. Eine Direktwahl könnte helfen.
(Foto: REUTERS)
Die nächste Enthüllung ist programmiert: Wenn Bundespräsident Christian Wulff nicht zurücktritt, wird nicht nur sein Amt, sondern auch die Demokratie beschädigt. Der Nachfolger oder die Nachfolgerin sollte direkt vom Volk gewählt werden.
Es kommt, wie es kommen musste: Kaum hat der Bundespräsident seine Version des mobiltelefonischen Wutausbruchs gegenüber "Bild"-Chef Kai Diekmann verkündet, schießt das Blatt zurück. Nein, Christian Wulff habe doch versucht, die Veröffentlichung des Artikels über seinen Immobilienkredit zu verhindern.
Sehr wahrscheinlich hat das Blatt Recht, denn warum sollte sich das Staatsoberhaupt dafür entschuldigen, wenn es nur darum ging, die Veröffentlichung um einen Tag zu verschieben? Vermutlich wird die Öffentlichkeit sich selbst eine Meinung bilden können, denn "Bild"-Chefredakteur Diekmann hat Wulff höflich um seine Erlaubnis gebeten, den Wortlaut der Nachricht zu veröffentlichen - natürlich "im Sinne der von Ihnen angesprochenen Transparenz".
Das Boulevardblatt mit der höchsten Auflage führt Krieg gegen den höchsten Repräsentanten des Staates, und der lässt sich darauf ein. Das ist beschämend. Aber hier geht es um mehr. Ein Präsident, der sich als Lehrbub geriert und durchschummelt, kann nicht oberster Repräsentant einer parlamentarischen Demokratie sein. Christian Wulff hat sich von der Unionsspitze, namentlich von der Bundeskanzlerin breitschlagen lassen, das Amt zu übernehmen. Wulff war ein parteipolitischer Kandidat. Seine lobenswerten Versuche, in einer "bunten Republik" Präsident aller einschließlich der Muslime zu sein, sind im Malstrom seiner Skandale untergegangen.
Die Angelegenheit Wulff ist ebenso wie die seines Vorgängers Horst Köhler politisches Zeichen einer gesellschaftlichen Krise in unserem Lande. Dazu gehören auch die Fälle Guttenberg & Co. sowie der Verfall der FDP, deren neuer Generalsekretär bestenfalls zum Anführer von Fähnlein Fieselschweif taugt.
Die Koalitionsparteien müssen in sich gehen: Statt Wulff aus parteipolitischen Gründen im Amt zu belassen, sollten sie ihren Präsidenten aus demokratiepolitischen Gründen zum Rücktritt bewegen. Andernfalls wird er zur unendlichen Geschichte. Und noch etwas sollte passieren, um diesem mehrfach beschädigten Amt wieder Würde und Respekt zu verleihen: Der Nachfolger oder die Nachfolgerin des Präsidenten, der von einer Zeitung zu Fall gebracht wurde, sollte vom Volke gewählt werden. Das wäre Balsam für die Demokratie.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 das politische Geschehen für n-tv. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist er Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de