Breivik zu Höchststrafe verurteilt Der Hass siegt am Ende nicht
24.08.2012, 11:15 Uhr
Norwegen trauert um 77 Menschen, die in Oslo und Utøya ihr Leben verloren.
(Foto: dapd)
Das Urteil gegen Anders Behring Breivik setzt den Schlusspunkt unter die wohl schmerzvollste Episode in der Geschichte Norwegens. Der hasserfüllte Rechtsterrorist wird vermutlich nie wieder freikommen. Breivik hat der liberalen Gesellschaft unvorstellbare Wunden zugefügt. Doch besiegen konnte er sie nicht.
Die Richter haben entschieden: Anders Behring Breivik ist zurechnungsfähig und muss für mindestens 21 Jahre ins Gefängnis. Der Mann, der mit einem Bombenanschlag in Oslo und in einem unvorstellbar grausamen Massaker auf der Insel Utøya 77 Menschen, die meisten von ihnen Jugendliche, tötete, wird vermutlich nie wieder freikommen. Nach Ablauf seiner Strafe wird alle fünf Jahre aufs Neue überprüft, ob er in Sicherungsverwahrung bleiben muss. Angesichts der Uneinsichtigkeit, die Breivik im Prozess gezeigt hat, ist schwer vorstellbar, dass er seine Haltung ändern wird. Das Urteil gegen ihn dürfte daher immer und immer wieder lauten: Gefängnis.
Der Prozessausgang ist eine Genugtuung für die Angehörigen der Opfer Breiviks, auch wenn er keinen Trost zu spenden vermag. Sie forderten stets die Höchststrafe für den Mann, der sie ihrer Söhne und Töchter, Brüder und Schwestern, Mütter und Väter beraubte. Der seine vermeintlich höhere Sache, den Kampf gegen eine angebliche Islamisierung, gegen das Fremde, über das Leben Dutzender Menschen stellte. Den Mann, der mit als das Böseste gelten muss, das unsere Zeit hervorgebracht hat.
Doch das Urteil ist zwiespältig. Denn es kommt auch dem Wunsch Breiviks nach, mit seinen kruden Thesen ernst genommen zu werden. Ihn hätte es geschmerzt, für geisteskrank erklärt zu werden. Er will für voll genommen werden und diesen Gefallen tut ihm dieses Urteil. Und es bedeutet noch etwas: Breivik ist kein Verrückter. Breivik ist ein Terrorist. Ein Terrorist, dessen Taten Norwegen, eine der liberalsten und demokratischsten Gesellschaften der Welt, nicht hat aufhalten können.
Kann Stoltenberg Wort halten?
Norwegen wähnte sich seit Jahrzehnten in einer Sicherheit, die sich durch die Taten Breiviks als Illusion erwies. Terror, das war etwas, das die Amerikaner betraf, das in Madrid oder London passierte. Aber im beschaulichen Oslo war so etwas nicht vorstellbar. So dachten die Menschen im äußersten Norden Europas. Wie naiv das war, wissen sie erst jetzt, nachdem Dutzende sterben mussten. Dass sie zum Teil noch am Leben sein könnten, hat den Norwegern das Ergebnis der unabhängigen Kommission vor Augen geführt, die vor rund zwei Wochen ihren Bericht vorlegte. Eine Erkenntnis, die Folgen haben wird.
Erste Konsequenzen sind schon in Arbeit. So denkt nun auch Norwegen intensiv über eine Anti-Terrorgesetzgebung nach dem Vorbild vieler anderer westlicher Staaten nach. Künftig soll auch das Fassen von Anschlagsplänen verboten sein - bislang in Norwegen straffrei. Ohne Eingriffe in die Privatsphäre ist das kaum vorstellbar.
Kurz nach den Anschlägen beeindruckte Ministerpräsident Jens Stoltenberg viele Beobachter, als er verkündete: "Ihr werdet unsere Demokratie und unser Engagement für eine bessere Welt nicht zerstören. Niemand kann Norwegen zum Schweigen schießen." Und: "Noch sind wir geschockt, aber wir werden unsere Werte nicht aufgeben. Unsere Antwort lautet: mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit." Doch was bleibt von diesem Bekenntnis? Wie viel wird davon noch übrig sein, wenn die Antiterror-Gesetze fertig sind und in Kraft treten? Stoltenberg wird sich an seine Worte erinnern lassen müssen.
Heile Welt hat Kratzer bekommen
Was Breiviks Taten schon jetzt bewirkt haben, ist eine Verschärfung der Sicherheitsvorkehrungen. Wie nervös die Behörden in Norwegen sind, manifestiert sich immer wieder. Als Ende Juli unter einem Auto vor der US-Botschaft in Oslo ein Päckchen gefunden wurde, löste das einen Großalarm aus. Teile der Innenstadt wurden komplett geräumt, die Bilder vom 22. Juli 2011 waren sofort wieder da. Am Ende war es nur eine Bombenattrappe, die nach einer Sicherheitsübung schlicht vergessen wurde.
Wer noch bis vor Kurzem in Oslo in einen Supermarkt ging, konnte dabei mit etwas Glück Kabinettsmitgliedern beim Wochenendeinkauf begegnen und sich mit ihnen über Kochrezepte und den letzten Tratsch austauschen. Politiker sind nach dem norwegischen Verständnis Gleiche unter Gleichen, man duzt sie, ebenso wie alle Menschen in Norwegen einander duzen. Es ist diese harmonische, ultraliberale Welt, die seit dem 22. Juli 2011 nicht mehr existiert. Breivik, der genau das an seinem Land hasste, hat dieser Gesellschaft Schaden zugefügt. Längst begleiten Politiker auch in Norwegen Wachmänner bei Ausflügen in die "normale Welt", so wie man es auch aus Deutschland kennt.
Eines kann Breivik nicht brechen: Norwegens Souveränität
Doch ganz in die Knie gezwungen hat Breivik Norwegen nicht. Denn was er nicht zu zerstören vermochte, und das ist die vielleicht einzige tröstliche Nachricht des Tages, ist der Rechtsstaat. Juristisch sauber behandelte er den Mann, der so viel Leid über die Menschen gebracht hat, die genau dieser Rechtsstaat schützen soll. Rachegelüste spielten in dem Verfahren nie eine Rolle.
Und das, obwohl Breivik genau diese Gefühle immer wieder provozierte. Sprach das Gericht von seinen Opfern, grinste er höhnisch, Beschreibungen seiner hinrichtungsgleichen Morde lauschte er gelassen, in Tränen versetzte ihn nur ein eigenes Propagandavideo, das er kurz vor den Taten ins Internet gestellt hatte. Das ist dermaßen widerwärtig, dass der Wunsch, zum Äußersten zu greifen und Breivik den Tod zu wünschen, zumindest nachvollziehbar ist.
Doch die Norweger zeigen, dass sie ein besonnenes Volk sind. Die Fünf-Millionen-Nation verabscheut diesen Mann. Dennoch wird ihm ein fairer Prozess gewährt. Norwegen erträgt es, dass er sich selbst und seine menschenverachtenden Ansichten erklären darf. Diese Souveränität kann Breivik nicht brechen. Bei allem, was er den Menschen angetan hat, wie sehr er die norwegische Gesellschaft verändert hat - Breivik hat verloren.
Quelle: ntv.de