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Recep Tayyip Erdogan Der Sultan hat seine Pause beendet

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(Foto: imago/Depo Photos)

Vor 17 Jahren trat der heutige Präsident der Türkei eine Haftstrafe an. Seinen Anhängern sagte Erdogan damals, dies werde nur eine kurze Unterbrechung seiner Arbeit am islamistischen Projekt sein. Mittlerweile ist klar: Die Pause ist zu Ende.

"Warum nennen wir es nicht einfach Islamische Liga statt Arabische Liga", schlug der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seinen Gästen vor, als er Ende April vor dem türkisch-arabischen Kongress für höhere Bildung in Istanbul sprach. Man kann diesen Satz als Vision interpretieren, die rein politische Arabische Liga in eine Union von Ländern mit überwiegend muslimischer Bevölkerung umzuformen. Erdogan sprach auch darüber, dass die islamische Welt einig sein und die Teilung in Schiiten und Sunniten überwinden müsse, und über den gemeinsamen Kampf gegen den islamistischen Terrorismus.

Auf dem gleichen Kongress plädierte Parlamentspräsident Ismail Kahraman, ein treuer Erdogan-Verbündeter, für eine religiöse Verfassung. Bezüge zum Säkularismus wollte er aus der Verfassung streichen. Der damalige Ministerpräsident Ahmet Davutoglu widersprach ihm umgehend. Davutoglu versicherte, der säkulare Charakter des türkischen Staats stehe außer Frage.

Nur ein paar Tage später wurde Davutoglu während einer offiziellen Auslandsreise informiert, dass er innerhalb der Regierungspartei AKP entmachtet worden war. Die meisten Beobachter vermuten, weil er Erdogans Plan nicht unterstützte, der Türkei eine Präsidialverfassung zu geben. Kurz darauf trat Davutoglu als Ministerpräsident zurück.

Auch in anderen Punkten hatte er versucht, sich vom Präsidenten abzusetzen, zum Beispiel bei den Verhandlungen mit der EU über ein Flüchtlingsabkommen und die damit verbundene Visafreiheit für Türken. Erdogan dagegen machte der EU klar, was er von ihren Forderungen hält, die türkischen Terrorgesetze zu reformieren, die vor allem dazu dienen, die kurdische Bevölkerung zu unterdrücken: "Ihr geht euren Weg und wir gehen unseren", sagte er in Richtung Brüssel.

Davutoglus Nachfolger Binali Yildirim, der an diesem Sonntag auf einem Sonderparteitag als AKP-Chef gewählt werden soll, gilt als enger Erdogan-Vertrauter. In drei Regierungen diente er unter dem jetzigen Präsidenten als Verkehrsminister, leitete mehrere Infrastrukturprojekte, schied aber im Dezember 2013 nach einem Korruptionsskandal aus der Regierung aus: Ermittler hatten die Gewinner einer Ausschreibung für den dritten Istanbuler Flughafen dabei belauscht, wie sie sich darüber beschweren, dass Yildirim sie gedrängt habe, eine regierungsnahe Zeitung zu kaufen.

Erst islamistisch, dann progressiv, dann wieder islamistisch

Als Student engagierte Erdogan sich in islamistischen Bewegungen, und auch als Bürgermeister von Istanbul zwischen 1994 und 1998 zeigte er sich als überzeugter Islamist - so überzeugt, dass er zu einer zehnmonatigen Gefängnisstrafe und einem lebenslangen Politikverbot verurteilt wurde. Ihm wurde vorgeworfen, in einer Rede Ende 1997 in der Stadt Siirt zum "Hass aufgrund von religiösen Unterschieden" aufgestachelt zu haben. In zwei Instanzen gelang es ihm, das Urteil auf eine Geldstrafe zu reduzieren. In der letzten Instanz unterlag er jedoch, so dass er 120 Tage in relativ komfortabler Haft im Gefängnis von Pinarhisar nahe Istanbul verbringen musste. "Dies ist nur eine Pause. Wir werden weiter an den Vorhaben arbeiten, an denen wir bisher zusammen gearbeitet haben", sagte er den Zehntausenden, die ihn verabschiedeten, bevor er die Haft antrat.

Die Pause dauerte dann doch etwas länger: Nach seiner Freilassung sagte er sich von islamistischer Politik los und etablierte 2001 die gemäßigt konservative Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung. Nachdem die AKP unter Mitgründer Abdullah Gül die Wahlen von 2002 gewonnen hatte, hob die neue Regierung das Politikverbot gegen Erdogan sofort auf. Bei einer Nachwahl in Siirt im März 2003 gewann er ein Parlamentsmandat und wurde Ministerpräsident. Internationale Medien, die ihn zuvor den "islamistischen Bürgermeister von Istanbul" genannt hatten, ließen das religiöse Adjektiv fallen und lobten den "progressiven Politiker".

Als Ministerpräsident legte Erdogan durchaus politische Toleranz an den Tag. Er managte die wirtschaftliche Erholung der Türkei nach der Finanzkrise von 2001, die Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union, die Deeskalation des Kurdenkonflikts und eine Vielzahl von Infrastrukturprojekten. Die Liberalisierung des Arbeitsrechts zog Investoren an, der Binnenkonsum wurde durch Kredite angekurbelt.

Zugleich sorgte Erdogan dafür, dass das Kopftuch in Ämtern, Universität und Schulen getragen werden durfte - zum ersten Mal seit Gründung der türkischen Republik im Jahre 1923 durch Kemal Atatürk. Er entmachtete das Militär, das die Politik und den säkularen Charakter der Türkei bis dahin kontrolliert hatte. Schließlich begann er einen Prozess, die Türkei zu einem Präsidialsystem umzugestalten. Die Taksim-Proteste von 2013 ließ er gewaltsam niederschlagen. Viele Akademiker, Journalisten und einfache Bürger, die es gewagt hatten, Sorge über die autoritäre Zukunft des Landes zu äußern, ließ er festnehmen. Kurdische Städte im eigenen Land ließ er bombardieren.

Obwohl das Amt des türkischen Präsidenten vor allem repräsentative Funktionen hat, kontrolliert Erdogan einen Großteil des politischen Lebens. Er bereitet Verfassungsänderungen vor, die den Präsidenten zur zentralen Macht im Land machen würden; alle anderen Institutionen könnte er anschließend ausschalten. Selbst wenn der religiöse Charakter des Staats nicht in die Verfassung aufgenommen wird, erinnert die Macht, die Erdogan sich geben will, an die des Sultans im Osmanischen Reiche. Die Republik Atatürks wird dann der Vergangenheit angehören. Es wäre das Ende der "Pause", die Erdogan verkündet hat, bevor er vor 17 Jahren ins Gefängnis von Pinarhisar ging.

Quelle: ntv.de

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