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100 Tage Schwarz-Gelb Die FDP fährt sich fest

Auf dem Titelblatt des 132 Seiten starken Koalitionsvertrages prangt ein großes "Zusammenhalt". In der Regierung hapert es daran. Zu häufig lassen die beiden Partner den Motor aufheulen und zerren in unterschiedliche Richtungen. Die FDP hat dabei meist das Nachsehen. Was können wir von ihr noch erwarten?

Und jetzt? Guido Westerwelle auf der Suche nach der Lücke.

Und jetzt? Guido Westerwelle auf der Suche nach der Lücke.

(Foto: AP)

Wären die Liberalen alleine an der Macht, sähe die Republik wahrscheinlich so aus: Eine Krankenversicherung, die bei Zahlung eines Grundbetrags nur für das Allernötigste sorgt, eine Einkommensteuer mit vier Stufen, keine Bundesagentur für Arbeit mehr und Bürgergeld statt Hartz IV. Doch von allen Seiten tönt es in Richtung FDP: Kein Geld, kein Spielraum für kostspielige Reformen. Die Liberalen wollten alles besser machen vor der Wahl. Geklappt hat weniges.

Der Eindruck, alles stehe und falle mit der Finanzierung der FDP-Pläne, mag vordergründig richtig sein. Doch dahinter steht Angela Merkel, die eine unsichtbare Grenze gezogen hat. "Wir wollen einen starken Staat", sagt die Kanzlerin. Der kleine Koalitionspartner sieht das das anders. Liberal heißt für die FDP: Staatliche Leistungen und Verantwortung so weit wie möglich zurückfahren. Auch deshalb ist ihre Handschrift nur marginal zu erkennen. Das von Merkel bemerkte "unterschiedliche Staatsverständnis" ist Dauerthema und spaltet die Koalition im Kern.

In die Regierung gerast

Westerwelle kurz nach der Wahl: Das Grinsen wollte nicht mehr weichen.

Westerwelle kurz nach der Wahl: Das Grinsen wollte nicht mehr weichen.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Mit röhrendem Motor und wehenden Fahnen hatte Guido Westerwelle seine Liberalen in die Regierung mit der Union geführt. 100 Tage sind seither vergangen. 100 Tage, an denen sich die FDP in der schwarz-gelben Regierung festgefahren hat. Manche ihrer Kernziele hat der kleine Partner der Union erreicht, zusammengefasst im "Wachstumsbeschleunigungsgesetz": Die Steuerfreibeträge für Kinder erhöht, die Erbschaftssteuer gesenkt, ebenso wie die Mehrwertsteuer für das Hotelgewerbe.

Andere Etappen wie das Bürgergeld, die Senkung der Umsatzsteuer für die Energiewirtschaft und die Auflösung der Bundesagentur für Arbeit wurden gestrichen, bevor sie überhaupt begonnen hatten. Die Debatte um die Gesundheitsreform zeigt: Je länger die Regierungszeit dauert, desto schwieriger wird es für die FDP, Bundespolitik im Sinne der eigenen Ziele zu betreiben.

Kampf gegen die Realität

Im Gesundheitsressort müht sich Philipp Rösler im Kampf gegen die harte Haushaltsrealität. Ganz im Sinne des Wahlprogramms will der Jung-Minister bei der Krankenversicherung eine Kopfpauschale statt einkommensabhängiger Beiträge durchboxen. Vorwürfe, dass das neue Modell unsolidarisch sei, kontert Rösler mit dem Hinweis, soziale Ungleichheiten sollten ausgeglichen werden. Aber wie?

In Zukunft nur noch Grundversorgung?

In Zukunft nur noch Grundversorgung?

(Foto: AP)

Ein "automatischer Ausgleich über das Finanzamt" für finanziell schlechter gestellte Menschen, den FDP-Generalsekretär Christian Lindner vorschlägt, würde bis zu 40 Milliarden Euro an Steuermitteln kosten. Angesichts der herannahenden Schuldenbremse und den bereits umgesetzten Steuersenkungen setzt sich Finanzminister Wolfgang Schäuble aber auf den Geldkoffer. "Höhere Steuerzuschüsse kommen nicht in Frage", heißt es aus seinem Ressort.

Lösung nicht in Sicht

Rösler knüpft sein Amt an eine erfolgreiche Reform. So könnte der Begriff "Kopfpauschale" für den FDP-Minister noch eine ganz andere Bedeutung bekommen. Momentan pocht er auf die Unterschrift seines ärgsten Widersachers, des CSU-Chefs Horst Seehofer, unter dem Koalitionsvertrag. Dort heißt es jedoch lediglich, das bestehende System werde "langfristig" geändert – und die Schritte von einer Kommission festgelegt. Eine Lösung des Konflikts ist bislang nicht in Sicht.

Gesundheitsminister Rösler: Auf der Suche nach der Lösung

Gesundheitsminister Rösler: Auf der Suche nach der Lösung

(Foto: dpa)

Die genaue Ausgestaltung der Gesundheitsreform bleibt also im Dunkeln. Verschiedene Ansätze - Haushaltszuschuss, Soli-Zuschlag, Senkung der Arzneimittelpreise –  von Politikern in der Öffentlichkeit diskutieren zu lassen, mag am Ende zu einem Ergebnis führen. Souverän wirkt Rösler mit dieser Taktik nicht. Zudem schadet er möglicherweise der eigenen Partei.

Steuertreppe im Nebel

Das noch wichtigere Thema der Liberalen heißt Steuersenkungen – mit deren Hilfe soll die Kaufkraft erhöht und damit die Wirtschaft angekurbelt werden. Das Konzept der FDP sieht hier einen Stufentarif der Einkommenssteuer vor. Allerdings liegt die Treppe bislang noch im Steuernebel - aus 0, 10, 25 und maximal 35 Prozent wurde im Koalitionsvertrag eine unbestimmte Anzahl Stufen, die "möglichst zum 01.01.2011" in die Einkommensteuer-Kurve gemeißelt werden sollen.

Auf das "möglichst" im Koalitionsvertrag zieht sich die Union jetzt zurück, nach dem Motto: Wenn das Loch in der Kasse klafft, können keine neuen Steuergeschenke verteilt werden. Bislang ist der FDP mit der Anhebung des Kinderfreibetrags auf 7008 Euro und der Anhebung des Kindergelds lediglich ein erklärtes Ziel gelungen: Die steuerliche Entlastung der Familien.

Seehofer stellt sich bei der Kopfpauschale quer.

Seehofer stellt sich bei der Kopfpauschale quer.

(Foto: picture alliance / dpa)

Um dem kleinen Koalitionspartner nicht völlig in die Parade zu fahren, verweisen Seehofer und Unionsfraktionschef Volker Kauder auf die Steuerschätzung im Mai. Erst dann wird wohl entschieden, in welcher Form die "große Struktursteuerreform" umgesetzt wird – und welche Teile ihres Konzepts die Liberalen durchdrücken können.

Gleichschritt bei der Bildung

Dass "Bildung" das zweite Wort im Koalitionsvertrag ist, ist kein Zufall. In keiner anderen Angelegenheit schritten Westerwelle und Merkel in solchem Gleichschritt voran. Zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts sollen für Bildung und Forschung ausgegeben werden. Allerdings erst in ein paar Jahren. Ab 2015 soll es soweit sein. Wie die Finanzierung im Detail aussehen wird, ist abgesehen von der Beteiligung des Bundes noch nicht aufgeschlüsselt. Klar ist nur: Im Juni soll beschlossen werden, wohin das Geld fließt, das noch nicht da ist.

Der Rest des FDP-Konzepts wurde entweder noch nicht in Angriff genommen, ist momentan nicht vermittelbar, oder bereits im September unter den Verhandlungstisch der schwarz-gelben Koalition gefallen. Das im Wahlprogramm großspurig als Missbrauchskiller angekündigte "Bürgergeld" – die Zusammenlegung von Sozialleistungen - wird im Koalitionsvertrag in einem Satz abgehandelt. Es solle geprüft werden,  "in welchem Umfang das Konzept möglich ist", heißt es lapidar. Nach grundlegender Reform des ungeliebten Hartz-IV-Konzepts hört sich das nicht an.

Des Bürgers Recht

Online-Durchsuchungen sind erlaubt - mit Einschränkungen.

Online-Durchsuchungen sind erlaubt - mit Einschränkungen.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Auf der Strecke ins liberale 21. Jahrhundert ist eine weitere Zufahrtsstraße bislang versperrt - die der Bürgerrechte. Als deren Verfechter präsentierte sich die FDP während des Wahlkampfes: Die Weitergabe von Fluggastdaten an die USA sollte gestoppt werden, Online-Durchsuchungen und Vorratsdatenspeicherung ganz wegfallen und das "Bankgeheimnis wieder hergestellt werden". Diese Seite an den Liberalen schien frisch, modern und rebellisch – sie dürfte der Partei einige junge Wähler beschert haben.

Das Dilemma ist jedoch: Viel entscheiden können Westerwelle und Co. gar nicht. Das SWIFT-Abkommen über den Zugriff der USA auf europäische Bankdaten wird am 10. Februar vermutlich vom EU-Parlament gekippt, und in Sachen Online-Durchsuchungen sowie Vorratsdatenspeicherung diktiert das Verfassungsgericht den Rahmen. So wird in Karlsruhe im Frühjahr das Urteil über die knapp 35.000 Klagen gegen die automatische Speicherung von Verbindungsdaten fallen.

Bislang keine Online-Durchsuchungen

Klare Vorgaben aus Karlsruhe.

Klare Vorgaben aus Karlsruhe.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Die Verfassungsrichter haben bereits vor knapp zwei Jahren das Spionieren auf privaten Rechnern stark eingeschränkt. Im Klartext: Online-Durchsuchungen Ja, aber nicht ohne konkreten Verdacht im Einzelfall. Ein komplettes Verbot konnten die Liberalen in den Koalitionshandlungen mit der Union nicht durchsetzen. Dennoch klingt die Zwischenbilanz des Bundeskriminalamts von der FDP-Warte aus beruhigend: Bis Mitte Oktober wurde noch keine einzige Online-Durchsuchung durchgeführt.

Lediglich in Sachen Fluggastdaten könnte die FDP noch entscheidend eingreifen – wäre nicht der Anschlagsversuch von Detroit gewesen. Durch die neu aufgeflammte Sicherheitsdiskussion sind Forderungen nach mehr Datenschutz momentan in der Öffentlichkeit nicht vermittelbar. Hier ist Geduld gefragt.

Der Motor schwächelt

Alles in allem bleibt die Frage: Was ist von der FDP noch zu erwarten? Kann sie der Zusammenarbeit mit der Union ihr Profil bewahren? Die Vielzahl der gesellschaftlich kontroversen Themen bremsen die Partei nicht nur in der Regierung aus. Das zeigt der Stern-RTL-Wahltrend von Ende Januar. Dort ist die FDP um mehr als ein Drittel auf 9 Prozent abgesackt. Bei der Bundestagswahl waren es noch 14,6 Prozent.

Als kleinerer Koalitionspartner ist der Motor offenbar nicht stark genug, um den Karren in die gewünschte Richtung zu ziehen. Ständiges Pochen auf Steuersenkungen bringt die Partei bei den Wählern und der Regierungsarbeit mit der Union nicht weiter. Eben diese Steuersenkungen, Gesundheit, Bürgergeld und Datenschutz standen vor der Wahl auf den gelben Fahnen. Doch die hängen nun schlaff herab – der Fahrtwind der Koalitionsverhandlungen ist fast zur Windstille geworden.

Quelle: ntv.de

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